Als er sich mit seinem besten Stammkunden Bernd anfreundet, und in Clarissa verliebt, der er von diesem fast täglich Liebesbriefe übermittelt und damit beginnt die Lieferungen einiger KundInnen zu modifizieren, wächst er über seine Rolle und die Berufsethik als Bote hinaus und gestaltet an Geschehnissen mit, die dem Jugendlichen alsbald über den Kopf steigen und seinen Phantasien die Konkurrenz ansagen...
Tempo ist zusätzlich der einzige Filmbeitrag über
die zugedröhnte rave generation, die nicht dem leichtbegehbaren
Fehler verfällt, sich immer wieder auf nachgestellte, mit filmisch
angeblich notwendigen Superlativen aufgemotzte Technopartys zu konzentrieren.
Jojo und Mitbewohner / Freund Bastian (Xaver Hutter und Simon
Schwarz übrigens genial gecastet) gehen zwar auch im riesigen
Gasometer feiern, dies entspricht allerdings nur einem Bruchteil der Filmzeit
und beinhaltet nicht nur eine authentische Atmosphäre während
der Party, sondern genauso während der Aufbruchstimmung, wenn die
Chill Out - Verpeilung zu besonders tiefschürfenden und "100 %"ig
unrealistischen Wahrnehmungen der Weltrealität führt, die sich
hier wieder vollkommen auf die Filmhandlung bezieht.
Genug der Interpretationen, Ruzowitzki macht in einer wunderschön parodierenden Szene klar Schiff, als Jojo bei seinem neuen Mentorfreund Bernd im Cabriolet am Rand eines Hügels sitzt, sie gemeinsam Wiens nächtliche Skyline genießen und der eigentlich so heterosexuelle Bernd den eigentlich so heterosexuellen Jojo verführt. Die ganze Angelegenheit hat natürlich ein bisschen etwas von Homosexualität als Nebenprodukt der schiefen Bahn, auf die mann als junger Rebell so geraten kann, irgendwo zwischen Drogenkonsum und dem Involvieren in ein Kapitalverbrechen. Untermauert wird dieses Feeling durch den filmabschließenden Satz Jojos: "Mein Gott – ich hab mein erstes Geld verdient, meine erste eigene Wohnung gehabt und zum ersten Mal mit einer Frau geschlafen – das muss man ja auch sehen!" Der erste Sex mit einem Mann, der noch vor dem mit einer Frau kam, bleibt hier unerwähnt und damit unerwünscht.
In diesem Licht kann auch die ungewöhnlich lang dargestellte aktive Sexualitäts-Verwirrung Jojos nach dem homoerotischen Abenteuer betrachtet werden, muss es aber nicht zwingend. In der Tat löst sich die Handhabe Jojos Suche nach der Selbstfindung wohltuend von der üblichen Behandlung in anderen Filmen ab. Etwas naiv vielleicht, aber pragmatisch masturbiert er erfolgreich zu schwulen Erotikmagazinen (aber in seinem Alter klappt das auch bei Telefonbüchern, wie er niedergeschlagen feststellt) und schaut seinem Freund Bastian aus ungewöhnlicher Perspektive beim Duschen zu. Der hingegen nimmt alles super cool gelassen und erkundigt sich lediglich, ob er seinem Mitbewohner denn diesbezüglich behilflich sein konnte. Jojo muss diese Frage leider verneinen, denn speziell Bastians Körper sei für ihn nicht der höchste Inbegriff an Attraktivität. Abgesehen von dem provozierten Lacher, wird damit mehr als deutlich, dass Jojo gewisse andere Männer durchaus attraktiv finden kann. Eine endgültige Entscheidung fällt der Film übrigens nicht und Ruzowitzki, der auch das Drehbuch verfasste wird mit einer Dialogszene mindestens ebenso revolutionär, wie mit dem Gebrauch der MOVIECAM SL: Jojo legt wert darauf, kein homosexuelles Erlebnis gehabt zu haben, sondern ein homoerotisches. Will meinen, selbst wenn er allgemein hetero sein sollte, sind Episoden mit dem gleichen Geschlecht nicht auszuschließen. Interessanterweise hegt Jojo gegen Bernd niemals einen Groll wegen der Cabrio-Nummer, wenn er dies auch aus ganz anderen Gründen durchaus tut, und der Film persifliert im allgemeinen RaverInnen-Groll gegen das exotische Leben der gnadenlosen Normalität auch speziell die stringente österreichische schwulendiskriminierende Gesetzgebung zur Maßregelung der Jugendlichen mit dem erbosten Ausruf Jojos an eine Beamtin: "Ich kann auf meinen Arsch alleine aufpassen!", der im Presseheft gleich über zwei Seiten plakatiert wird. Inszeniert wurde dies alles ohne jeglichen Hip- und Schockeffekt à la Crash.
Ob Ruzowitzki mit unserem Queer Watchlion einer Meinung ist, sein dahingestellt,
die Effekte bringt Tempo trotzdem hervor.
Filmdaten:
Offizieller Link: http://www.saarbruecken.de/sbnet/04/filmhaus/mop_d1.htm#tempo