fistful of flies

Dramatische Zuspitzung des Erwachsenwerdens eines Mädchens italienischer Abstammung im lustfeindlichen Patriarchat des australischen Nirgendwo.

Mars' Momente sinnlicher Entspannung sind stets kurzer Natur. Seit jeher mussten sich die Frauen der Lupi-Familie den lustfeindlichen Traditionen der Männerdominanz beugen. Mars' Großmutter Nonna hat ihren eigenen Weg gefunden, kann ihrer Enkelin allerdings nur begrenzt gegen deren Mutter Grace, ihrer Tochter, zur Seite stehen. Die 16-jährige beginnt, die sinnlichen Seiten ihres Körpers zu entdecken. Dafür soll für sie die Hölle ausbrechen. Von der Mutter bei der Masturbation erwischt, wird sie vom Vater mit einem Gürtel blutig geschlagen. Die gerufene Ärztin soll nicht etwa die behandlungsbedürftigen Wunden versorgen, sondern ein wirkungsvolles Mittel gegen Mars' aufkeimende Lustgefühle verschreiben. Stattdessen fängt sich die Mutter eine verbale Lektion von Dr. Powers ein, der sie zunächst ablehnend gegenübersteht. Doch von der Rebellion der Tochter angesteckt und weil sie einzusehen beginnt, dass sie den Lauf der Natur nicht aufhalten kann, entwickelt sich Grace langsam zur Verbündeten ihrer Tochter und muss sich mit ihrer eigenen Sexualität und deren Frustration auseinandersetzen, wenn auch zunächst noch auf eine ambivalente Weise. Sobald der Vater nach Hause kommt und Grace zurechtschlägt, plant sie mit ihm die schnelle Verheiratung der Tochter – ein Verkupplungsversuch, der im pointierten Desaster endet. Als der cholerische Vater später eine Situation zwischen den beiden Jugendlichen als sexuell missdeutet, greift er zum Gewehr... ...Für alle die partout mehr wissen wollen...

Un pugno di mosche lautet das italienische Sprichwort für Frauen, die ihren eigenen und nicht den ihnen vorgeschriebenen Weg beschreiten. Ihnen werde nichts übrig bleiben, als "eine Handvoll Fliegen", d.h. eine Handvoll von Nichts, denn Fliegen können nicht gefangen werden. Dabei ist es genau das Nichts, womit sich Mars nicht zufriedengeben will. Sie ist nicht interessiert an einem Nichts an Sexualität, einem Nichts an Liebe oder einem Nichts an beruflicher Verwirklichung. Die Regisseurin Monica Pellizzari vertieft in ihrem Spielfilm-Debüt mit der Suche nach weiblicher kultureller und sexueller Identität Themen aus ihren preisgekrönten Kurzfilmen. Fistful of Flies behält dabei trotz gelegentlicher komischer Momente einen bedrückenden Unterton. Dass die ZuschauerIn nicht an dieser Atmosphäre erstickt, dafür sorgen eine starke Visualität mit ungewöhnlichen Perspektiven und surrealistischen Elementen. Pellizzari, die auch das Drehbuch verfasste, verlässt die allgemein üblichen Wege, indem die Beziehungen, die Mars zu ihren Mitmenschen, besonders der Mutter unterhält, eben nicht vorhersehbar sind, was dem Film einen besonders realistischen Reiz gibt. Unterstützt wird dieses Gefühl durch die Darstellung der EinwanderInnen-Familie. Die Diversifikation innerhalb einer fremden Kultur wird oftmals aberkannt, und so die nicht-italienische ZuschauerIn mit den Konflikten innerhalb der Immigrations-Kultur überrascht. In der Tat wird die Ehe der Lupis als gemischte Ehe (zwischen dem Norden und Süden Italiens) gewertet, die allein schon deshalb nicht funktionieren könne. In Fistful of Flies spiegeln sich die Erfahrungen vieler in den 60ern und 70ern herangewachsenen Mädchen wieder und doch vermittelt der Film bewusst einen zeitlosen Eindruck. Mit seinem starken Plädoyer für die Sebstbestimmung der Frau nicht nur in Form der schwarzen Ärztin Dr. Powers ("Sie stammen mit Sicherheit nicht aus dieser Gegend.") dürfte verstörender als der Film die Feststellung der Regisseurin sein, dass die wirklichen Erfahrungen der zum Film interviewten Frauen schlimmer sind, als eine FilmemacherIn es ihren ZuschauerInnen zumuten könnte – eine immer wiederkehrende Tatsache, die Fistful of Flies z. B. mit dem diesjährigen deutschen Missbrauchs-Film Roula von Martin Enlen teilt.

Fistful of Flies wird den Erwartungen eines internationalen, nicht nur weiblichen Publikums an australische und neuseeländische Produktionen gerecht, die in den letzten Jahren geschürt wurden durch Das Piano, Die letzte Kriegerin, Muriel's Wedding und Heavenly Creatures. Die mehr als zwei Dutzend internationale Preise allein für die vier Kurzfilme der Regisseurin Monica Pellizzari geben Zuversicht für einen potentiellen Publikumsliebling auch in Ländern wie Deutschland.

ki, Mailand – Berlin

Kino-Start in Deutschland ist der 23. Oktober '97 im Verleih von Arsenal.

Gesehen während der:
63. MIFED 1996

Filmdaten

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