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Martin Burckhardt

Von milchverweigernden Ammen,
subversiven Kaninchen und
anderen Naturwidrigkeiten
(it's art, stupid!)

Katalogtext zu "Aussendienst" und Interface 5, "Die Politik der Maschine"
Hamburger Kunstverein
2000



Wenn man ehedem gesagt hat. dass Kunst kommuniziert, so war damit stets gemeint, dass sie in und durch sich selbst kommuniziert. Eben darin bestand das Wesen der Kunst: ein Stück Leinwand, ein opakes Objekt so sprechen zu lassen, dass es dem Betrachter seinen eigenen Code aufzudrängen vermochte, dass es ihm die Sprache verschlug oder ihn zu Empörungsschreien anstachelt (die ja nur die invertierte Bestätigung dafür sind, dass der Gegenstand des Anstoßes eine eigene Sprache spricht).
Im Glücksfall aber (und die Museen sind der Beweis, dass in der longue durée einer Kultur der Glücksfall die Regel ist) begegnete der Betrachter den sprechenden Dingen mit dem Zustand der Kontemplation.
Dieses Verhalten wird vielleicht am deutlichsten in seinem fragwürdigen Abklatsch, der habituellen Kunstscham, der gedämpften Stimme, der zurückgenommenen Gestik und der Bereitschaft zur Kunstempfängnis, in jenem Verhalten kurzum, das man als eine Art gesteigerter Bedeutungsintensität kennt (Vorsicht, Kunst!) - und das strukturell jenem Kreuzzeichen vergleichbar ist, mit dem der religiöse Mensch die Schwelle des Gotteshaus überschreitet.
So wie die Religion die gemeinschaftsüberwölbende Funktion verloren hat, so sind auch die golden days der Kunst unwiederbringlich dahin.
Die schöne Trennung zwischen der Kunst und ihrem scheu-geschmacksverunsicherten Rezipienten, zwischen Sender und Empfänger, hat sich aufgelöst - was jedoch nur beklagen kann, wer noch immer die Kunstreligion und das Hochamt des einsamen, avantgardistischen Sinnstiftungspriesters im Sinn hat.
Was heutzutage sich abzeichnet, ist nicht mehr das Kreuz, sondern vielmehr das crossover, die beständige Überkreuzung, Durchkreuzung des Kommunikationsgeschehens.
In diesen merkwürdigen Hybriden aber wird der Zuschauer selbst zur Schau, Mitschöpfer wie Material des Geschehens gleichermaßen.
Ganz allgemein gesagt: das Material, aus dem ein zeitgenössisches Kunstwerk (was immer das sein mag) besteht, ist nicht mehr Leinwand und Farbe (also in einem bestimmten Sinne rituell festgelegt). sondern die Kommunikation selbst - was ja nicht heißt, dass man ab heute nicht mehr malen darf. sondern nur, dass das Bezugssystem des Malers nicht mehr die Malerei, sondern die Kommunikation ist, dass er malenderweise die Malerei kommuniziert (sieh her, ich male!).
Wenn also die Kunst nicht ausgestorben sein sollte, so wird sie, so oder so, als soziale Plastik in Erscheinung treten.

Kommunikation ist das Grundgesetz der sozialen Plastik: Wer kommuniziert wo, wie und mit wem?
Nun ist die Frage der Kommunikation nicht zu beantworten ohne die zeitgemäßen Kommunikationsmittel, die sich immerfort, in ihrer Gesetzmäßigkeit, dem Akt mit einschreiben.
Der Dialog umfasst also nicht bloß die Welt des Humanen, sondern all jener Objekte. die im Wortsinne (aber auch im psychoanalytischen Sinne) der Übertragung der Kommunikation dienen.
Was immer als Medienkunst sich tituliert, sollte dieser Problematik begegnen.
Freilich ist die Rede von den Medien der Kommunikation irreführend, insoweit jedenfalls, als die Vielzahl der Kommunikationsmaschinen in einer einzigen Megamaschine konvergieren: dem Computer.

In gewisser Hinsieht läuft der zeitgenössische Kommunikationsbegriff, in seiner radikalen Form, stets auf die Zwiesprache mit einem Computer hinaus - was zu der allgemeinen Frage führt: wie spreche ich mit einem Computer - und im Falle Dittmers: wie spreche ich mit einem milchverschüttenden Computer?

In den frühen 1960er Jahren entwarf der Informatiker Josef Weizenbaum ein Programm, das er, im seligen Angedenken an George Bernhard Shaw (der seinerseits im seligen Angedenken an die griechische Mythologie operierte) ELIZA nannte.
Der Aufbau des Eliza-Programms war denkbar einfach: ein schwarzer Bildschirm, das Promptzeichen, das die Bereitschaft der Maschine zur Texteingabe verkündete - und eine Programmarchitektur, die die Eingabe des Benutzers, kaum dass er sie mit einem Retum-Zeichen abgeschlossen hatte. ihrerseits prompt retournierte.
Gab dieser etwa ein, er sei traurig, so antwortete das Programm mit einer Gegenfrage: ach. Sie sind traurig? Warum?
Der Spiegelungsmechanismus war äußerst primitiv; weder besaß das Programm ein Modul zur Kommunikationsanalyse, noch eine Einheit, die die Bedeutung auch nur der einzelnen Wörter hätte entziffern können - weswegen von einer "Kommunikationsmaschine", geschweige von einer "Künstlichen Intelligenz" gar nicht hätte die Rede sein können.
Das einzige, was das Programm bewerkstelligte, war eine Modifikation der Eingabe, die einen Aussagesatz zu einem Fragesatz verwandelte - und so die Spannung der Kommunikation aufrechterhielt.
Nun lässt sich, in Anbetracht des simplen Programmaufbaus denken, dass Josef Weizenbaum einigermaßen überrascht war, als er bemerkte, dass seine Sekretärin (die doch um die Künstlichkeit dieses Programms wusste) sich Eliza in regelmäßigen und ausgedehnten Sitzungen anvertraute, ja, dass das Programm ihr gegenüber die Funktion eines Psychoanalytikers zu übernehmen schien.

Worin aber besteht der Beweggrund, sich einer Apparatur anzuvertrauen, von der man weiß, dass sie nichts sein kann als ein Spiegel dessen, was man selbst eingespeist hat?
Freilich: ganz richtig ist diese Betrachtung nicht, denn in einer Hinsicht (wie das Exempel von Weizenbaums Sekretärin belegt) kommt durchaus etwas hinzu.
Im Gegensatz zu einem menschlichen Gegenüber nämlich verspricht die Maschine, was ansonsten versagt bleiben muss: nichtendenwollende Kommunikationsbereitschaft und Hingabefähigkeit.
Dieses Unendlichkeitsversprechens wegen kann der Computer als eine Art Zauberspiegel, ein Container für allerlei narzisstische Phantasien wirken. Mag er kein Wort von dem verstehen, was ich eingehe. so hat er auf jede Frage doch eine Antwort.
So besehen ist nicht zufällig, dass die Maschine gleichsam zum Double narzisstischer Phantasien wird, dass man hier, im kulturellen Maßstab, jener Situation begegnet, die Lacan das "Spiegel-Stadium" genannt hat. Nur dass es hier nicht um die Ichfindung ganz allgemein, sondern um den Prozess der Ichfindung im Computerzeitalter geht.

Und damit kommen wir, endlich, zu Peter Dittmers Amme. Was aber ist die Amme?
Sagen wir, sie ist eine Nachfahrin der Eliza (die ihrerseits, eine Nachfahrin antiker Menschenbildnerphantasien ist).
Ein nicht sehr ansehnlicher Kasten mit Eigenleben.
Man mag ihr die Unansehnlichkeit zum Vorwurf machen. Indes, sie ist funktional und man sollte, um mit Alan Turing zu sprechen, einem Computer nicht den Vorwurf machen, dass er bei einem Schönheitswettbewerb nicht den Sieg davontragen kann.
Nun trägt die Frage, in welches Register die Amme einzuordnen ist, ob sie, in Ermangelung eines spektakulären Äußeren, überhaupt als ein Werk der bildenden Kunst gelten dürfe, weder der Besonderheit der Arbeit Rechnung, noch der Beschaffenheit des künstlerischen Grundstoffes, aus dem sie gebildet ist: Kommunikation, soziale Plastik.

Aber was heißt das genau: Kommunikation? Tatsächlich ist die Frage nach dem Material im Falle der Amme um so interessanter, als es hier weder um Kommunikation über etwas geht (also nicht um irgendeinen Missionsgedanken). noch um eine systemtheoretische Kommunikation über die Kommunikation.
Ebensowenig kommuniziert man hier mit den Möglichkeiten der Technik, also dem je letzten Stand der Computertechnologie: Eyetracker, Datenhandschuh, total surround.
Die Amme ist eher wie ein Kinderspiel. Wer will Milch? Na klar, jeder will Milch. Aber was, wenn der Apparat, dieser blöde Kasten, die Milchausschüttung verweigert, mit dubiosen Ausflüchten, frechen Behauptungen gar.
Dann hat das Spiel begonnen (und verlangt gar nicht mehr danach, mit irgendeinem anderen Computerspiel verglichen zu werden).

Nun läuft Dittmers Ammenprojekt schon seit einigen Jahren - und hat sich, als soziale Plastik, dem Prozess selbst anverwandelt.
Nicht bloß, dass sich hier das im besten Sinne Publikumswirksame herausgearbeitet hat, darüber hinaus hat der Kasten alles Überflüssige und Ornamentale abgestreift.
Auch dünstet er im Gegensatz zu den frühen Versionen (in den Registern als Amme I, Amme II etc. betitelt) keinen penetranten Geruch saurer Milch aus, ebensowenig wie er noch jene Kaninchen beherbergt, die - Schaltertiere genannt - als sozusagen natürliche Zufallsgeneratoren hier ihr Unwesen trieben (oder einfach über kaninchentypisch ätzende Pisse die Elektrik ruinierten).

Wie ein Spiel, das sich aufs Wesentliche beschränkt, ist die Amme eben nichts weiter als dies: ein Kasten mit Eigenleben.
Und folglich ist die Amme die Amme undsoweiter undsoweiter.
Freilich: die Berufung auf das Tautologische verunklärt eigentlich die Frage nach dem Material, aus dem die Amme besteht.
Tatsächlich steckt hinter dem Spiel etwas Hochkompliziertes, also jenes Rätsel, das den Eliza-Schöpfer Weizenbaum an seiner Sekretärin verzweifeln ließ: Was in Gottes Namen treibt die Leute an, das tun, was sie tun?
Was sind die Gesetze der Kommunikation, wenn sie das Groteske, Phantasmatische, Irrige einschließen?

Man mag über diese Frage lange Abhandlungen schreiben. man kann ihnen aber auch begegnen, wie Dittmer dies tut, in Form eines simpel anmutenden Spiels.
Das Kinderspiel, das in der Amme steckt, ist - Dittmer sagt es selbst - eine "ökonomische Groteske", ein absurdes Missverhältnis zwischen Aufwand (schwere Apparatur) und Ertrag (Milchumsturz). Strenggenommen ist dieses Spiel nur der Vorwand für etwas sehr viel Komplexeres: die Winkelzüge und Abgründigkeiten der Kommunikation.

Möglicherweise ist man am besten beraten, Dittmers Ammenprojekt als eine verbale Kampfsportart aufzufassen, eine Art Rededuell, dessen Witz ganz und gar im Rhetorischen liegt, in den Finten, Überraschungen, Verzögerungen, den Ausflüchten, in den Dialogen schließlich, die bei der Verhandlung über den Milchumsturz entstehen.
Das Glas Milch, das es dabei umzuschütten gilt, ist an sich so belanglos (oder so tautologisch) wie das Tor beim Fußballspiel - Metapher der Kommunikation, nicht ihr Endzweck.
Das eigentliche Triebwerk des Ammenspiels speist sich vielmehr aus der Asymmetrie von Mensch und Maschine, also aus dem Umstand, dass die Maschine gemeinhin als nicht satisfaktionsfähig gilt, als gleichwertiger Duellant also ausfällt.
Dass sie es gleichwohl wagt, über die Milchzuteilung zu befinden, ist die Provokation - und Anlass genug, ihr die Superiorität des Menschen zu beweisen.

Mit der Bereitschaft aber, in den Dialog mit der Maschine einzutreten, kommt jene Kommunikationssubstanz ins Spiel, die das Grundmaterial zeitgenössischer Kunst ausmacht.
Tatsächlich kann jeder x-Beliebige sich an die Maschine setzten (each one a hero), es ist unvorhersehbar, in welchem Sinne und in welche Richtung sich der Dialog über die Milchausschüttung entfaltet (Zufallsfaktor).
Hier kann die Maschine ihre Vorzüge ausspielen. Sie ist, sozusagen, der Außenposten des Künstlers, der Künstler im Außendienst.
Denn gerade in der Abwesenheit der kontrollierenden Kunstinstanz (Vorsicht Kunst') vermag sich der User vor dem Apparat auszuleben, gelangt man in jene Enthemmungsstadien hinein, da Kommunikation, die "Standardsitualionen" des Kunst- oder sonst irgendeines Diskurses überschreitend, jenen rätselhaften Faktor Mensch preisgibt.
Und weil die Amme nicht nur Reaktionsfähigkeit besitzt, sondern auch das Vermögen der Speicherung, liefert sie das Kommunikationsgeschehen an den Künstler aus, der den Akt sichten, analysieren und als Anlass für Upgrades und künftige Verbesserungen nehmen kann.
Die Amme füttert sich selbst (will sagen: den sie bemutternden Künstler) - und zwar mit jenem Stoff, der das Primärmaterial zeitgemäßer Kunst ausmacht.
Wobei anzumerken ist, dass der Dialog des Künstlers mit dem Publikum hier nicht, wie ansonsten, eine hohle und wohlfeile Phrase ist, sondern Architektur und Konstitution des Geschehens.

In gewisser Hinsicht könnte man die Amme als ein Theater nach dem Theater, als Drama nach dem Drama auffassen, wäre dieser Kasten mit Eigenleben ebensogut als portables Miniatur-Theater auf der Suche nach Mitspielern aufzufassen.
Äußerlich besehen mag dieses Theater nicht allzuviel hermachen, wird doch das immer gleiche Stück gegeben (die Künstliche Mutter}, aber steigt man einmal in den Kosmos der Spielmöglichkeiten ein, so begreift man, dass gerade die Beschränkung auf das Immergleiche die Bühne für unendliche Variationen darstellt.

Denn gegeben ist hier nur die Struktur des Stücks, treffend reduziert auf die Ausschüttung (respektive Versagung) eines wahrhaft banalen Vorganges - und jener maschinelle Antiheld, der nicht, wie seinesgleichen in der Automatenwelt, zu dienstbarer Pflichterfüllung bereit ist.
Weswegen man das Stück auch den Aufstand der Dinge nennen und es in das Register des klassischen Revolutionsdramas einordnen könnte.

Hinter diesem klassischen Drama jedoch artikuliert sich - in Gestalt jener Leerstelle, die von einem wirklichen Menschen besetzt wird - die Frage nach den Modi der zeitgemäßen Kommunikation, und zwar im denkbar weitesten, ungeregelten Sinn.
Letztlich geht es um nicht weniger als um eine Gesellschaftsmaschine, um das Voraussehen, Erfassen von Strebungen, Minidramen, Winkelzügen - und weil all dies programmiert, also vorausgesehen werden muss, bevor es in actu geschieht, ist das eigentliche Spielfeld, die unsichtbare Theatermaschinerie des Stückes die Automatisierung von Psychologie.
Wie kann der Apparat (der Künstler im Außendienst also) im vorhinein wissen, was sein Gegenüber im Schilde fuhrt? Wie lassen sich Gesprächsstrategien formalisieren, bewerten? Was ist, an jener Schnittstelle, wo ein Mensch sich zu einer Texteingabe verwandelt, über selbigen herauszubekommen?

In all diese Fragen, die ihrerseits in die Programmierung der Amme eingehen, wiederholen sich die Matrizen des zeitgemäßen Kommunikationsverhalten, in den chat rooms des Internet beispielsweise, genauer: es wiederholt sich die grundlegende Frage (und Verunsicherung) darüber, wer hier wo, wie und mit wem kommuniziert.

In Dittmers Entscheidung, das menschliche Gegenüber der Amme nicht als Exekutivorgan präfigurierter und eingeschränkter Wahlmöglichkeiten, als einen Agenten des multiple choice mithin zu betrachten, sondern ihn in seiner ganzen Komplexität zuzulassen (sofern denn Schrift diese Komplexität zu übertragen vermag), liegt eine eminente Radikalität.
Denn hat sich der Künstler von der Idee eines Publikums gelöst, das nach seinem Bild geschaffen ist, verlässt er des Spiegelstadium der Kunst. Nunmehr wird er konfrontiert mit dem multiple der Kommunikation.
Statt den fügsamen und willfährigen Geschöpfen der eigenen Einbildungskraft begegnet er einem amorphen, unwahrscheinlichen Gegenüber, das sich jeder Festschreibung und Programmierung entzieht.
Nun ist diese Überbietung der Einbildungskraft keine bloß gefühlte oder bloß ungefähre, sondern wird von der unermüdlich buchführenden Amme registriert.
Jeder Satz, der den Rühmen des Spiels sprengt, jede Überschreitung des programmierten Reaktionsschemas wird festgehalten und rückgemeldet.

Strenggenommen führt die Amme Protokoll über die eigene Insuffizienz (die ja die Insuffizienz ihres Autors ist). In diesem Sinne liegt, hinter dem Duell des Spielers mit der milchverweigernden Amme, ein anderes, noch sehr viel tiefer gehendes Duell. Das Duell des Künstlers mit der Unwahrscheinlichkeit seines Gegenübers, den Vieldeutigkeiten, Sprüngen und Paradoxien der menschlichen Kommunikation.
Dem Unwahrscheinlichen zu begegnen aber heißt, dass man von nun an damit zu rechnen beginnt, dass man es in das Spektrum der Wahrscheinlichkeiten überführt (was wiederum auf eine beständige Erweiterung der Psychologie hinausläuft).

Nimmt man dieses Duell in den Blick, begegnet man der anderen Seite dessen, was als Interaktion - im Sinne des Endlich-Mitspielen-Dürfens - viel zu kurz gefasst ist.
Denn die Interaktion ist hier nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck, und dieser besteht darin, das Gegenüber als Gesamtheit, als Massewesen, in den Blick zu bekommen, bereits im vorhinein wissen und antizipieren können, wie dieses Massewesen sich verhalten wird.
Mit diesem Desiderat aber artikuliert sich eine paradoxe Spannung, ist der Konterpart des Programms doch Einheit und Vielheit zugleich.

MUSS das Programm einerseits den Einzelnen im Blick haben, also jene Dialogfähigkeit besitzen, die das Spiel aufrechterhält, muss es andererseits - und zwar in jedem Augenblick - auf eine Vielheit von Reaktionsmustern ausgelegt sein.
Und weil in dieser Aufgabe das Allgemeine und das Konkrete zusammenfallen, ist sie genau das, was seit jeher das Programm der Systemphilosophie gewesen ist, einfach kompliziert.

Vielleicht hätte man, zu jener Zeit jedenfalls, als die Verheißungen der künstlichen Intelligenz noch gläubige Adepten fanden, die Amme die Verkörperung einer künstlichen Intelligenz genannt (sie is,. in diesem Feld, gewiss die intelligenteste Maschine, die mir bislang untergekommen ist).
Freilich, und hier liegt die besondere Ironie Dittmers, ist die Maschine auf eine besonders verquere und verquaste Weise intelligent.
Sie hat etwas von der Intelligenz, wie sie die Homunkuli und Geistwesen der romantischen Literatur einst versprühten, jene bloß androiden Mischwesen, die aus allerlei Fabel- und Märchenwelten zu einem bizarren Leben erweckt wurden.
Bizarr nicht bloß, weil das Menschsein hier bloß simuliert werden konnte, sondern auch deshalb, weil sich in diesen unwürdigen Prätendenten die menschlichen Eigenschaften wie in einem Vergrößerungsglas brechen.
Mit diesem unwürdigen Double kommt die commedia humana in den Blick, wird klar, dass Menschsein keineswegs etwas Angeborenes ist, sondern dass es erlernt werden muss (ein Lernprozess, der eben auch fehlschlagen kann).

Es ist keine geringe Leistung Dittmers, dass er - im Gegensatz zu den Computer-Fetischisten - keineswegs auf der Suche nach einer übermenschlichen Intelligenz ist, sondern seine Maschine gleichsam mit Handikaps versehen hat.
In diesem Sinn speist sich auch die Amme nicht aus den phantastischen Höhenregionen übermenschlicher Intelligenz, sondern vielmehr aus den Niederungen des Bauernschlauen, des Menschlich-Allzumenschlichen (eine Sphäre, welche die Amme, in krauser Dialektik, umso hemmungsloser für sich reklamieren kann, als es ihr an Menschenähnlichkeit vollends gebricht).
Die Dialektik der Amme besteht also darin, dass sie, insofern sie ihren Maschinencharakter keinen Augenblick lang vergessen lässt, ihrem humanen Gegenüber viel näher kommt als dies ein auf Ebenbildlichkeit hin gedachtes Simulacrum vermöchte.
In diesem Sinn ist die menschelnde Redeweise, die man sich vor den Geräten versagen sollte, tatsächlich angebracht, lässt sich mit Fug und Recht sagen: sie, die Amme, diese künstliche Intelligenz.

>_ Amme bei Interface5/Aussendienst

Amme Aussendienst


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