NEIL JORDAN
Tagebuch und Drehbuch
Neil
Jordan brachte gerade seinen ersten Film, Angel, in die
Kinos. Die EngländerInnen lobten den Film, die IrInnen reagierten
kontrovers. Das war Ende 1982. Damals schickte der Produzent David Puttman
Jordan den Roman Cal (von Bernhard McLaverty). Der junge
Ire griff zur Feder und schrieb dem Produzenten einen Brief mit Anmerkungen.
Cal wurde dann 1984 von Pat O´Connor verfilmt, doch
Neil Jordan erhielt die Anfrage, was er über Michael Collins
wüsste. Herzlich wenig, stellt Jordan in der Einleitung zu seinem
Tagebuch fest. Was folgt, ist Neil Jordans Tagebuch aus der Zeit der Idee
zu einer Verfilmung des Stoffes (unter anderem wollten auch Michael
Cimino und Kevin Costner einen Film über Collins drehen)
bis zur New Yorker Preview im Februar 1996.
Zwölf Drehbuchfassungen entstanden in all den Jahren. Jordan drehte einen Film nach dem anderen, mit wechselndem Erfolg, und ließ dabei jede Fassung seines Michael Collins reifen. Besonders lesenswert ist in seiner Darstellung, wie sich in diesem Prozess die schließlich verfilmte Version herauskristallisierte. Jordan beschreibt nicht nur, wie die Basis der Geschichte Gestalt annahm, sondern auch wie er die historischen Figuren zusammenfassen, wie er die Fakten komprimieren musste. Damit legt er auch offen dar, inwiefern er die Geschichte tatsächlich verfälschen musste, um daraus einen Film zu machen, der funktioniert. Die LeserIn lernt eine ganze Menge über die Aufgaben einer RegisseurIn, über die Zwänge, die einem die Finanzierungsmöglichkeiten auferlegen, über die Wahl der Besetzung usw. (Julia Roberts war angeblich diejenige, die am meisten über Michael Collins wusste, bevor sie die Rolle erhielt; Liam Neeson bekam die Zusage, die Hauptrolle zu spielen, bereits vor Jahren, Jordan und Neeson lernten sich während der Dreharbeiten zu John Boormans Excalibur kennen.) Michael Collins - das Tagebuch und das Drehbuch von Neil Jordan enthält also Entstehungschronik und Ergebnis. Halten wir jedoch fest, was dieses Buch aus dem Goldmann Verlag (das Original erschien bei Vintage in London) nicht ist. Es ist nämlich keine Biographie des irischen Freiheitskämpfers Michael Collins. Hier wird keine Zusammenfassung der irischen Geschichte präsentiert, nicht einmal eine Zeittafel. Man sollte sich mit der Materie auskennen, den Film gesehen haben, wenn man sich dieses Buch zulegen möchte. Dieses enthält zwar das Drehbuch zum Film von Neil Jordan, aber dieses ist zugegebenermaßen leicht historisch verfälscht, gehorcht es vielmehr den Gesetzen der Filmdramaturgie.
John Boorman hat vor wenigen Jahren begonnen, in regelmäßigen Abständen ein Buch von Filmemachern an Filmemacher (Projections, mittlerweile 6 + 1 Bände) herauszugeben. Interviews, Essays, Drehbücher werden hier publiziert, und in jedem Band veröffentlicht ein Filmschaffender Auszüge aus seinen Tagebüchern in dem Zeitrahmen eines Jahres. Ungefähr diesen Umfang hat auch das Tagebuch von Neil Jordan. Doch ist hier die LeserInnenschaft eine andere, eine breitere Masse. Besonders die deutsche LeserIn, davon gehe ich hier einmal aus, wird sich nicht so sehr mit der britischen und irischen Filmpolitik und Filmwirtschaft auskennen, ja sie wird sogar die irischen Literaten nicht beim Namen kennen, bzw. die erwähnten Namen irgendwie einordnen können. Goldmann hätte gut daran getan, hier einen Anhang mit Notizen anzufügen, eben für das bessere Verständnis. Neil Jordan scheint sein Tagebuch nicht groß überarbeitet zu haben, bevor er es aus den Händen gab. Stellenweise kurze, gar unvollständige Sätze reihen sich da aneinander, Gedankenfetzen werden eingeworfen, so, wie eben einer Tagebuch führt. Die fremde LeserIn wird es schon verstehen. Doch die deutsche Fassung macht es der LeserIn nicht einfacher. Die Übersetzung ist schwerfällig, die Zeichensetzung mitunter seltsam. Als haarsträubend empfinde ich es, dass wohl bei der Korrekturlesung geschlampt wurde. Wiederkehrende Tippfehler, besonders bei Eigennamen (z.B. Kevin Kostner, Gwyneth Paltrau, sic!) sind peinlich.
en, Berlin
<<< Michael Collins
Neil Jordan: Michael Collins - Tagebuch und Drehbuch zu dem Film mit Liam Neeson in der Titelrolle, Goldmann Taschenbuch 1997, 254 Seiten, ISBN 3-442-43670-2.
copyright: Queer View 1997