INTERVIEW

mit dem Schauspieler

Willem Dafoe

In Platoon ist er Sgt. Elias, für diese Rolle wurde er das erste Mal für den Oscar nominiert. Er spielte Jesus in der kontroversen Verfilmung The Last Temptation of Christ. Für David Lynch steigerte er in Wild at Heart den Inbegriff des Hässlichen und in Body of Evidence machte er mit Madonna rum. Willem Dafoe wurde als eines von acht Kindern in Wisconsin geboren. Kurz besuchte er die Universität, um diese dann abzubrechen und statt dessen mit der Experimental-Truppe Theatre X die Staaten und halb Europa zu bespielen. Schließlich ließ er sich in New York nieder, er schloss sich dort der Wooster Group an, dessen festes Ensemble-Mitglied er bis heute ist. Willem Dafoe traf ich auf der Berlinale anlässlich der Aufführung von The English Patient. Zur Zeit in den deutschen Kinos: Speed 2 und Victory.

Queer View: Wann hast du das Werk Michael Ondaatje das erste Mal wahrgenommen?

Willem Dafoe: Ich habe seine Bücher vor einigen Jahren gelesen. Ich glaube, The English Patient war das letzte Buch. Ich habe The Collected Works of Billy the Kid gelesen und auch In the Skin of a Lion bzw. Coming Through Slaughter. Damals war in meinem Umfeld The English Patient sehr beliebt, und darum habe ich diesem Band lange widerstanden. Die Menschen haben sehr gefühlvoll darauf reagiert, da bin ich dann immer etwas misstrauisch. Doch Michael Ondaatje ist ein großartiger Autor.

Queer View: Trotzdem, angeblich hast du für dich keine Rolle in diesem Film gesehen.

Willem Dafoe: Am Anfang war das so. Ich war befangen, was die Rolle des Caravaggio betrifft. Nicht nur im The English Patient, ja auch in In the Skin of a Lion besetzt Caravaggio einen zentralen Charakter. Caravaggio ist so ganz anders. Er ist ein viel älterer Mann. Er ist weniger ein Altersgenosse von Hana, eher von ihrem Vater. In dem Buch kennt er Hanas Vater. Und Caravaggio ist ein sehr italienischer Typ. In meiner Phantasie hat es einfach nicht Klick gemacht. Also, ein Schauspieler liest ein Drehbuch und dann erklärt er: oh, diesen Charakter kann ich hundertprozentig spielen. Dabei mochte ich die Figur des Caravaggio, ich konnte mich auch mit ihm identifizieren. Als mich dann Anthony Minghella bat, diese Rolle zu übernehmen, erkannte ich, dass ich, mit ein paar Veränderungen, diese Figur sehr wohl spielen kann. Innerlich fühlte ich mich mit ihr sehr verbunden.

Queer View: Anthony Minghella erklärte, Caravaggio sei der Führer durch die Geschichte, der die ZuschauerIn durch den Film leitet. Meiner Meinung nach ist Caravaggio der, den das Schicksal am wenigsten entschädigt.

Willem Dafoe: Nun, ich weiß nicht. Es stimmt, er treibt die Story voran. Die Hauptstory des Filmes dreht sich um die Liebe zwischen dem Grafen und Catherine Clifton. Was die Entschädigung betrifft, ich glaube Caravaggio wird in einer gewissen Weise erlöst. Er gewinnt ein Gefühl von Barmherzigkeit und Vergebung. Anfangs wird er von Rachegefühlen geleitet, also änderte er sich, er fand für sich eine Lösung, auch wenn es kein absoluter Triumph ist. Es besitzt einen süßbitteren Beigeschmack. Der englische Patient ist am Ende seiner Reise, er stirbt. Das Schicksal des Caravaggio dagegen ist ungewiss, ja sogar das von Hana wird nicht aufgelöst. Alle suchen in dieser Geschichte die Heilung, und ihre Heilung ist nur partiell.

Queer View: Hana ist für mich das Sinnbild der Hoffnung, Graf Almássy das des Schmerzes. Ich finde, Caravaggios Charakter steht für die Wut.

Willem Dafoe: Das kannst du so ruhig interpretieren, das geht in Ordnung. Doch ich denke nicht in diesen Schemata. Ich sehe die Story und daraus entwickle ich meine Rolle.

Queer View: Almássy und Caravaggio, wer von den beiden hat mehr Verletzungen davon getragen?

Willem Dafoe: Schau, das ist kein Wettbewerb. Es spielt keine Rolle, wer von beiden wie viele Wunden trägt. Beide leiden auf ihre Art. Caravaggio wird leben. Das ist keine Frage der Sterblichkeit, ich will damit sagen, Caravaggio hat die Möglichkeit zur Gesundung. Almássy dagegen ist am Ende. Wenn du das wirklich analysieren willst, nun, Almássy spürt seine Verfehlung, die Last des Verrates. Caravaggio, da bin ich sicher, weiß gar nicht, was er getan hat, er fühlt sich als Opfer, darum kann er auch nichts wiedergutmachen.

Queer View: The English Patient ist ein wunderbares Buch, doch der Film ist in erster Linie die Arbeit einer großartigen Schauspielertruppe. Als man dir die Rolle des Caravaggio angeboten hatte, hast du dich da auf Grund des Drehbuches dafür entschieden, oder hatten deine MitschauspielerInnen einen positiven Einfluss auf die Entscheidung?

Willem Dafoe: Es ist immer eine Kombination aus beidem. Und der Regisseur ist auch nicht unwichtig. Ich war hier der letzte der Hauptdarsteller, der unter Vertrag genommen wurde, ich wusste also, mit wem ich zusammenspielen würde. Doch es ist immer das Zusammenspiel der Umstände, was die Entscheidung beeinflusst.

Queer View: Kannte man denn Anthony Minghella in Amerika?

Willem Dafoe: Jetzt ganz sicherlich. Vor diesem Film kannte man ihn allerdings kaum. Ein kleiner Kreis liebte seinen Film Wie verrückt und aus tiefstem Herzen (Truly Madly Deeply) sehr, es ist ein so magischer Film. Juliet Stevenson ist wunderbar, und auch Alan Rickman. Das intellektuelle Publikum, die Leute aus dem Filmbereich mochten diesen Film sehr. Jedoch war Mr. Wonderful ein großer Fehlgriff. Nun ja, er tauchte sozusagen aus dem Nichts auf. Doch das war mir egal, er hat ein wunderbares Drehbuch geschrieben, wenn du ihn dann triffst, nun er ist sehr warmherzig, sehr umsichtig, und ich hatte keine Vorurteile gegen ihn. Nur eins erweckte meine Neugierde: Hier war ein Mensch, der vom Theater kam, der sehr kleine Filme gemacht hat, der sehr gut mit SchauspielerInnen arbeiten kann, der verdammt gut schreibt, doch wie in drei Teufels Namen will er die Wüste ins Bild setzen? Doch dann Auftritt Saul Zaentz! Saul Zaentz versammelt immer eine sehr gute Truppe um sich. Ich meine, als Anthony die Arbeiten zu dem Film begann, da war er sozusagen ein Anfänger, doch Saul ist ein sehr, sehr, sehr großer Produzent, und die Kombination der beiden, siehe, es ist wiederum die Kombination ausschlaggebend, offerierte mir die Möglichkeit eines Abenteuers, das ich auf keinen Fall versäumen wollte.

Queer View: Und bereits jetzt gilt The English Patient als Klassiker, manche vergleichen ihn mit Doktor Schiwago.

Willem Dafoe: Das alte Thema. Wenn du etwas machst, dann konzentrierst du dich nur auf die Gegenwart. Besonders wenn du on location drehst. Ja, in Los Angeles, denn dann befindest du dich sozusagen in der Höhle des Löwen, dann kann es passieren, dass die Industrie und auch man selbst abwägt, was passieren wird, wie es sein wird, ob es gut werden wird, bla bla bla. Doch wenn man da draußen ist, dann ist das das Leben. Man beschäftigt sich mit den Problemen, die sich gerade ergeben. Jedes positive Erlebnis saugst du auf. Nur die Gegenwart ist real. Ich bin auch so ein Typ, ich konzentriere mich immer nur auf die Gegenwart.

Queer View: Doch The English Patient ist für dich schon lange Vergangenheit.

Willem Dafoe: Stimmt. Wenn man als Schauspieler arbeitet, egal ob am Theater, doch besonders in der Filmwelt, wo alles aufgestückelt wird, und wo deine Arbeit durch viele Hände läuft, Cutter, Komponisten, jeder gibt seinen Teil dazu bei, dann ist es wichtig, dass man sich diszipliniert: Als Schauspieler erschaffst du etwas, doch dann musst du loslassen. Man darf nicht an etwas kleben bleiben, daraus lernt man nichts. Zum Beispiel am Theater: am Anfang stimmt der Rhythmus nicht, irgendetwas ist nicht in Ordnung. Wenn du dir jetzt darüber den Kopf zerbrichst, wenn du dich daran festbeißt, dann wird das nur schlimmer und schlimmer. Bleib in der Gegenwart. Verschwende deine Kraft nicht für die Vergangenheit oder an Pläne für die Zukunft.

Queer View: Du musst deine Zeit zwischen dem Film und der Wooster Group aufteilen.

Willem Dafoe: Ja, gerade arbeiten wir an einem Stück von Eugene O'Neill, The Hairy Ape. Ich beende in einer Woche die Dreharbeiten zu Speed 2 – Cruise Control, in dem ich den Bösewicht gebe. Es ist ein Höllenspaß. Ich mache es nicht für das Geld. Aber es ist Zeit, sich wieder in einem großen Film zu zeigen. Es ist schön und gut, kleine Filme zu machen, doch besonders in Amerika gibt es Schwierigkeiten, sie zu verleihen. Sie werden in Europa gezeigt, weniger in den Staaten. Wenn man in zu vielen kleinen Filmen mitspielt, dann verschwindet man irgendwann von der Bildfläche, man wird in seinen Möglichkeiten eingeschränkt.

en, Berlin
Foto 1: Der englische Patient
Foto 2: Victory / © Jugendfilm
Foto 3: Speed 2 – Cruise Control / © 20th Century Fox

Filmbesprechung: Speed 2

Filmbesprechung: Victory

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