www.text-der-stadt.de


Suchen I Finden
Der urbane Donatello
Ein Bildhauer und seine Stadt

 

Von Elke Linda Buchholz

 

Der Evangelist Johannes zieht die Stirn kraus. Was beunruhigt ihn? Der bärtige Bibelautor wirkt angespannt, trotz lässiger Sitzhaltung. Tatsächlich droht ihm Ungemach, in diesem Jahr 1587. Seinen angestammten Platz an der Florentiner Domfassade muss Donatellos marmorner Johannes räumen. Denn die Kirchenfront war leider über die Jahrhunderte unvollendet geblieben. Also weg damit, entschieden die Florentiner im Ex und Hopp-Verfahren, lieber komplett neu. Doch bald schon geriet das Fassadenprojekt ins Stocken. Erst im 19. Jahrhundert bekam der Dom Santa Maria del Fiore eine blitzblanke neugotische Fake-Front, wie aus einem Guss. Und Donatellos langhaariger Bartträger? Der steht längst im Museum, unter Dach und Fach, immerhin geschützt nun vor Großstadtschmutz und fiesem Wetter.

 

Dabei hatte Donatello, kaum Mitte Zwanzig, den Johannes speziell für seinen erhöhten Standort an der Domfassade konzipiert, hoch über den Köpfen der Passanten. Wer ihn sehen wollte, musste den Kopf in den Nacken legen: Dann schnurrte der überlange Oberkörper des Evangelisten auf Gardemaß zusammen, durch die Verkürzung bei Untersicht. Immer bedachte der Künstler so etwas mit. Ortsspezifische Installationen sind seine Kunstwerke allesamt. Sie suchen den Dialog mit denen, die vorbeigehen. Damit punktete der hochbegabte Künstler im Wettstreit mit Kollegen. Denn das Florenz der Frührenaissance war eine Metropole, in der es sich zu bewähren galt. Die Konkurrenz war hart. Jeder wollte der beste sein, ständig hatte jemand mit neuen Ideen die Nase vorn. Ausschreibungen fachten dieses Denken an: Für die Domnischen gingen drei rivalisierende Bildhauer ins Rennen. Der beste sollte den Folgeauftrag bekommen.

 

Als Donatello (eigentlich Donato di Niccolò di Betto Bardi) um 1386 als Sohn eines Wollkämmers in ziemlich bescheidenen Verhältnissen geboren wurde, war die Stadt im Aufbruch. Giovanni di Medici hatte bereits den Grundstein seines Bankenimperiums gelegt. Sein Sohn Cosimo sollte es zum reichsten Mann Europas bringen. Mit ihm verstand der etwa gleichaltrige Donatello sich bestens, was ihm spannende Aufträge und finanziellen Rückhalt bescherte. Denn der Finanzmann interessierte sich auch für Kulturelles, etwa diese aktuell wiederentdeckten Werke der Antike. Hier war Donatello als Sachverständiger gefragt, zumal er schon in jungen Jahren mit seinem Freund, dem Architekten Brunelleschi, nach Rom reiste, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Fortan fühlte Donatello sich im Wettstreit mit den Bildhauern der Antike, die so erstaunlich lebendige Figuren zu gestalten verstanden: voller Grazie, Würde, körperlicher Präsenz. Das konnte er auch!

 

Florenz ist bis heute gespickt mit Donatello. Wo überall er auf den Stadtplätzen und in den Kirchen, ebenfalls öffentlichen Räumen, seine Spuren hinterließ, konnte man schon 1510 im erster Florenz-Stadtführer rundgangsartig nachlesen. Marktfrauen sahen die Werke Donatellos, Bauern auf ihrem Weg, Ammen, Schlachter, Bettler, Goldschmiede, Kinder. Intellektuelle diskutierten darüber. Die städtische Elite finanzierte sie. Aber auch die mächtigen Handwerkerzünfte investierten in Kunst, um sich zu profilieren. Doch viele der Skulpturen erwarten einen am ursprünglichen Platz nurmehr als Kopie. So hat eine eigenartige Donatello-Verdoppelung eingesetzt. Schon zu Lebzeiten produzierten Nachahmer Varianten aller Art. Donatellos Erfindungen machten Furore, weckten Begeisterung, kurbelten die Nachfrage an. Trendsetter war er, wie wenige vor ihm.

 

Vom Bahnhof Santa Maria Novella kommend brandet der Touristenstrom ungebremst bis zum Baptisterium, gegenüber dem Dom. In der Taufkirche steht, kaum beachtet, ein mächtig figurengeschmücktes Grabmal für den abgesetzten Papst Baldassare Cossa. Donatello schuf es mit seinem Werkstattpartner Michelozzo: Nicht nur Konkurrenz, auch Kooperation und Netzwerke brachten einen weiter. Als eines der wenigen Stücke Donatellos blieb es, fest mit der Wand vermauert, am Platz. Gleich gegenüber stehend jagte seine lebensgroße Maria Magdalena aus Holz wohl manchem als furchtbar ausgemergelte Büßerin einen Schauer über den Rücken. Sie ist umgezogen in den (ehemaligen Stadtpalast) Bargello.

 

Im Fokus der Öffentlichkeit arbeitete Donatello auch im Dom: Im direkten Wettstreit mit Luca della Robbia entstanden zwei Sängerkanzeln, gleiches Format, gleiches Thema. Donatello punktete mit einer unbändig fröhlich tanzenden Kinderschar und kühner Skizzenhaftigkeit.

 

Draußen, am Dom-Campanile wurden 1464 erneut Baugerüste hochgezogen. Zu ungünstig waren, so fand man, gerade die neuesten und besten Skulpturen platziert, nämlich der Kirche zugewandt und so kaum sichtbar für Passanten. Donatello selbst durfte miterleben, wie seine Prophetenstatuen nachträglich auf einen Premiumplatz umzogen. Nun schauten sie herab auf die belebte, urbane Hauptachse zwischen dem Dom als religiösem Herz der Stadt, und dem politischen Zentrum, dem heutigen Palazzo Vecchio. Den markanten Habakuk, einen mürrisch-tiefernsten Glatzkopf, nannten die Florentiner spöttisch Zuccone, Kürbiskopf.

 

Nur drei Straßenecken weiter wartet der nächste Zwischenstopp mit Donatello-Hingucker. Orsanmichele ist ein zur Kirche umgebauter Getreidespeicher, ein typisch Florentiner Unikum. Die Zünfte der Stadt bestückten die Außennischen im Wettstreit miteinander. Für die Interessenvertretung der Waffenschmiede und Schwertmacher etwa meißelte Donatello einen geharnischten Georg, ganz kampfbereite Spannung. Verblüfft dürften Künstlerkollegen das Flachrelief zu Füßen des Heiligen gemustert haben, wo der Kämpfer den Drachen tötet. Erstmals führte Donatello hier seine Erfindung des „zusammengedrückten Reliefs“, „relievo stiacciato“ vor: Der ganze Hintergrund ist bei flachster Relieftiefe perspektivisch räumlich gestaltet, fast wie in der Malerei. Auch für drei weitere Nischen wurde er engagiert. Keines der Originale steht noch am Platz.

 

Aber wie wäre es mit einem Abstecher nach Santa Croce? Hierher zog der feuervergoldete Heilige Ludwig aus seiner Nische von Orsanmichele schon zu Donatellos Lebzeiten um. In der Bettelordenskirche wartet ein stiller, berührender Moment: für die reiche Familie Cavalcanti ersann der Bildhauer eine Verkündigung, die das Zusammentreffen von Engel und Maria so zart und überraschend schildert, als sei die Szene nie zuvor dargestellt worden. Sein unweit davon aufgestellter hölzerner Schmerzensmann mit Klapparmen, die für Prozessionen beweglich waren, zog hingegen heftige Kritik von Freund Brunelleschi auf sich. Der kräftig gebaute Gottessohn sähe wie ein Bauer aus, meinte der Architekt. Er schnitzte ein Konkurrenzstück. Noch herber fiel Brunelleschis Meinung über die Reliefs aus, die Donatello für seine neu erbaute Sakristei von San Lorenzo lieferte. Die Apostel sähen wie Ringer aus, befand er. Tatsächlich bewegen sie sich ungemein heftig. Die Medici standen als Finanziers hinter diesem als Familiengrablege errichteten Pionierbau der Renaissance.

 

Ihren neuerrichteten Familien-Palast, gleich ums Eck, dürfte Donatello gut haben. Sein früher Werkstattpartner Michelozzo lieferte den Entwurf, selbstverständlich all´ antica. Wer von der Straße aus in den Hof lugte, konnte ab etwa 1450 einen anmutigen Jüngling in Bronze auf einer Säule blitzen sehen. Dessen erotische Nacktheit ließ einem den Atem stocken. Dieser David, Donatellos berühmtester Geniestreich, fand hier einen perfekten Platz. Aber politische Verhältnisse sind wechselhaft: Als Cosimo de Medici vorübergehend ins Exil musste, schnappte sich die Stadtverwaltung den jugendlichen Bronzehelden. Seither besiegt er im Palazzo Vecchio scheinbar mühelos den Riesen Goliath und setzt ihm den schlanken Fuß aufs Haupt. Für die Republik Florenz war er das perfekte Sinnbild für Verteidigungsbereitschaft, Freiheit, jugendliche Spannkraft und Stärke.

 

Hinten im Garten des Medici-Palasts dagegen stellte Piero de Medici eine noch brutalere Szene auf. Die Jüdin Judith schwingt ihr Schwert hoch in die Luft, um dem stockbetrunkenen Assyrer-General Holofernes den Kopf abzutrennen. Sie rettet so ihre belagerte Stadt Betulia. Aber auch dieses Skulptur spielte Bäumchen-wechsel-dich. Seit 1498 triumphiert die Judithgruppe vor dem Rathaus, eine Warnung für alle Feinde der Republik. Donatello erlebte diese gesteigerte Politisierung nicht mehr. Er starb 1466 mit etwa 80 Jahren. Begraben liegt er in der Krypta von San Lorenzo. Piero de Medici hatte ihm dort rechtzeitig einen Platz reserviert.

 

Unfertig im Atelier blieben seine expressiven Reliefs für die Kanzel für San Lorenzo. In ihnen pulsiert eine rastlose, kaum gebändigte Energie. Es ist auch die Energie der quirligen Metropole Florenz, die sich als Nabel der Welt sah. Dass Donatello auch andernorts, in Pisa, Padua, Venedig, Prato und Rom Werke schuf, haben seine frühe Florentiner Biografen nur pflichtschuldig nebenbei erwähnt. Sie wollten, dass dieser geniale Bildhauer allein ihrer Stadt geh

Erstdruck in DER TAGESSPIEGEL vom 2. September 2022.

© Elke Linda Buchholz
 

Diese Seite ist ursprünglich in anderem Layout erschienen. Für die Langzeitarchivierung wurden Bilder und Links entfernt. Aktuelle Verlinkungen, Kontaktadressen und ein aktuelles Impressum finden Sie auf www.text-der-stadt.de





ARCHIV





Startseite