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![]() ARCHIV 2009 I NEUE ARCHITEKTUR IN VENEDIG Die Lagune lebt Von Elke Linda Buchholz An einem regnerischen Sonntagmorgen steigen nur wenige Venezianer am Bootsanleger der Friedhofsinsel San Michele aus, um die Gräber ihrer Angehörigen zu besuchen. Die Klosterinsel wurde im 19. Jahrhundert zum städtischen Friedhof umgewidmet, mit Abteilungen auch für Protestanten und Griechen. Der stille Kreuzgang neben der Frührenaissancekirche zeugt noch vom mönchischen Leben. Jetzt sind die Toten unter sich: Dichter wie Ezra Pound und Joseph Brodsky oder die Komponisten Igor Strawinsky und Luigi Nono. Doch im Laufe der Zeit wurde der Platz auf der von hohen Mauern umschlossenen Insel knapp. In den jüngeren Abteilungen stapeln sich die Grabkammern sechsstöckig in Betonregalen. Daher erhielt 1998 der britische Architekt David Chipperfield den Auftrag, den Cimitero zu erweitern. Eine sensible Aufgabe im historisch gewachsenen Architekturensemble Venedig, das seit 1987 samt der Lagune UNESCO-Weltkulturerbe ist. Mittlerweile ist der erste Bauabschnitt fertig, und die Toten beziehen nach und nach ihre Ruhestätten im "Corte dei quattro evangelisti" der neuen Abteilung "Recinto XXIII". Der Hof der vier Evangelisten ist nur einer von acht geplanten "Courtyards". ![]() Chipperfields Pläne sehen vor, in einer späteren Bauphase zur introvertierten Architektur der Courtyards ein offenes Pendant zu schaffen. Auf einer neu aufgeschütteten Nachbarinsel sollen über eine Brücke zugänglich Gärten auf Wasserniveau den freien Blick über die Lagune eröffnen. Es wäre ein einzigartiger Ort, um über Tod und Vergänglichkeit zu meditieren. Zugleich greift Chipperfields minimalistische Formensprache eine Raumerfahrung auf, die für das historische Venedig typisch ist: den Kontrast von Enge und Weite, von Geschlossenheit und Offenheit. ![]() Währenddessen wird - ebenfalls unter Aufsicht der städtischen Wasserbehörde - auf der Piazza San Marco das historische Plaster aufgerissen. Hier sollen ein neues Drainagesystem und erhöhte Kaimauern den Überschwemmungen Einhalt gebieten. Mit unterirdischen Bändern aus Titan wird die Basis des Campanile zusätzlich gesichert. Er war bereits 1902 einmal eingestürzt und musste originalgetreu wiedererrichtet werden. ![]() Nur wenige Schritte sind es von hier, um die Spitze der Landzunge herum, zu den ehemaligen Salzmagazinen am Canale della Giudecca. Hier hat der Architekt Renzo Piano ein einzigartiges Museum für seinen Freund Emilio Vedova ersonnen. Der 2006 verstorbene Maler hatte den leerstehenden Speicherbau noch selbst entdeckt und mit einer Bürgerinitiative gerettet. Nun erlebt man hier ein ungewöhnliches Schauspiel: Im Halbdunkel des schmalen, hohen Raumes fahren Vedovas Gemälde wie von Geisterhand bewegt aus dem rückwärtigen Depot heraus, schwenken durch die Luft und gleiten auf Sichthöhe von der Decke herab. Eines nach dem anderen nimmt seine Position ein, während die Besucher auf dem schräg ansteigenden Holzplankenboden hocken. Mit minimalen Eingriffen in die Bausubstanz hat der Architekt seine ingeniöse Konstruktion am historischen Holzdachstuhl befestigt. In wechselnder Auswahl soll so das umfangreiche Schaffen Vedovas aufgerollt werden. ![]() ![]() ![]() Derweil verstaubt in der Halle des Aeroporto Marco Polo das Architekturmodell des Amerikaners Frank Gehry für eine Flughafenerweiterung samt Bootshafen. Wie Segel blähen sich die gewellten Dächer über den Schiffsanlegern, flankiert von verschachtelten Kuben für ein 5 Sterne-Hotel mit 350 Zimmern, Kongress- und Ausstellungszentrum. Das größte Hotel in der Altstadt hat 85 Zimmer. Das 2002 beschlossene Projekt mit seinem "Water gateway" soll der Region auch in der Nebensaison einen steten Zustrom von Besuchern sichern und diese auf direktem Wasserweg ins historische Zentrum schleusen. Schon jetzt kommen 20 Millionen Touristen pro Jahr, dreimal mehr als vor zehn Jahren, während immer weniger Menschen in der Altstadt wohnen. 60 000 sind es derzeit. Geradezu aberwitzig erscheint da die Vision der Stadtplaner, eine U-Bahn "Sublagunare" 20 Meter unter dem Meeresspiegel vom Flughafen zum Arsenale durch den Sumpf zu bauen. Das seit den 60er Jahren diskutierte und umstrittene Projekt droht neuerdings an Fahrt zu gewinnen, seit Berlusconi beschloss 290 Millionen Euro Infrastrukturmittel dafür bereitzustellen. Die andere Hälfte sollen private Investoren bezahlen. Doch schon so manches schöne und unschöne Projekt ist im Wasser der Lagune im Laufe der Zeit versackt. Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG v. 3. Dezember 2009 © Text und Fotos: Elke Linda Buchholz MEHR ÜBER VENEDIG AUS LITERARISCHER PERSPEKTIVE >>> SALVATORE SETTIS GEGEN DEN AUSVERKAUF DER STADT >>> |
![]() E. T. A. HOFFMANNS BERLIN von Michael Bienert 176 Seiten, ca. 200 Abb. Verlag für Berlin und Brandenburg Berlin 2015, 24,99€ Weitere Informationen |
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