Schwedt
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Schwedt - Disziplinareinheit und Militärgefängnis

Mit der Schaffung der Nationalen Volksarmee im Jahr 1956 und der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht 1962 entstand sukzessive das Bedürfnis nach einer eigenen Militärjustiz und einen entsprechenden Strafvollzug.

Bereits im Jahr 1954 war das Strafvollzugskommando Berndshof im Kreis Ueckermünde eingerichtet worden, in dem straffällig gewordene Angehörige der Bewaffneten Organe Freiheitsstrafen verbüßten. 1964 lag die Zahl der Militärstrafgefangenen bei 101 Personen, wovon 83 Personen wegen Militärstrafsachen im Strafvollzug waren und 18 Arrestanten zum Erfassungsdatum registriert waren. Ab dem Jahr 1968 erfolgte der Vollzug gerichtlich angeordneter Freiheitsstrafen im Militärgefängnis Schwedt. Freiheitsstrafen ab 2 Jahren wurden in normalen Vollzugsanstalten des Ministeriums des Innern abgesessen.

Für Militärangehörige existierte parallel die freiheitsentziehende Maßnahme "Strafarrest", die ebenfalls nur durch die Militärgerichte verhängt werden konnte. Da in der DDR die Mindestdauer einer Freiheitsstrafe 3 Monate betrug, schloß der Strafarrest diese "Lücke" zwischen ein bis drei Monaten in Anlehnung an die zivile Haftstrafe. Somit betrug die Höchstdauer des Strafarrestes 3 Monate. Die Maßnahme wird auch deshalb sinnvoll gewesen sein, da z.B. eine Geldstrafe gegen Grundwehrdienstleistende regelmäßig uneinbringlich gewesen wäre. Als mit der Strafrechtsreform 1977 die Mindestdauer einer Freiheitsstafe auf 6 Monate erhöht wurde, wurde entsprechend die maximale Dauer des Strafarrestetes auf sechs Monate verlängert. Der Vollzug erfolgt in Militärstrafarresrabteilungen bzw. "in Schwedt". Der Vorteil für den Strafarresstanten lag nicht zuletzt darin, daß die Strafe nicht ins Strafregister eingetragen wurde. Nach Vollzug des Strafarrestes galt der Verurteilte als nicht vorbestraft. Die Insassen konnte nach den allgemeinen Regeln des Strafvollzuges Besuch empfangen.

Vorerst lag die Verwaltung des Militärgefängnisses beim Ministerium des Innern (MdI). Ende Oktober 1982 kam die Verwaltung vom MdI zum Ministerium für Nationale Verteidigung. Die im Militärgefängnis tätigen 14 Offiziere und 13 Wachtmeister der VP, Organ Strafvollzug, wurden mit Wirkung zum 31. Dezember 1982 NVA-Angehörige. Die NVA übernahm vom MdI 139 Insassen (85 Strafgefangene und 54 Arrestanten).

Die weitere Anzahl der Insassen im Militärgefängnis Schwedt wird zwischen November 1982 bis zu Schluß insgesamt mit maximal 800 angegeben. Das deutet - unter Berücksichtigung der Strafdauer - später auf nur noch durchschnittlich 70 Insassen (Strafgefangene und Arrestanten) hin. Offenbar führte nicht nur ein Rückgang an Straftaten, sondern auch eine Substituierung des Strafarrestes durch die Disziplinarmaßnahme "Dienst in der Disziplinareinheit" (s.u.) zu dieser faktischen Halbierung Insassenzahl.

Schätzungen zufolge, soll etwa die Hälfte wegen normaler Straftaten, wie Körperverletzung oder Diebstahl aber auch staatsfeindliche Hetze, die andere Hälfte wegen klassischer Militärstraftaten, wie Befehlsverweigerung oder Fahnenflucht aber auch Alkohol im Dienst, gesessen haben.

Waren der Militärstaatsanwalt bzw. das Militärgericht zu der Feststellung gelangt, daß eine Straftat nach dem StGB nicht erheblich gesellschaftswidrig und eine gerichtliche Bestrafung nicht notwendig war, so konnten diese Organe die Sache an den zuständigen Kommandeur zur Anwendung der Dienstvorschrift "Disziplinarbefugnisse und disziplinare Verantwortlichkeit" abgegeben werden. Den Kommandeuren waren somit gesetzlich weitgehende Maßnahmen eingeräumt worden. Dabei war die Strafgewalt des Kommandeurs an das System der gesellschaftlichen Gerichtsbarkeit in der DDR (Schieds-, Konfliktkommision) angelehnt. So sollen im Jahr 1980 insgesamt 19,2 Prozent der Straftaten in der NVA an den Kommandeur abgegeben worden sein. Im Zivilleben wurden zum Vergleich lediglich 11,8 Prozent  an die Konflikkommissionen der DDR abgegeben. Eine freiheitsentziehende Maßnahme die dem Kommandeur zustand, war in erster Linie der Arrest in der Arrestanstalt bis zu 10 Tagen bzw. Kasernenarrest bis zu 10 Tagen bei Berufskadern.

Ab 1982 konnte durch die Kommandeure auch die Strafe "Dienst in der Disziplinareinheit" verhängt werden. Diese wurde für die Dauer von 1 Monat bis zu 2 Monaten vom Regiments- bzw. bis zu 3 Monaten vom Divisionskommandeur "auf Militärpersonen, die sich hartnäckig der militärischen Disziplin widersetzen und dadurch den gesamten Erziehungsprozeß negativ beeinflussen" angewendet. In Schwedt wurde dafür extra ein neues Gebäude errichtet und die Disziplinareinheit 2 geschaffen. Diese Strafe wurde bei o.g. Militärstraftaten angewendet, sowie bei Verletzung eines anderen Gesetzes, wenn die Straftat ein Vergehen war. Diese (einzige) Disziplinareinheit sollen von November 1982 bis zum Schluß etwa 2.500 Mann durchlaufen haben. Das deutet - unter Berücksichtigung der höchstmöglichen Strafe von 3 Monaten - auf eine durchschnittliche Stärke von ebenfalls 70 Mann hin. Die Disziplinareinheit hatte somit lediglich normale Kompaniestärke. Besuch durfte nicht empfangen werden.

Die Einführung dieser neuen freiheitsentziehenden Strafe hatte offenbar eine deutlich abschreckende Wirkung. So ging zwischen 1980/1982 die registrierten Straftaten in der NVA um 19 Prozent zurück, wobei sich der Rückgang - wenn auch abgeschwächt - während der restlichen 80er Jahre fortsetzte. Analog dem Strafarrest wurde der Dienst in der Disziplinareinheit nicht ins Strafregister eingetragen. Der Bestrafte galt als nicht vorbestraft, mußte jedoch die in der Disziplinareinheit verbrachte Zeit nachdienen.

Zum Schluß gab es 3 Kompanien für die Straffälligen bis zu 2 Jahren sowie 2 Kompanien der Disziplinareinheit. Am 26. April 1990 wurde der letzte Militärstrafgefangene entlassen, am 31.05.1990 wurde die Einrichtung geschlossen.

 

So etwa sah der tägliche Dienst - bestehend aus produktiver Arbeit, militärischer Ausbildung sowie politischer Schulung - in der Disziplinareinheit aus:

1330 Schwedt:
TDAP in der Disziplinareinheit 2

04:00 Uhr wecken

anschließend

Frühsport, Morgentoilette
Frühstück  

anschließend

Ausbildung im Objekt oder Arbeit im PCK Schwedt (Türen schleifen)
Mittag  

anschließend

Arbeit oder Ausbildung im Objekt
Abendbrot  
20.00 Uhr Nachtruhe
   
Samstag war politische Schulung und erst 22:00 Uhr Nachtruhe
Sonntag 6:00 Uhr wecken und insg. 4 h Freizeit, aber wieder 20:00 Nachtruhe

Auffällig zum normalen TDAP der NVA ist die Verschiebung um 2 h in den Morgen, an Wochentagen war in der NVA normal: 6.00 Uhr wecken und 22.00 Uhr Nachtruhe und die Soldaten hatten gewöhnlich - nach Abendessen und Stubendurchgang - ca. 2 h Freizeit. Samstags war grundsätzlich ab Mittag Freizeit und Sonntag vollständig frei, immer Stuben- und Revierreinigen, Wach- und Tagesdienste außen vor.

 

Erinnerung an den Tag der Entlassung, der lang ersehnte
von Kai Knüpfer

"Es ging also nach Hause, natürlich mit Dienstreiseauftrag, was das heißt wissen ja die meisten. Wir fahren also mit der Bahn von Schwedt nach Berlin-Lichtenberg. In Berlin angekommen sind wir erst mal an den Zeitungskiosk und haben unseren Eltern eine Postkarte geschrieben: "sind endlich wieder frei". Was wir ganz lustig fanden.

Da wir ja 4 Wochen Alkoholentzug hatten, sind wir erst mal in die Mitropa eingefallen und haben das Versäumte nachgeholt. Natürlich ist es etwas mehr geworden als gedacht, wie damals üblich. Es hat aber auch keinen interessiert was hätte passieren können. So langsam hat sich so nach und nach jeder verabschiedet, man mußte ja noch weiter fahren zur Dienststelle. Zu unserer lustigen Runde gesellten sich aber auch immer wieder neue Leute dazu, die mit uns gefeierten.

Am Ende war ich mit einigen Vietnamesen allein am feiern, weil mein Zug Verspätung hatte. Es ging dann so langsam ans bezahlen. Da ich von den Vietnamesen zwischenzeitlich eingeladen wurde, machte ich mir anfangs keine Sorgen. Doch das sollte sich schnell ändern. Wie sich heraus stellte, kamen diese gerade aus Schweden und hatten kein Ostgeld. Also hab ich, als gewissenhafter Uffz., doch mal eben Geld getauscht: schwedische Kronen 1:1 in DDR-Mark. Das waren in der kurzer Zeit schon wieder zwei schwere Vergehen und hätten mir u.U. wieder ein paar Wochen in Schwedt eingebracht. Ich bin dann in aller Ruhe zum Zug und nach Görlitz gefahren, von wo aus ich dann mit dem Bus nach Rothenburg weiter gefahren bin.

In Rothenburg angekommen, stieg ich aus dem Bus, den Mantel offen, die Mütze auf halb neun, den Seesack und das Koppel über die Schulter. Das erregte die Aufmerksamkeit eines Genossen Majors, was mich aber in keiner weise interessierte. Auf die Rufe des Majors, "Genosse Unteroffizier, stellen sie die Anzugsordnug her!" reagierte ich gar nicht. Das erzürnte den Major so sehr, daß er mir hinterher rannte und mich mit den Worten, "das ist Befehlsverweigerung, dafür könnte ich sie nach Schwedt bringen", fest hielt. Was mich so ziemlich kalt ließ. Ich hielt ihm meinen Dienstreiseauftrag unter die Nase und hauchte ihm ins Gesicht: "da komm ich gerade her". Das schockte den Herrn Major so sehr, daß im die Kinnladen nach unten fiel und ihm die Worte im Hals stecken blieben. Das sah ich als meine Gelegenheit an und verschwand. Ich haben den Major dann auch nie wieder gesehen, Gott sei Dank.

Ich würde mich freuen, wenn sich jemand meldet, der auch so was nettes erlebt hat. Da gibt es sicher viele lustige Geschichten."

 

verwendete Literatur,
unter Verwendung von Bundessarchiv.de, dem Handbuch der NVA und einem Artikel aus der Berliner Zeitung vom 29.06.2000 sowie "Die Strafgewalt der Kommandeure in der Nationalen Volksarmee (NVA)", die Dissertation von Nicole Kampa.

HINWEIS
Dieser Artikel wurde von "Christoph Eichhorn" im April 2007 weitgehend 1:1 in Wikipedia übernommen. Ich habe damit - aufgrund der Verlinkung - grundsätzlich keine Probleme, möchte aber nicht versäumen darauf hinweisen, daß diese Seite als erste da war.

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Militärflugplätze der NVA