Lea

Das erste Bild ist bereits dunkel, die Atmosphäre ist trüb. Ein abgeblättertes Grau herrscht vor. Die Szenerie zeigt Armut und Kälte. Im Hintergrund vernehmen wir einen schneidenden Ton, es klingt wie eine Windharfe, doch es verletzt das Ohr. Ein kurzer Lichtblick nur, ein Drache steigt. Ein kleines Mädchen bastelte ihn, doch dann ohrfeigt der Vater das Kind. Was folgt, ist nur schwer zu ertragen: Züchtigung als Bestrafung. Ebenso die Mutter, deren größtes Vergehen ihre Existenz ist, und dass sie ihrem Mann noch keinen Sohn geschenkt hat. Neben der erdrückenden Armut muss die Mutter der kleinen Lea Gewalt und Vergewaltigung ertragen. Die ZuschauerIn erlebt eine vollständige Demütigung. Lea jedoch wehrt sich gegen den Vater, es ist ein Akt der verzweifelten Selbstbehauptung, sie befreit ihre Mutter, gemeinsam flüchten sie. Doch sie kommen nicht weit. Der Vater holt ihren Karren ein. Die Mutter stirbt an seinen Schlägen.

Lea kommt vorübergehend ins Heim. Sie ist nicht wie die anderen Kinder. Sie bleibt für sich, lebt ihre lebhafte Phantasie in Briefen an ihre Mutter aus, zärtliche Gedichte, bunte Zeichnungen. Sie wird in die Obhut eines Nachbarn gegeben, dort wächst sie auf. Lea lebt ihr Leben nicht, sie erträgt es. Sie tut, was man von ihr verlangt, aber nicht mehr. Doch immer wieder stiehlt sie sich fort. Geht hinaus aufs Feld, bis zu einem alten, abgebrochenen Baumstamm, in dem sich eine Höhle befindet. Lea steckt neben dem Bild ihrer Mutter eine Kerze an und heftet ihre Briefe, Gedichte und Bilder an die Wurzeln an.

Elf Jahre später. Noch immer sucht Lea ihre Höhle auf, es ist ihr zum liebevollem Ritual geworden. Es scheint ihr einziger Lebensinhalt zu sein. Das wird umso deutlicher, als Lea an einen Deutschen verkauft werden soll. Der taucht plötzlich in dem Dorf auf. Stumm beobachtet er die junge Frau, dann geht er zu derem vermeintlichen Vater und bietet ihm Geld, damit er ihm Lea zur Braut gäbe. Lea wird gesagt, dass sie eine Arbeit in Deutschland angeboten bekommt, doch sie will nicht fort. Folglich wird sie gezwungen.

Strehlow bringt Lea auf seinen Hof, irgendwo in Deutschland. Auf der Fahrt reden sie kein Wort. Der Mann ist ebenso schweigsam wie das junge Mädchen. Sie verweigert sich, steigt nicht einmal aus dem Auto aus. Zwischen den beiden spielt sich ein Machtkampf ab, wer es wohl länger aushalte. Der Mann ist der Stärkere, er gibt Lea schließlich eine Ohrfeige, zerrt sie ins Haus. Erst auf Zwang beginnt sie sich einzuleben, mehr mechanisch, als aus innerer Antriebskraft. Doch auch hier rennt sie weg. Sie findet ihr Refugium in einem kleinen Pavillon. Strehlow weiß sich nicht zu helfen. Er kettet sie an, und in Lea brechen Erinnerungen an den Vater hervor.

Nach und nach lernen sie sich kennen. Sie findet Bilder von Strehlow, auf denen er mit einer Frau zusammen ist und glücklich wirkt. Er erkennt ihr Talent zu musizieren und kauft ihr eine Geige. Er zwingt sie, für ihn zu spielen während er arbeitet. Sie soll ihm bei seiner Arbeit, dem Restaurieren von Möbeln, zuschauen, seine einzige Möglichkeit, ihr seine empfindsame Seite zu zeigen. Umso härter trifft es ihn, dass sie an einen anderen fast täglich Briefe schreibt. Er kann nicht wissen, dass der Adressat der junge Postbursche ihres Dorfes ist, der von Leas Geheimnis weiß, und ihre Briefe der verstorbenen Mutter bringt. Strehlow fängt die Post ab, bringt sie zu einer Übersetzerin.

Ivan Fila erzählt diese sehr ungewöhnliche Liebesgeschichte vor dem Hintergrund zerstörter Gefühle. Leas Kindheit und Strehlows Vergangenheit verhindern die Liebe fast vollkommen. Misstrauen herrscht vor, doch mit der besonderen Empfindsamkeit von KünstlerInnen, die sie beide sind, finden sie ganz eigene Wege, um sich aneinander zu gewöhnen, schließlich auch Liebe füreinander zu empfinden. Die Musik und die Gedichte, alte Photographien, all das gibt mehr Aufschluss über die beiden, als dass sie je miteinander reden würden. Filas Film kommt fast ohne das Handeln seiner ProtagonistInnen aus, die Handlung bleibt passiv. Die Kamera stellt immer wieder ihre Gesichter nebeneinander, hält an ihnen fest. Fila geht sehr minimalistisch an die Szenarien heran. Es sind die kleinen Dinge, worauf er das Augenmerk setzt: das Betteln um eine Briefmarke, das Suchen nach einer Übersetzung. Der Regisseur übereilt nichts. Strehlow und Lea nähern sich fast unmerklich einander an. Die Landschaft spiegelt in seiner Kargheit fast die Verschlossenheit der Menschen wieder. Besonders eindrucksvoll ist dabei auch die Musik von Peter Hapka.

en - Berlin

Interview mit dem Regisseur

Lea, Deutschland 1996, Regie & Buch: Ivan Fila, Kamera: Vladimir Smutny, Schnitt: Ivana Davidova, Musik: Peter Hapka, Produktion: Ivan Fila Filmproduktion & Avista Film, Darsteller: Lenka Vlasáková, Christian Redl, Hanna Schygulla, Udo Kier.

Lea wurde während der Saarbrückener Filmtage und der Berlinale 1997 in der Deutschen Reihe gezeigt.