www.text-der-stadt.de


Startseite

Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Kunstgewerbemuseum / Fotostudio Bartsch, Berlin

Zerbrechlicher Witz


Das Kunstgewerbemuseum hat die Berliner Porzellanplastiken erforscht und stellt sie vor

Von Elke Linda Buchholz

Dem Bildhauer ist der Meißel zu Boden geglitten. Mit glasigen Augen schaut er auf die Opiumschale in seiner Hand. Die gertenschlanke nackte Frau neben ihm könnte das Aktmodell des benebelten Künstlers sein. Neckisch verbirgt sie ihr Gesicht hinter einer Theatermaske, während sie leichtfüßig auf einer goldenen Kugel balanciert, als sei sie die Glücksgöttin Fortuna persönlich. Tatsächlich tritt sie hier als Allegorie der Bildhauerkunst auf. Dezent hält sie einen prallen Geldbeutel in der Hand: Lässt sich mit der Bildhauerkunst womöglich doch Geld verdienen? Das Vorbild der Antike allerdings tritt sie in Gestalt eines muskulösen Männertorso leichthin mit Füßen. Verlockender als dessen sprödes Marmorweiß schimmert das zarte Rosa ihrer Brüste. Porzellanhaut, buchstäblich! Die ganze Figurengruppe ist nur 30 Zentimeter hoch und ein Meisterstück der Berliner Porzellanplastik des 18. Jahrhunderts.

Mit Bravour und scharfer Ironie hat der Bildhauer Wilhelm Christian Meyer hier seine eigene Profession persifliert und deren hehre Ideale mit der Wirklichkeit abgleicht. Die Porzellanskulptur gehört zu einer ganzen Serie ironischer Allegorien der Freien Künste, eine witziger als die andere. Jede der zierlichen Figurengruppen schraubt sich als perfekte Komposition aus Gesten und Posen in den Raum und ist gespickt mit witzigen Details. Dies alles zu entschlüsseln, braucht es Scharfblick und Geduld. In einem mehrjährigen Forschungsprojekt hat sich die Kunsthistorikerin Dorothee Heim über die fragilen Porzellanfiguren aus dem Bestand des Kunstgewerbemuseums gebeugt. Das Ergebnis liegt jetzt als dickleibiger Bestandskatalog zur Berliner Porzellanplastik zwischen 1751 und 1825 vor. Er zeigt die Objekte liebevoll von allen Seiten fotografiert und eingehend analysiert, echte Grundlagenforschung. Wären diese Skulpturen lebensgroß, sie würden ganze Säle füllen. So genügen ein knappes Dutzend Vitrinen in der Rokokoabteilung. Die rund 150 Skulpturen bieten einen exzellenten Querschnitt, was zwischen Rokoko und Klassizismus in Berlin an figürlichem Porzellan aus den Brennöfen kam. Zwei Drittel des Vorkriegsbestands wurden im Krieg zerdeppert oder sind verschollen.

Ohne den Porzellannarr Friedrich den Großen wäre die Produktion des weißen Goldes an der Spree nicht so glorios in Gang gekommen. Allerdings fußte das 1763 gegründete Staatsunternehmen Königliche Porzellan-Manufaktur KMP auf zwei privaten Start Ups. Darin eiferten die Unternehmer Wegely und Gotzkowsky der Manufaktur Meißen nach. Wie heikel die Verarbeitung des Werkstoffs Porzellan ist, erklärt die Ausstellung Schritt für Schritt anhand von Arbeitsproben, Gussformen und Rohplastiken. Vom ersten Tonmodell über das Zusammensetzen Dutzender Einzelteile bis hin zu Glasur und Hochtemperaturbrand bei 1450 Grad, bei jedem Schritt konnte etwas schiefgehen. Für aufwendige Aufträge fertigte man daher stets mehrere Versionen, insbesondere wenn es um hochrangige Staatsgeschenke ging. Einen vielteiligen Tafelaufsatz etwa ließ Friedrich der Größe für Katharina die Große fertigen. Hohe Politik im Medium Porzellan.

Die Modellmeister verstanden sich als veritable Bildhauer und waren es auch. Eine Pionierrolle für Berlin spielte Friedrich Elias Meyer, der aus Meißen übersiedelte und von dort perfektes Knowhow mitbrachte. Sein jüngerer Bruder Wilhelm Christian Meyer steuerte als freier Mitarbeiter der KPM seine Innovationsfreude bei. Später lieferte auch der berühmte Johann Gottfried Schadow Entwürfe. Seinem ernsten Flussgott geht alle Leichtigkeit des Rokoko ab, dafür verkörpert er die stille Einfalt und Größe um 1800 in Reinkultur. Die Farbklänge des Rokoko, mintgrün, zitronengelb, fliederfarben und zartrosé, sind nun passé. Reinweiß muss es sein, selbst bei den Porträtbüsten. Deren Details allerdings wurden so präzise ausgearbeitet, dass es keine Bemalung mehr braucht.

Alle Erdenschwere lässt das wunderbare Duo Zephyr und Psyche von Johann Carl Friedrich Riese hinter sich. Die Füße des Windgotts schweben bereits frei in der Luft und auch die von ihm entführte Königstochter hält fast nichts mehr hier. Die ausgeklügelte Komposition schwingt sich luftig in den Raum, will von allen Seiten betracht und bewundert werden. Ihren aristokratischen Besitzern dienten solche kostbaren Porzellanfiguren oft als Tischschmuck. Zwischen Tellern und Terrinen lieferten sie Anlass zu klug-amüsanten Gesprächen: Keine Gebrauchskeramik, sondern purer Luxus.

"KPM – Bildhauerkunst im Kleinformat"
Kunstgewerbemuseum Berlin
Bis 29. Januar 2017
Di–Fr 10–18 Uhr, Sa u. So 11–18 Uhr
Bestandskatalog "Die Berliner Porzellanplastik und ihre skulpturale Dimension. 1751 – 1825", Verlag Schnell+Steiner, 640 Seiten, 86 €


Erstdruck: DER TAGESSPIEGEL vom 28. Oktober 2016
© Text: Elke Linda Buchholz
 

Diese Seite ist ursprünglich in anderem Layout erschienen. Für die Langzeitarchivierung wurden Bilder und Links entfernt. Aktuelle Verlinkungen, Kontaktadressen und ein aktuelles Impressum finden Sie auf www.text-der-stadt.de





ARCHIV