Außerdem soll im Zuge einer konstruktiven Kritik über die Beschreibung der Problematik hinaus eine mögliche Lösungsstruktur aufgezeigt werden.
Es geht mir darum, abseits einer Beurteilung in den Kategorien "gut" und "schlecht", eine Bestandsaufnahme des status quo der Serie zu versuchen und ein "Kritikkonzept" zu präsentieren, das versucht, mögliche Ursachen des Unmuts mit unserer "Lieblingslektüre" aufzuzeigen.
Man kann beinahe sagen, eine Serie ist ein "Lebewesen", d.h. eine Seriengestalt entwickelt sich, baut sich auf, wird erwachsen, bekommt wöchentlich neue Nahrung - geliefert durch die neuen Hefte.
Die Seriengestalt ist zu Beginn keimförmig angelegt (wie jedes neue Lebewesen), im Zuge
ihrer Entwicklung (der fortschreitenden Handlung) baut sie auf, geht Irrwege, ist
ergänzungsbedürftig und wandelbar.
Das Ganze dieser Figur besteht nur in seinen Teilen (den einzelnen Heften), die zwar Teile des
Ganzen sind, die das Ganze aber immer neu herstellen und variieren, herausfordern, in Frage
stellen, stabilisieren und ergänzen.
Eine Serie existiert auf zwei Ebenen, einer imaginären und einer materiellen.
Auf der imaginären Ebene existiert sie zur Gänze in den Köpfen der Leser, sie erst geben den
einzelnen Teilen ihren übergreifenden Rahmen.
Materiell besteht die Serie in ihren Teilen nur auf dem Papier, den Heften.
In dieser "Darreichungs"-Form hat sie eine sehr starke "Sogwirkung", die in der Regel
zuverlässig dafür sorgt, daß die Leser "dabeibleiben", auch über "Durststrecken" hinweg.
Das freut den Verleger...
Der haltgebende Aspekt bei Rhodan ist (unter anderem) das Stabile, der Halt, an dem man sich
festmacht.
Bei all den Gefahren aus unbekannten Galaxien, überlegenen Gegnern und äonenlangen
Großprojekten, bei aller Überlegenheit der anderen Technik, hat man in der terranischen
Seite mit ihrer Kultur, Moral und Technik einen Anker, von dem aus man sich überhaupt erst
auf "das Andere", das Unbekannte einlassen kann.
Der Ausgangspunkt, um sich auf etwas Fremdes einzulassen, ist das "Eigene", der Bereich, in
dem man sich auskennt wie in seiner Wohnungseinrichtung oder seinem Stadtviertel.
Ohne solche Bezugspunkte läßt sich kein Verhältnis aufbauen, kein "Heimischwerden" be-
werkstelligen und schon gar keine Anbindung an "seine Serie" ableiten!
Dieses "Eigene" ist in unserem Falle die terranische Seite.
Das heißt im Einzelfall die terranische Kultur (von der wir herzlich wenig wissen), die
terranische Moral (die eher im Hintergrund steht und vage wie eine idealisierte Version
unserer eigenen aussieht) und die terranische Technik.
Die stellt das einzig Handhabbare dar, die einzige verläßliche Größe, ein Faktum, mit
dem wir (buchstäblich) rechnen können.
Damit können wir uns einrichten, sie läßt einen Größenvergleich mit anderem erst zu.
(Wie mächtig sind die Laren, wenn ich nicht weiß, wie mächtig ein Paratron-Schirm ist?? Auch
Fotografien zeigen erst im Vergleich die wahren Größenverhältnisse. Ein vermeintliches
Steinchen wird nur dann kein Berg, wenn ein Mensch, etwas Bekanntes, als Maßstab die Ver-
hältnisse klarstellt.)
Jeder kennt den Drang, Dinge zu vollenden und das "gute Gefühl", wenn sich etwas schließt.
Wer würde nicht wütend protestieren, wenn beim Musikgenuß plötzlich der letzte Ton fehlte
oder der Mörder unentdeckt bleibt, weil die berühmte letzte Seite fehlt?
Selbst wenn es keine logischen Zusammenhänge gibt, stellen wir welche her, aus Schatten
werden Monster, Lichtreflektionen zu UFOs und Gerüchte zu Tatsachen.
Die Grundtendenz des Seelischen, Dinge zu vervollständigen und Zusammenhänge herzustellen,
wo (noch) keine sind, ist DIE Voraussetzung für das Existieren von Serien und das lustvolle
Erleben derselben.
Gleichzeitig ist man auch "außerhalb" der Serie, man steht "über den Dingen", ist nicht wirklich
betroffen. Schließlich ist das alles nur Fiktion, eine erfundene Geschichte.
Das ermöglicht die Reflexion, man selbst hätte bestimmte Dinge ganz anders gemacht und
kann über die angebotenen Lösungen in einen Austausch treten, ja sie sogar kritisieren, ohne
die Lust an der Serie zu verlieren.
Das ist das zweite Standbein, das "Besser wissen".
Ohne die Überlegenheit des eigenen Standpunkts, die Rückbezüglichkeit auf die reale Umgebung
ist ein Aufgehen, ein "Eingespannt"-Werden, gar nicht möglich.
Es geht beim Serienerleben immer um einen Austausch zwischen den beiden Polen.
Wenn die Serie es nicht schafft, den Leser ZWISCHEN den beiden Polen zu halten, wird er sich
zwangsläufig langweilen und sich anderem zuwenden.
Kritik stellt also eine Form von Bearbeitung dar, einen Kompromiß, mit dem man sich "seine
Gestalt" handhabbar und behandelbar macht. Sie ist ein Herstellungsprozeß!
Überschreitet diese Kritik ein bestimmtes Maß, führt das zum Abbruch der Gestaltung.
Wenn eine Serie es also schafft, die Mehrzahl der Leser über dreißig Jahre bei der
Stange zu halten, so ist das eine Leistung, die man nicht unterschätzen sollte!!
(Vor dem Hintergrund, daß sich ein Verhältnis zur Serie individuell ausgestalten läßt, ist zu
verstehen, wie es zu dieser weiten Streuung der Leser von Perry Rhodan kommt:
Professoren und Arbeiter, Arme und Reiche, alles ist einträchtig vertreten.)
Herr Schwettmann beklagt diesen für Marketingfachleute unangenehmen Umstand, der aber
mittels einer genaueren Untersuchung durchaus präzise aufzulösen wäre. Nur eine Abkehr vom
traditionellen "Zielgruppendenken" weg hin zu einer Psycho-logischen Markt- und Standort-
bestimmung kann da stützend greifen. Aber das führt vom eigentlichen Thema weg.
Es entsteht also im Erleben eine Art Grundgerüst, ein untergespanntes Netz, dessen
Tragfähigkeit immer neu hergestellt wird, hergestellt werden muß!
Nur so kann sichergestellt werden, daß die Serie zur Ganzheit wird!
Man "ahnt" nach einiger Zeit, wo der Hase langläuft, wie es weitergehen müßte und existiert in
einem Gefühl der "unbegrenzten Durchschaubarkeit".
Das ist es, was einem die Serie über Höhen und Tiefen rettet, was einem den Rhodan-Kosmos
so angenehm gestaltet. Ein nicht unwesentliches Element ist, daß man sich auf bestimmte
Dinge verlassen kann.
Wenn nun auf einmal ein wesentliches tragendes Element entfernt oder verändert wird, ist das
ein Eingriff in diese tragfähige Gestalt, der "vorsichtig formuliert", als sehr störend empfunden
wird.
Es geht bei der "Degrader"-Debatte (der allgemeinen Klage über das unbegründete Ver-
schwinden von Technik) also nicht um das Gejammer einiger Weniger, die sich die Triebwerke
ein wenig schneller wünschen.
Es geht vielmehr um Probleme bei der Herstellung einer konsistenten Welt, in der die Leser ihr
Universum erschaffen. Wenn es durch Brüche in der Handlung keinen Ausgleich zwischen den
Polen mehr gibt oder eine Kompromißbildung zwischen den Polen beim Leseerlebnis nicht
mehr möglich scheint, kommt es zum Phänomen der "Degrader"-Debatte.
Es soll nicht darum gehen, zu dieser Debatte noch beizutragen; im Gegenteil, nach einigen Wochen des Lesens scheint alles dazu gesagt, dennoch ist es höchst erstaunlich, daß dieser Thread nicht einschläft. Im Gegenteil, es scheint als wäre dieses Thema genauso unsterblich wie die Titelhelden.
Zunächst wird eine merkwürdige Doppeltheit beklagt.
Eine Seite betrifft die Geschichtenebene, die andere Seite eine Metaebene.
Merkwürdigerweise wird zwischen beiden Ebenen nicht getrennt, die Ebenen geraten sogar des
öfteren durcheinander.
(Wir wissen aber schon, daß es sich um das Verhältnis "Heimat" - "Bescheidwissen", handelt.)
Wenn solche Phänomene erzählt werden, ist es ganz natürlich, daß der Berichtende nicht alles
schön der Reihe nach und säuberlich geordnet erzählt.
Man muß das Gesagte übersetzen, die Klagen, das Lob, die Einwände sind Hinweise auf das,
was "dahinter" steckt.
"Geschichten", Bilder und "Realität" existieren immer in- und durcheinander, die Ebenen lassen
sich im Alltag nie so genau trennen. Erleben und Geschichten, Reales, Hintergrundwissen, alles geht wild
durcheinander, nur durch ein entsprechendes Systematisieren und Befragen kann man zum
Kern der Sache kommen.
Zur besseren Kennzeichnung ist es daher nötig, immer wieder eine Standortbestimmung zu machen, zu beschreiben wie die "Geschichtenebene" und die "Metaebene" aussieht. Auch aus dem Durcheinander lassen sich Rückschlüsse ziehen.
Die Geschichtenebene betrifft alle Aspekte, die innerhalb des Rhodan-Universums existieren; in
diesem findet der Leser sich wieder, es ist gleichsam das Material, mit dem wir umgehen. Und
auch das Material, auf das sich diese Untersuchung stützt.
Die meisten geäußerten "Klagen" beziehen sich zunächst auf diese Ebene, man beklagt eine
"nichtexistente" Technik, kommentiert Verhaltensweisen "fiktiver" Personen als wären es
bekannte, reale Dinge. (Man findet sich zurecht, zeigt sein Detailwissen und demonstriert
seine Sachkenntnis.)
In der Serie, innerhalb der Geschichtenlogik also, werden eingeführte Technologien scheinbar
zunehmend unverfügbarer; bestimmte Geräte verlieren entweder an Wirksamkeit oder werden
ganz vergessen. Probleme, die bei Verfügbarkeit dieser Gerätschaften keine waren, türmen sich
zu unüberwindlichen Hindernissen auf.
Auch die Protagonisten agieren zunehmend unlogisch und konfus, bestimmte
Charaktereigenschaften, die früher an ihnen bestimmend waren, sind nicht oder nur noch
eingeschränkt vorhanden (Stichwort "Farblosigkeit").
Das Ganze bekommt im Erleben des Lesers etwas Quälendes, man hat keine Lust mehr, schleppt
sich so durch, verpflichtet sich auf ein "Durchhalten".
Einige berichten, daß sie die Hefte quasi automatisch kaufen, um Lücken in der Sammlung zu vermeiden. Es etabliert sich eine Art Automatismus, der die Gespaltenheit sehr treffend be- schreibt: Man ist dabei ohne teilzunehmen (eine virtuelle Teilnahme).
Nur der Schauplatz Plantagoo verspricht bestimmte Entwicklungsmöglichkeiten, es wird ein
aufregendes Gefühl, eine Wiederkehr des "Sense of wonder" hervorgehoben:
Es sei wie zu den Anfangszeiten der Serie.
Dort allerdings gibt es nichts, was vorausgesetzt werden kann, die Helden haben nichts außer
ihrem Wissen und müssen mit dem arbeiten, was ihnen zur Verfügung steht.
Das ist ein interessantes Gegensatzpaar:
Einer Menge Handlungsträger gelingt nichts, es geht also fast um ein Festfressen, ein zähes
Mahlen, während sich in Plantagoo durch die Konzentration eine Art Feuerwerk entfaltet,
die Ereignisse scheinen sich zu überstürzen und werden als mitreißend erlebt.
Wir können bestimmte Entwicklungen ahnen, weil wir über ein übergeordnetes Wissen verfügen,
das uns die Serie überhaupt erst erfahrbar macht.
Die Diskussion um "Alaskas Tod" illustriert das sehr deutlich, sehr präzise wurde postuliert,
daß Alaska nicht sterben könne, weil "kein Brimborium bei seinem Tod" gemacht wurde, wie bei
den "Vandemaars"!!!
Außerhalb der Geschichtenlogik, auf einer Metaebene also, wird etwas ganz Ähnliches beklagt, es geht um die "nachlassende Qualität" der Autoren, die "Arroganz" einzelner, wenn sie mit Kritik umgehen sollen und das wachsende "Technikunverständnis", das an den Tag gelegt wird.
Allgemein hat man den Eindruck, den Autoren laufe das "Ganze" aus dem Ruder, man habe
eigentlich kein Interesse mehr an "seiner" Profession.
Das sind Versuche, das eigene Unbehagen zu artikulieren; auch die teilweise heftigen
Angriffe gegen einzelne Autoren finden hier ihren Ursprung.
Am besten liest man das ganze als Symptom für etwas anderes:
Eine Gestaltschließung gelingt in der Serie nicht mehr, im Ganzen nur noch mühsam. Wenn schon
die Autoren herhalten müssen, um inhaltliche Löcher zu stopfen, ist eine Kompromißbildung
fast nicht mehr möglich.
Die z. Z. "tobende" Debatte um die eigentliche, wahre Farbe des Paratronschirms sei ein Beleg dafür. Auch ohne globale Kritik am "Degrader" ist es immer wieder wichtig, sich "des Eigenen" zu versichern und die Dinge in den Griff zu nehmen.
Das geschieht vornehmlich in den Areas/Newsgroups, aber auch im Fandom, in den Leser-
briefen und Kommentaren der einschlägigen Fanzines.
Auch wenn man die Meinung vertreten kann, es sei nur ein nicht repräsentativer Teil der
Leser aktiv, so ist es ein gefährlicher Irrtum, daraus abzuleiten, daß eine Nachbearbeitung
dann bei den "passiven" Lesern unterbleibe.
Im Gegenteil:
Die oben angegeben psychologischen Prozesse sind durchaus nicht auf öffentliche Foren
beschränkt, sondern sind grundsätzlicher Art.
Wenn eine Nachbearbeitung unterbleibt, wird die Unzufriedenheit oder die schlichte
Verunmöglichung von Kompromissen eher in ein Abwandern münden.
Nur die quasi Monopolstellung der Rhodan-Serie verhindert da schlimmere Entwicklungen.
Auch die These, daß Perry Rhodan eine "Durchgangsliteratur" darstellt, muß vor diesem
Hintergrund gesehen werden.
Jede Form von Literatur, auch Rhodan, fordert eine wie auch immer geartete Form der Auseinandersetzung!!
Andererseits gibt es viel Lob für die "galaxisfernen" Erlebnisse.
Eine verstärkte Rückorientierung, ein Zurück zu den Ursprüngen, vermittelt die Hoffnung
auf etwas Frisches, Farbiges.
Man empfindet fast so etwas wie Wehmut nach der guten alten Zeit, wenn die Handlung umblendet.
Dieser "Rückkehr zu den Ursprüngen" wird die alte Frische zugesprochen, welche die Serie
einstmals ausgezeichnet hätte; in der Tat handelt es sich dabei lediglich um eine Reduktion.
Es geht also um eine Nebenfiguration, die in ihrer Vereinfachung den Reiz und die Attraktivität
des Beherrschbaren, des Überschaubaren hat.
Zwei Protagonisten, auf sich selbst gestellt, vor einem frischen, unverbrauchten Background.
Es geht um vorsichtiges Expandieren, um Überschaubares, scheinbar in sich Abgeschlossenes.
Also eine Gestaltentwicklung, die sich in scheinbar "kontrollierbaren" Wendungen bewegt.
Man "kommt zu etwas", die Verwicklungen zerfasern nicht, sondern führen zu einem zwangsläufigen
Klimax (Höhepunkt).
Es entsteht also eine Art Idealisierung, ein Momentum, das sich in dieser Reinheit nicht ganz
durchhalten läßt, wenn man die gleichzeitig existierende, nicht tot zu kriegende "Faschismus"-
Debatte beobachtet.
(Es geht hier abseits einer solchen Argumentation lediglich um die Beobachtung, daß
einfache Formen auch immer gewisse Nachteile mit sich bringen.)
Die reine, einfache, erfolgversprechende Form hat notwendigerweise ihre Schattenseiten, auch
wenn das im Bemühen um eine Wiederherstellung von Einheit höchst ungern zugelassen wird.
(Es ist eben nicht mehr möglich, als Erwachsener im Restaurant zu weinen, wenn man Hunger
hat. Man wird schon etwas bestellen müssen oder "man fliegt raus".)
Man fühlt sich in seiner Haut nicht mehr wohl, alles entzieht sich einer Vereinheitlichung, es
scheint fast, als wolle die Serie alles zugleich:
Reduktion und Gigantonomie, Helden und Antihelden, Panik und Vernunft.
Alles möglichst gleichzeitig und ohne Übergänge.
Das plötzliche "Abwürgen" von Handlungssträngen muß dabei extrem negativ zu Buche schlagen.
Wenn Entwicklungen über Dutzende von Bände aufgebaut werden, ist es zwingend notwendig, daß
ein Klimax zwar in ein paar Schlüsselromanen erfolgt, es muß darüber hinaus aber
auch eine (oft vernachlässigte) Nachsorge geben.
Man will wissen wie einzelne Handlungsstränge "entsorgt" werden, was aus den Figuren
wurde, das "Bescheidwissen" fordert unnachgiebig sein Recht.
Die Vergangenheit muß zu ihrem Recht kommen soll sie nicht zu einem Rest verkommen, der
permanent auf ein Neuaufgreifen drängt!
(Das läßt sich am Beispiel der "Abruse" recht klar veranschaulichen, noch immer wird
"Unmut" laut, weil die Bedrohung nie in einem Verhältnis zum Bearbeitungsaufwand stand.
Vor allem aber, weil das Ende fast wie mit der Axt geschlagen wirkte.)
Bei jeder "normalen" Entwicklung geht es zunächst in erster Linie um eine Vermittlung zwischen (wenigstens) zwei Polen, ein Kompromiß der sich herstellen muß.
Das heißt, man kann nicht alles gleichzeitig haben.
Indem man sich für das eine entscheidet, entscheidet man sich notwendigerweise gegen alles
andere.
Man kann nicht gleichzeitig schlafen und Radfahren.
(Für das Rhodan-Universum heißt das:
Entweder geht man nach draußen und trifft/löst/hilft etwas/jemandem oder etwas kommt von
außen und bedroht/verheißt/bedrängt. Nur läßt sich
das nicht ins Unendliche steigern!)
Nachdem die "Große Leere" jedoch genau dieses Explorationsthema nach Lesermeinung in den
Sand gesetzt hat - ein Thema, das interessanterweise jetzt wieder vehement eingefordert wird -
ist es nun die Klage über die ewigen Invasionsgeschichten, die als "immer gleich und öde"
beschrieben werden.
Das Thema, das man hat, ist scheinbar immer das Thema, das abgelehnt wird.
So muß es zumindest den Autoren vorkommen.
Doch in Wirklichkeit geht es um etwas ganz anderes, die Problematik liegt viel tiefer!
Interessanterweise ist es aber nicht die große Thematik, die vehement beklagt wird (irgendwer beklagt die immer), sondern das Phänomen des "Degraders". (Der Hamameschzyklus wurde ja in dieser Hinsicht allgemein als ganz erträglich empfunden.)
Das Quälende ließe sich scheinbar leicht auflösen, kehrte man zum "eigentlichen" zurück.
Ein wenig gleicht das der halluzinatorischen Wunscherfüllung:
Man phantasiert sich satt, anstatt zu essen.
Oder genauer, man denkt sich seinen "Fraß" schmackhaft.
(Daß zu allen Zeiten in der Serie wirksame Technik "degradet" wurde, wird des öfteren ja
gepostet. Wichtig ist aber,
daß das Verhältnis nicht mehr stimmt!)
Es geht also weder um den Verlust von Technik oder um seltsame Erinnerungslücken, es geht um den Verlust von glatten, gewohnten Schließungen, also eine Einschränkung von Hand- lungsmöglichkeiten angesichts einer sich verkomplizierenden Wirklichkeit.
Durch diese Gegensätze wird es unerträglicher, die Serie auszuhalten, da die Protagonisten die gleichen alten Antworten geben, die zunehmend deplaziert wirken. Wie passend, daß die Pro- tagonisten sich wieder einmal gegen eine Bedrohung gestellt sehen, mit der man nicht verhandeln kann.
Besonders quälend wirkt die Tatsache, daß angesichts einer überwältigenden Bedrohung keine vereinheitlichenden Bewegungen erkenntlich sind. Es will einfach keine Stoßrichtung sichtbar werden. Hätte die Erde so auf Rhodans Dritte Macht reagiert, man wäre heute noch nicht aus dem Sonnensystem hinausgekommen.
Die Hintergrundkontinuität bleibt auch nicht gewahrt, der "neue Realismus" der Serie
(verbeulte Roboter, leere Batterien) wird nicht als Bereicherung, sondern als Mangel
empfunden.
Es scheint, daß das "zu wenig" an einer Stelle durch ein "zu viel" an einer andern ausgeglichen
werden soll.
(Man sollte aber auch sehr gelungene Gegenbeispiele nicht unerwähnt lassen. Wenn man Band
1870, also das "Degrading" Goeddas nimmt, ist sehr schön sichtbar, wie es gut gemacht werden
kann. Leider stellen solche Glanzleistungen beim aktuellen Stand ein um so größeres
Ärgernis dar, da sie erst recht auf das Problem verweisen.)
Der reißende Fluß, in den das Leseerlebnis gerne geraten möchte, wird zu einem
Hindernisparkur; eine für die Serie lebenswichtige Gesamtentwicklung, also der Aufbau einer
ZyklusGESTALT, unterbleibt.
Und das ist für die Serie auf Dauer lebensgefährlich, da die Leser zunehmend frustriert in
einem Zustand des permanenten "Angeheiztseins" verbleiben (niemand hält das ewig durch).
Was also konkret passiert, wird unter dem Stichpunkt "Doppeltheit" deutlicher.
Einerseits wird alles komplizierter und undurchschaubarer, realistischer und wenig schematisch,
andererseits hält die "Ausrüstung", die zur Lösung dieses Wusts zur Verfügung steht, nicht
mit.
Als Folge versinkt man in Ohnmacht. Durch das "alles zugleich"-Habenwollen, verfehlt man
eine konkrete Ausgestaltung; wer alles will, wird nichts bekommen, alles bleibt nebelhaft
und konturlos.
(Wie auch der Thread über das Aussehen der Erde verdeutlicht. In ihm wird nur klar, daß man
eigentlich nichts über die Erde weiß.)
Wie sehr die Verhältnisse aus dem Ruder zu laufen scheinen, wird erst deutlich, wenn man die
Arten der Bedrohung genauer in den Blick nimmt.
Seltsame, unerklärliche Strahlungen zuhauf:
Hyperraumparese, der Imprint, die Todesstrahlung der Abruse, nun die "Strahlen" der
Philosophen, nicht zu vergessen die Aggressionsstrahlung der Drachen in Plantagoo.
Wohin man schaut, alles "strahlt".
In dieser Wolkigkeit versuchen die Autoren nun einen "Realismus" unterzubringen, indem
man dem Jahr1289 NGZ die heutigen Gesellschaftsverhältnisse überstülpt.
Nach Tausenden von Jahren gibt es plötzlich Fernsehnachrichten, die denen
des 20. Jahrhunderts nachempfunden sind, verbunden mit einer Sensationspresse; das Leben
eines "normalen" Arbeiters wird geschildert, Dinge gehen kaputt, Raumschiffe verlieren ihre
ursprüngliche Wirksamkeit - um nur einiges zu nennen. Die Extreme berühren sich, dem
Diffusen soll unser eigener Alltag als Anker gegenübergestellt werden, um dem Ganzen
Substanz und Halt zu vermitteln.
Hier zeigen sich erste Diskrepanzen zwischen dem notwendigen "Eigenen", dem die Autoren ja
auch Nahrung geben wollen, und dem Erleben der Leser, die DIESE Ausgestaltung als zu ba-
nale, einfache Kopie ihrer realen Welt zurückweisen!
Abschließend bleibt festzuhalten:
Der "Degrader" scheint ein Symptom zu sein, welches auf ein tieferliegendes Problem des
Erlebens aufmerksam macht.
Die Abkehr der Autoren von den grundlegenden Gesetzen der Lesegestalt fordert ihren Tribut.
Wenn sich keine Gestalten bilden können, besteht die Gefahr des Zerfaserns. Diese Auflö-
sungserscheinungen werden langsam unübersehbar.
Geschichtlichkeit bedeutet immer auch Kontinuität und die ist nunmal seit Band 1400
durchbrochen.
Es wirkt also gleichsam wie Salz in der Wunde, wenn sich die Protagonisten auf einmal wieder
an die Meister der Insel erinnern, aber die damalige Technologie der heutigen eher
überlegen scheint.
Wenn man sich an das eine erinnert, muß es auch das andere geben.
Diese Konsequenz wird verweigert, diese Verweigerung wird bemerkt, dies führt zu Kritik.
Wichtig ist, wie Asimov einmal bemerkte, eine Geschlossenheit in der Geschichte.
Für die SF bedeutet dies, daß man nicht der Versuchung erliegen dürfe, auf der letzten
Seite das Problem mittels eines Geräts zu lösen, das man aus dem Hut zaubere.
Oder um mit Willi Voltz zu sprechen:
Der Leser merkt alles!
(Es ist schon merkwürdig, daß plötzlich alte Völker, die Jahrhundertelang keine Rolle spielten,
schlagartig wieder auftauchen, bei der Technik aber genau das Gegenteil passiert.)
Als Autor wäre ich auch verunsichert, schließlich macht die geäußerte Kritik scheinbar keinen
Sinn; mache ich, was die Leser wollen, wird flugs das Gegenteil verlangt.
Mache ich, was ich für richtig halte, bin ich arrogant und leserfern, reagiere ich auf
die Kritik, hänge ich mein Fähnchen nach dem Winde.
Wie man es macht, ist es verkehrt, könnte man meinen und das wäre so, würde man die Kritik
nicht (wie geschehen) übersetzen. Erst dadurch wird der gemeinsame Nenner deutlich und ein
Grundkonsens sichtbar.
Wie ich zu zeigen versuchte, ist der "Degrader" nur ein Symptom für ein tiefergehendes Pro-
blem.
Das eigentliche Problem liegt ganz woanders:
Die Autoren haben Schwierigkeiten, was die Mischung des Ganzen angeht.
Die großen Dimensionen sind völlig aus dem Ruder gelaufen, zuviel kosmische Bestimmung,
zu viele Tausendjahrespläne, zu große Dimensionen.
(Ein schönes Indiz für meine Hypothese ist ja das oft beklagte Wiederhereinschlüpfen der
Gigantomanie durch die Hintertür. Der Metagrav braucht Jahre, um vom Fleck zu kommen und
trotzdem flitzen die Ayindi mal eben in zwei Wochen zur Großen Leere usw. )
Es geht also um ein Downsizeing der Verhältnisse - das eine ein bißchen aufpumpen, beim
anderen ein wenig Luft raus.
"Wenn es doch so einfach wäre", höre ich den geplagten Autor
seufzen, "der hat leicht reden."
Nun, es ist nicht meine Aufgabe, eine tiefenpsychologische Analyse der Leserstruktur zu liefern,
dafür gibt es entsprechende Institute und außerdem gibt das Material der Newsgroups für
solch feinen Bestimmungen nicht genug her.
So etwas läßt sich aber mittels tiefenpsychologischer Interviews sehr präzise untersuchen, und
wer weiß, vielleicht hilft den Autoren ja schon eine genauere Beschreibung der Problematik.
Abschließend: Es geht beim Serienerleben immer um ein Vermitteln zwischen den Polen des
"Eigenen" und des "Fremden".
Bezogen auf die Heftserie ist es eine Vermittlung zwischen "zu
Hause sein" und "Besserwissen"!
Konkret auf den Unmut der Leser am "Degrader" gebracht, geht es INHALTLICH um einen Ausgleich zwischen der "eigenen Technologie" und der "kosmischen Bedeutung".
Noch einmal:
Die beiden Standbeine der Perry Rhodan-Serie sind die Technik als Ausdruck des
"sich zu Hause Fühlens", und die kosmische Bedeutung, das "Zwiebelschalenmodell", das ein
Gefühl für die Zusammenhänge schafft.
In der Vermittlung dieser Pole klaffen Lücken und
Unwuchten.
Hier einen Ausgleich herzustellen wäre die billigste und schnellstwirkende
Maßnahme, die den Autoren derzeit zur Verfügung steht.
Thomas
Für weitere Fragen stehe ich gerne zur Verfügung.
Ich war u.a. längere Zeit in der Marktforschung tätig und beschäftigte mich dort unter anderem
mit Fernseh- und Konsumverhalten in Serien.
Schwerpunkte waren Explorationstechniken in tiefenpsychologischen Interviews und
Analysen von Imageveränderungen.
Thomas Hoch
Dipl.-Psych.
nc-hochth@netcologne.de
Frank Schmidt