INTERVIEW
mit dem Regisseur

Ivan Fila

Achtung!
Dieses Interview gibt Aufschluss über Teile des Inhaltes des Filmes Lea und könnte der LeserIn, die den Film noch nicht gesehen hat, einiger Geheimnisse berauben.

QV: Du hast zu deinem Film Lea auch das Drehbuch geschrieben. Warum hast du die Lea als deine Hauptperson gewählt, wo es doch dir als Mann hätte einfacher sein können, die Geschichte aus der Sicht der Rolle des Mannes zu erzählen?

Ivan Fila: Der Film heißt Lea, aber ich sehe da keine eindeutige Hauptrolle. Es werden zwei unterschiedliche Lebensgeschichten erzählt. Beide sind gleich wichtig, daher würde ich nicht sagen, dass es da eine Hauptrolle gibt. Ich würde die Rolle der Lea nicht der vom Strehlow bevorzugen, nicht, was die Wichtigkeit angeht. Mit Lea beschäftigt man sich etwas länger, weil auch die Kindheit in ihrem Fall gezeigt werden musste.

QV: Ich habe den Film ohne Vorinformationen gesehen, so wusste ich erst, als ich die Uniform des Strehlow in dem Raum sah, dass dieser Mann in der Fremdenlegion war. Ist es dir wichtig, dass die ZuschauerIn das erst zu diesem Zeitpunkt in dem Film erfährt, dass man dann erst weiß, dass auch er eine Vergangenheit hat?

Ivan Fila: Seine Vergangenheit war schwierig zu zeigen. Hätte ich diese in Rückblenden erzählt, dann wäre das filmisch etwas unbeholfen gewesen. Also präsentierte ich sie Stück für Stück dem Zuschauer, und Stück für Stück muss dieser auch Lea erfahren. Ein dramaturgischer Griff. Ich hielt es für notwendig, die Geschichte in dieser Form zu erzählen, sonst hätte man alles verraten, und das Geheimnis wäre weg. Doch der Film lebt auch von der Spannung zwischen den beiden Personen, von den Geheimnissen der beiden, die nach und nach preisgegeben werden. Gäbe es diese Spannung nicht...

QV: Die Sympathien der ZuschauerInnen sind in erster Linie bei Lea, noch dazu verhält sich Strehlow zuerst wie einst ihr Vater. Dieses Gefühl hat man: Er ähnelt ihrem Vater, oder zumindest dem, was sie von ihm in Erinnerung hat. Strehlow hat einen sehr schlechten Stand am Anfang, und die ZuschauerIn lernt ihn erst nach und nach kennen. Mit wem konntest du dich eher identifizieren, als du das Buch geschrieben hast?

Ivan Fila: Ich mag beide. Beide haben eine jeweils andere Vergangenheit. Strehlow ist nach außen hin, nur nach außen hin, anfangs ein brutaler, roher Mensch, doch hinter seiner Brutalität verbirgt sich eine sehr weiche Schale. Wir erkennen sie, und ich glaube, wir fangen auch an, irgendwann Strehlow zu mögen, zu begreifen, sogar auch zu lieben.

QV: Hast du ihm deswegen den Beruf des Restaurators gegeben, denn das ist ein sehr warmer, sehr herzlicher Beruf?

Ivan Fila: Ja, das war der Grund. Es war eine sehr wichtige Frage, was für einen Beruf er ausüben wird, weil das natürlich sehr viel mit seinem Inneren zu tun hat. Diese Zärtlichkeit, mit der Strehlow seine Möbel behandelt, diese Zärtlichkeit ist auch in seiner Seele, aber die kann er nicht formulieren, artikulieren, die kann er anfangs nicht rüberbringen. Er war so viele Jahre in der Fremdenlegion, er weiß nicht mehr zu lieben, er weiß nicht mehr zu zeigen, dass er auch Gefühle hat. Das sind seine Schwierigkeiten, deswegen mögen wir ihn auch.

QV: Der Film endet sehr, sehr traurig. Ist es nicht gemein, Lea sterben zu lassen?

Ivan Fila: Nein. Neulich in Skandinavien, auf einem Festival in Stockholm, hat ein Journalist geschrieben, Lea sei eine Geschichte über „the beauty of sadness", und der hat es absolut genau getroffen. Diese Formulierung gibt es auch im Deutschen eigentlich nicht, sie trifft es so genau. Ich finde, wenn sie weiterleben würde, wäre das zu einem Kitsch, die Geschichte wäre unglaubwürdig, der Zuschauer würde mir nicht folgen, ich hätte den Film zerstört. Zweitens suche ich auch in der Traurigkeit etwas Schönes zu entdecken, auch im Tod möchte ich etwas Positives, etwas Optimistisches entdecken, deswegen habe ich sie sterben lassen. Der Zuschauer kann über sein eigenes Schicksal, sein eigenes Leben reflektieren. Und wenn man traurig ist und am Ende des Filmes weint, ist das auch ein schönes Gefühl fürs Kino.

QV: Woher hattest du die Idee zu dieser Geschichte?

Ivan Fila: Die Geschichte habe ich mir ausgedacht, komplett. Sie war eines Tages da. Ich weiß es nicht, es entstand auch in so einer Phase von gewisser Traurigkeit, vielleicht mag man es Depression nennen.

QV: Lea ist dein erster großer Film...

Ivan Fila: Ich habe ca. 15 lange Dokumentarfilme gemacht. Ich wollte immer Spielfilme drehen, doch es war immer problematisch, das Geld aufzutreiben.

QV: Wie war das bei Lea mit der Finanzierung?

Ivan Fila: Überraschenderweise war es sehr einfach. Alle Förderungen, die wir beantragt hatten, haben wir auch bekommen, und das Fernsehen, das ZDF und ARTE, haben auch mitgemacht. Es war nicht weiter problematisch, und der Film war relativ preiswert, er kostete drei Millionen. Bei dem Budget lassen sich Filme relativ schnell finanzieren.

QV: Ich habe gehört, du hast dich mit Dostojewskij beschäftigt.

Ivan Fila: Ja, also es gibt da ein Drehbuch, das mit Dostojewskij zu tun hat, und in irgendeinem Film werde ich das irgendwann realisieren.

QV: Eine Traurigkeit ist also auch in dir?

Ivan Fila: Natürlich, irgendwie. Ich fühle mich Dostojewskij verbunden, auch Bergman oder Tarkowski. In Hof sagte jemand, dass dies die „Poesie des Pessimismus" sei, und so ähnlich könnte man die Geschichte, die Lea erzählt, auch sehen, auch wenn für mich im Pessimismus etwas Optimistisches sein kann. Grundsätzlich bin ich ein Optimist. Ich spiele mit Gefühlen, aber ich mag meistens keine Happy Ends, weil sie so billig und unwahr sind. Ein trauriges Ende setzt bestimmte Kräfte, die in uns sind, frei, und vielleicht sind diese viel tiefer und schöner.

QV: Von wem sind die Gedichte?

Ivan Fila: Von mir. Früher habe ich sehr viele Gedichte geschrieben, sowohl in tschechisch, als auch in deutsch.

QV: Bist du denn zweisprachig aufgewachsen?

Ivan Fila: Nein, ich bin der Tschechislowakei aufgewachsen, dort habe ich das Gymnasium besucht und für sehr kurze Zeit schon die Filmhochschule. Ich habe bereits dort angefangen, als Regieassistent zu arbeiten. Dann bin ich 1977 nach Deutschland gekommen, habe in Köln studiert, und seit 1983 mache ich Filme. Überwiegend sind das Dokumentarfilme und Dokumentarspiele, da sie zum Teil auch inszeniert waren. Jetzt möchte mich nur noch mit Spielfilmen beschäftigen und irgendeine Kontinuität entwickeln. Ich möchte nicht, dass man wieder drei oder vier Jahre auf den nächsten Film wartet muss.

QV: Wie lange hast du an diesem Film gearbeitet?

Ivan Fila: Zwei Jahre.

QV: Wie hast du die Lea gefunden, die Schauspielerin Lenka Vlasáková?

Ivan Fila: Ich habe lange gesucht, ca. 80 Frauen habe ich gecastet, dann sind fünf übrig geblieben. Lenka Vlasáková war eine von ihnen. Ich fand sie am Theater in Prag. Es war ihre allererste Rolle in einem Kinofilm. Davor hat sie, glaube ich, erst in einem oder zwei Fernsehspielen mitgespielt. Sie ist sehr jung, 24 Jahre alt, und hat erst vor zwei Jahren die Schauspielschule beendet.

en - Berlin

<<< Filmkritik

Ivan Fila wurde in Prag geboren. Er lebt seit 1977 in Deutschland. An der Kölner Filmhochschule absolvierte er ein Studium der Filmregie und Dramaturgie.

Dokumentarfilme:
1983: Harley Heaven
1985: Salzige Träume
1987: Ein deutsches Schicksal - Margarete Buber-Neumann
1988: Die Paulskirche - Ort der Hoffnung
1989: Im Namen der Revolution
1995: Hitler - Der Erpresser

Dokumentarspiele:
1986: Protokoll einer Hoffnung
1990: Schritte im Labyrinth
1991: Geschichten aus einer anderen Welt
1993: Vaclav Havel - Ein böhmisches Märchen
1994-95: Nebel

Filmographie:
1986: Begegnung
1986: Die letzte Hexe
1986: Zwei Brüder
1986: Der schwarze Mann
1995-96: Lea

Drehbücher:
1983: Die Jagd
1985: Die Auslandskorrespondentin
1988: Das Teufelsrad
1990: Der Barrakuda
1992: Der Taschendieb
1994: Lea
1997: Close to the Edge - Über den Abgrund (in Vorbereitung)

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