Nico Icon

„Der einzige Grund, warum ich mich nicht erschieße, ist, daß ich wirklich einzigartig bin." Nico

Nico

Nico – © Petra Gall (Berlin)

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„Mondgöttin", so nannte Andy Warhol die geheimnisvolle, schweigsame Schönheit, die es verabscheute, schön genannt zu werden. Sie war eine Sängerin, eine Songschreiberin, ein Modell, ein Junkie; sie war wahrscheinlich der einzige Popstar, den Deutschland je hatte. Christa Päffgen starb 1988 auf Ibiza, sie hatte einen Unfall mit ihrem Fahrrad. Touristen brachten sie in ein örtliches Krankenhaus. Vielleicht haben die diensthabenden Ärzte ihre Einstiche vom Drogenkonsum gesehen, sie verweigerten die Behandlung. Sie kannten Christa Päffgen nicht. Sie war Nico, die Einzige, die „Mondgöttin" von Velvet Underground.

Susanne Ofteringer drehte nun eine einmalige Dokumentation und es ist nicht notwendig, etwas über die Hauptdarstellerin des Filmes zu wissen. In 72 Kinominuten wird die ZuschauerIn mit Ton- und Bildmaterial über Nico und ihr Umfeld eingedeckt, eine dichte Informationsflut mit Konzertausschnitten und Interviews. Nico - Icon setzt in den 80er Jahren an, mit dem ermüdeten, dem Tod schon nahem, Rock´n´Roll-Junkie. „Here she comes...", die Leinwand zeigt ihr Gesicht, eine Archivaufnahme, die Kamera hält den Blick ihrer Augen im Visier. Wir sehen den Ausschnitt eines Konzertes in Manchester. Nico: die Aufnahme ist dunkel, sie erscheint uns alt. Doch das Gesicht, es strahlt noch immer. Wir drehen die Zeit vor, ihr Grab wird gezeigt. Die Dokumentation dreht sich um die Drogen. Inzwischen kann sich die Regisseurin des Interesses ihres Publikums sicher sein. Wie konnte es dazu kommen? Wer war in Wirklichkeit Nico?

Das Drehbuch blättert zurück. 1938 wird Christa Päffgen geboren. Sie wächst, im Schatten des Zweiten Weltkrieges, in Lübbenau, in der Nähe von Berlin auf. Ihr Vater stirbt noch während des Krieges. Helma Wolff, die Tante von Nico, zeigt uns alte Photographien von einer 12jährigen Prinzessin. Ein hübsches Mädchen, zurückhaltend, etwas schüchtern. Sie ähnelt ihrem Vater und der war ein Abenteurer. Mit 16 Jahren kommt sie in Paris an. Sie weiß sich zu bewegen, sie wird ein Modell bei der Vogue. Die Modewelt liegt ihr zu Füßen. Fellini besetzt sie in seinem Film La Dolce Vita. Sie lernt einen französischen Schauspieler kennen, es ist Alain Delon. Ihren Namen, denn Christa, das ist so Deutsch, ihren Namen entlieh sie sich von Nico Papatakis, einem Regisseur, mit dem sie in Paris zusammenlebte.

Seltene Schätze hebt diese Dokumentation, zum Beispiel wird uns ein alter spanischer TV-Reklameclip gezeigt. Es folgt New York. Nico besucht die Schauspielschule von Lee Strasberg, Marilyn Monroe ist im selben Jahrgang. Sie lernt Bob Dylan kennen, er stellt sie Andy Warhol vor. Warhol macht aus ihr den Superstar Nico. Bis sie von Lou Reed aus der Gruppe Velvet Underground hinausgeworfen wird, ist ihr Platz in der Factory. Susanne Ofteringer hat sie alle aufgesucht: die Überlebenden. Sterling Morrison war der Erste gewesen, der auf ihre Anfrage reagiert hatte und er half ihr dann auch bei den weiteren Recherchen. Paul Morrissey berichtet über Nico, überwiegend er führte Regie bei Warhols Filmen. Viva kommt zu Wort, der Star von Warhol und Malerin. Danny Fields, er ist Journalist, stellte Nico Jim Morrison vor. Jackson Brown, ihr Liebhaber. Jonas Mekas, ein Freund und der Mentor der Warhol-Filme. Nur Lou Reed äußert sich nicht zu Nico. Mo Tucker wusste nichts zu erzählen, denn Nico und sie lebten in zwei so verschiedenen Welten (diese Stellungnahme wurde von den Produzenten herausgeschnitten). Iggy Pop war zu sehr mit Arbeit beschäftigt, doch ein gemeinsamer Videoclip entschädigt die SammlerIn seltener Aufnahmen.

Ursprünglich sollte die Dokumentation ein Diplomfilm werden. Susanne Ofteringer, heute 34 Jahre alt, hörte mit 15 Jahren das erste Mal die Musik von Nico. Mehr als die üblichen Halbwahrheiten wusste sie auch nicht über die Sängerin. Die Factory von Andy Warhol war berüchtigt um sein Schaffen von Mythen. Zur Recherche bereiste die Regisseurin die Welt, zwei Jahre lang sammelte sie an dem Material. Damit allein war es nicht getan, die Suche nach den RechteinhaberInnen und die Beschaffung der Rechte für eine Verwendung des Bild- und Tonmaterials gestalteten sich schwierig, doch überwiegend traf sie auf helfende Hände.

Nico & Andy Warhol

Nico & Andy Warhol – © Steven Shore

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Nur Alain Delon wagte sie nicht anzusprechen. Sie hatte Angst, der Schauspieler würde ihre Arbeit hindern, evtl. verhindern. Die Kamera schießt auf Ari, den Sohn von Nico und Alain Delon, 1962 wurde er geboren. Er war das Maskottchen der Factory, bis ihn die Großmutter (väterlicherseits), die aus der Presse von der Existenz ihres Enkelkindes erfuhr, ihn zu sich nahm, ihn adoptierte und aufzog. Es gehört zu den gefühlsmäßig aufwühlensten Momenten, wenn wir an den Lippen von Edith Boulogne hängen. Bei der Uraufführung von Nico - Icon auf den Filmfestspielen 1995 in Berlin (und seitdem hat die Dokumentation die Festivals rund um den Globus bereichert, im Mai 1996 endlich wurde er auch vom ZDF, für den er ursprünglich gedreht worden war, ausgestrahlt), und das Publikum sich regelrecht prügelte, um in die ausverkaufte Vorstellung zu gelangen, herrschte eine seltsame Stimmung. Ausgerechnet Alain Delon war Ehrengast der Berlinale, der für sein Lebenswerk mit einem Goldenen Bären ausgezeichnet worden war. Man hatte Alain Delon, der die Vaterschaft bis zum heutigen Tag verweigert (dabei sieht Ari seinem Vater sogar ähnlich), um Einwilligung gebeten, bevor man das Werk ins Programm aufnahm. Edith Boulogne, seine Mutter, berichtet der Kamera schweren Herzens, dass, als sie sich zwischen ihrem erwachsenen Sohn und dem noch unmündigen Enkel für das Kind entschieden hatte, ihr Sohn den Kontakt zu ihr endgültig brach. (Edith Boulogne verstarb inzwischen.) Ari gesellte sich mit 18 wieder zu seiner Mutter, die damals in Manchester lebte und musizierte. Sie lebten zusammen, und Nico war es, die ihren Sohn auf Heroin brachte.

Über ihren Drogenkonsum berichtet auch James Young, Mitglied der englischen Band von Nico. Die Beteiligten an dieser Dokumentation könnte ich noch seitenlang aufzählen, doch ich könnte Susanne Ofteringer in ihrer gründlichen Ausführlichkeit nicht übertreffen. So tun wir auch gut daran, uns den Film mehr als einmal anzuschauen. Ofteringer wahrt den respektvollen Abstand zu Nico, aus ihrem Star macht sie keine Heldin. Icon, Ikone, ist zufällig ein Anagramm von Nico. Nico verdient unsere Aufmerksamkeit und unsere Geduld. Ihr letztes Konzert hat sie 1988 im Planetarium in Berlin gegeben. Den Film schließt eine Hommage von John Cale. In Planung war 1995 noch eine Art Soundtrack zu dem Material. Doch die unzähligen Platten von Nico sind auf immer neuen Plattenlabels erschienen, wurde sie doch immer wieder aufs Neue hinausgeworfen. Diese Firmen müssten jetzt an einen Tisch gebracht werden. Bis dahin bleibt uns der Film Nico - Icon, in einer Leinwandfassung und in einer gekürzten TV-Fassung.

en, Berlin

copyright: Queer View 1996

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Related film: I Shot Andy Warhol (in English and auf Deutsch)