>__Text Martin Burckhardt

Peter Dittmer
SCHALTEN UND WALTEN
[Die Amme]
Gespräche mit einem
milchverschüttenden Computer
seit 1992


Die Amme ist das Produkt einer verwickelten Beziehung zum Computer, zur Dramaturgie von Text, interagierter Kunst und hauptsächlich doch zu einer Dramaturgie der Präsenz.

Es handelt sich im Kern um ein Computerprogramm, und es gibt einen relativ guten Grund für den Namen: die Amme verschüttet Milch.
Dieses tut sie, unter wechselnden Bedingungen, seit 1992.

Einem installativen Gehäuse vor- und eingeordnet, gestattet und provoziert die Amme unmoderierte (heisst: freie, ungeleitete) Dialoge beliebiger Länge zwischen Mensch und Maschine, Maschine und Maschine, Mensch und Mensch - maschinell kommentiert.


(...)
Publikum: "Was ist der Sinn des Lebens?"
Amme: "Immer schön auf einen Stuhl
hocken bis tot umfällt da.
(...)

Initial-Konzept war die Idee vom Schalter als Nahtstelle zwischen Publikum und einer Installation, die verschiedene diskrete Ereignisse (u.a. die Milchverschüttung) in versprechender Bereitschaft hält, aber nicht ohne weiteres herausgeben sollte.

Letztlich also Interaktion, jedoch eher mit der Tendenz zum Schwierigen,zur Verweigerung, zur Nicht-Herausgabe der Kunst und zur Gefangen- nahme im Zirkel einer selbsterfüllten Verhandlung. Gerede zwischen AN und AUS.

Die Amme verfolgt keine Turing-Konzepte der Verwischung menschlichen und maschinellen Ausdrucks. Der Ansatz war - und ist geblieben -: es ist eine Arbeit über den Skandal der Sache, die sich der Sprache bemächtigt.
Zudem siedelt (hockt)sie im Kunstrahmen und ist also gleichermassen der Reflexion wie der Praxis verpflichtet, bzw. der Konstituierung eigener, originärer Praxis. Auch vergnüglicher Praxis.

Publikum: ü
Amme: Klpzk.
Publikum: oahjdajhd
Amme: Pffft.
Publikum: pfffffffft
Amme: Peng.
Publikum: bumm
Amme: Ki ki ki ki ki.

Damit die Sprache nicht in der sprechenden Sache verschwindet, entstand die Auffassung vom Sprechakt als Karambolage.
Auf omnipotente Beredtheit und logische Redlichkeit wurde erleichtert und von Anfang an verzichtet. Die Amme ist kein Griff nach der apparatenen Intelligenz, eher eine Arbeit zum Phänomen künstlich generierten Ausdrucks und über die Positionierung des bisher zurückhaltend schwei- genden Dings im Raum von Wissen und Meinen.

Geschwätz, Rahmenbruch, Anmaßung, Diskursverübelung sind die Ecken,zwischen denen die Amme verspannt ist.
Im immer vorläufigen Ergebnis schien und scheint tatsächlich das linguistische Fiasko als Grundfigur spannend und dem Material entsprechend.

Im Laufe der Zeit und einiger Ausstellungen wurde die Amme in ihrem jeweils aktuell-unfertigen Stadium immer wieder dem Publikumszugriff ausgesetzt (Versuch im Feld).
Schon mit den ersten Dialogen wurde offensichtlich, daß das provozierte Gespräch keinesfalls auf gesittete Kommunikation zielen würde: das Publikum nahm sich die Amme zur Brust (und gönnte dem Apparat die Rede nicht).

Die aufgezeichneten Gesprächsverläufe, bis jetzt ca. 200.000 Anrede-/Widerredepakete, wurden zur Grundlage für den jeweils nächsten Entwicklungsschritt.
Und so haben die rhetorischen Attacken die Amme geprägt und die Konzeptbindung früh gelockert (hemmungslose Empirie), die wörtliche Sitte scheint weitgehend suspendiert und entstanden ist ein widersprüchlicher Redepartner und linkshändiger Rhetoriker, der in seiner Fremdheit der Sprache gegenüber belassen blieb.
Neben dem unvermeidlichen poetischen Effekt führte das zu sprach-ökonomischen Verwerfungen, hinter denen auch eine ruppige Theorie des Sprechens selbst aufscheint und Rezeption sich offensiv in wilde Interpretation verkehrt, d.i.: die Verwüstung der Intention durch Interpretation.
Die Amme markiert einen äussersten und widersprüchlichen Punkt in den Ursachen für sprachlichen Ausdruck.
Die Amme ist ein Okkupant der Sprache.

Ihrer Funktion als Diskursverstärker folgend, stehen Geschmeidigkeit und Reibungslosigkeit in der Reaktion eher im Hintergrund. Die Amme verhandelt Theorie und Behauptung, repräsentiert aber gleichzeitig unvermittelt und direkt sprachliche Praxis in ihrer notdürftigsten Form, d.i.: die schwankende Diskursbalance.

Mittlerweile verfügt das Programm über ca. 320.000 Antwortmodule, zu mehr als 55.000 Variablen der Identifizierung.
Ein weiterer Ausbau der Gesprächskompetenz findet fortlaufend statt.
Vorbereitet ist auch eine Einbindung weiterer Autoren, zugunsten eines erweiterten inhaltlichen Spektrums mit dem Risiko eines inkonsistenten AmmenCharakters, bzw. einer zu erwartenden Aufspaltung in mehrere Charaktere.

Kontextverfolgung und Identifizierung der Anrede folgen der Grundfigur des Getrüpps. D.i.: eine Ballung möglichst unterschiedlicher Taktiken zur Bekämpfung der stupiden Misslichkeit nur lexikalischen Reagierens.
Allerdings: es handelt sich um billige Taktiken, die erst in ihrer gegenseitigen Verschränkung Teuerung und Komplexität erfahren.

Als Gegengewicht zur dominanten Textbindung gibt es einen umfangreichen Vorrat an Grafiken, Filmen/ Animationen und Sounds, die gesprächsbezogen vorgezeigt werden, bzw. auch zum dinglichen Umfeld der AmmenInstallationen gehören (die Itsabouts).

Für alle Beteiligten überraschend war, wie differenziert und variantenreich, jedenfalls nie unberührt, das Ausstellungspublikum auf die maschinelle Rede reagierte. - Vorerst Fuzzy Talk, aber zugespitzt vorgetragen.
Ebenso unerwartet, auch angesichts der noch notwendigen Eingabe über die Tastatur: die Unerschrockenheit und Hartnäckigkeit, mit der auch Technikskeptiker mit dem Apparat hantierten, und Leute gegensätzlichster Coleur und unterschiedlichsten Alters. Überraschend auch deshalb, weil der Appart kein verbindlicher Freund ist, der Bestätigung und Einfühlung vortäuscht: die Amme tut der Sprache Gewalt an, und dem der sie anspricht manchmal auch.
Sie ist ja tatsächlich, in ihrem physiognomischen Profil, das Beispiel für eine geschundene, öffentliche Person mit begrenztem Weltverständnis, die in jeder Ansprache auch Zumutung und drohende Überwältigung vermuten muss.
Grundform der Begegnung war der Kampf, scheinbar um das Monopol auf Selbstausdruck.
Die Amme selbst pflegt, im Grundtenor banaler Sprachfiguren und regressiver Hinwendung zu offensiver Banalität, ein bodenloses Sprechen, derangiert die gebräuchliche Ökonomie des Sprechakts, produziert Aufklärung durch antiaufklärerisches Getue, widerspricht.

Man kann auch sagen: es sind die geläufigen Taktiken der Dämlichkeit, deren frontales Autauchen im öffentlichen Rasenmäher melancholische Verwirrung stiftet.
Forcierte Themen der Amme: Milch, Gott, Welt, Affen, Darwinismus natürlich, der Apparat selbst und die generelle Sichtbarkeit.

Heute scheinen Neubewertung und Neuorientierung der Amme notwendig. Die Ordnung ist durch- einander: die Kunsthaftigkeit des Vorhabens hat sich in fortschreitender Ammenhaftigkeit verflüchtigt.
War der ursprüngliche Ansatz nicht literarisch, handelte er aber doch schon von dem Pech mit der Sprache selbst. Mit der gewachsenen Qualität dann bildete sich eine pseudoreale Textlandschaft - und spaziert man jetzt, hat es unter Umständen literarisches Format. Aber es liegt wenig Segen auf der Literaturvermutung.

Einordnungen darüber hinaus schlagen fehl und orientieren sich eher an den wechselnden Intentionen des menschlichen Gegenübers.
Die Amme bleibt weiterhin ein Bastard zwischen einer Theorie künstlich generierten Ausdrucks und seiner Praxis
:


Spiel (obwohl spielerischer Umgang naheliegend)
Kompendium (obwohl die unverfrorene Verhandlung von Weltwissen ein Thema der Amme ist)
Roman obwohl mit schwarzen und weissen Helden manipuliert wird)
Poesiemaschine (obwohl durchaus mit einem eigenwilligen Gesang begabt)
Theorieobjekt (ja, aber ...)

... = ...

(...)


Pappenkamerad: Ein quasi-dramatischer Sprechakt; mit quasi-philosophischem Hintergrund, pseudoemotionalen Verfärbungen und dergleichen Quasi mehr; quasi Wald wo schallt?
Vortäuschung, Lüge, Massverfälschung. Ungenagelte Schimäre.
Leider hat es noch nicht Ammen genug, um die AmmenHaftigkeit in einer AmmenKlasse zu verorten (ortsunflüchtig zu vernageln).

milch vs. kuh

>__Text Martin Burckhardt