Gericht: Bayerisches Verfassungsgerichtshof
Datum: 18.03.1994
Az: Vf. 33-VI/94
NK: BayVerf. Art. 111 a I 1
Fundstelle: AfP 2/94, 135
Rechtszug: Hauptsachenentscheidung: BayVerfGH 14.6.1994 (Vf. 33-VI/94)


  AfP 2/94, 135

Zur einstweiligen Anordnung gegen eine Gegendarstellungsverpflichtung

Art. 111 a Abs. 1 Satz 1 BV

Zum Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zur Vermeidung der Ausstrahlung einer Gegendarstellung

Bayerischer Verfassungsgerichtshof,
Entscheidung vom 18. März 1994 - Vf. 33 - VI -94

Sachverhalt

In der vom Beschwerdeführer veranstalteten Sendung "Report" vom 18. Oktober 1993 befaße sich ein Beitrag mit Aktivitäten der Scientology-Sekte in Albanien und erwähnte in diesem Zusammenhang berufliche Aktivitäten des Rechtsanwaltes Dr. S (im Folgenden Verfügungskläger). Dieser verlangte im Verfahren der einstweiligen Verfügung die Ausstrahlung einer Gegendarstellung, wonach er bei seiner anwaltlichen Tätigkeit keine Kenntnis von scientologischen Plänen oder Aktivitäten in Albanien gehabt habe. Sein Antrag wurde vom Landgericht München I durch Endurteil vom 25. November 1993 Az. 9 O 21783/93 zurückgewiesen. Auf seine Berufung hob das Oberlandesgericht München mit Urteil vom 9. März 1994 das Urteil des Landgerichts auf und verurteilte den Beschwerdeführer, die vom Verfügungskläger verlangte Gegendarstellung in der nächsterreichbaren Sendung zu verlesen und auszustrahlen.

Der Beschwerdführer hatte gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts Münchn vom 9. März 1994 Verfassungsbeschwerde eingelegt und eine einstweilige Anordnung beantragt, wonach er nicht verpflichtet sei, die durch das angefochtene Urteil aufgegebene Gegendarstellung in der nächsterreichbaren Ausgabe der Sendung "Report" zu verlesen und auszustrahlen.

Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung der Rundfunkfreiheit gemäß Art. 111 a Abs. 1 Satz 1 BV. Er veranstalte in Bayern Rundfunksendungen in öffentlich-rechtlicher Verantwortung. Ein Recht auf Gegendarstellung setze Tatsachenbehauptungen voraus, an denen es hier fehle. Die vom Oberlandesgericht angenommene Behauptung einer inneren Tatsache, daß nämlich der Verfügungskläger Kenntnis von scientologischen Plänen oder Aktivitäten in Albanien gehabt habe, sei in der Sendung nicht enthalten gewesen. Die Bewertung als Tatsache verkenne die wertsetzende Bedeutung des Grundrechts der Meinungsäußerungsfreiheit und verletze durch die Auferlegung einer Gegendarstellung die Rundfunkfreiheit des Beschwerdeführers.

Gründe

... IV.

Dem Antrag auf einstweilige Anordnung wird stattgegeben. Der Vollzug der angefochtenen Entscheidung betreffend die Vorlesung und Ausstrahlung der Gegendarstellung des Verfügungsklägers durch den Beschwerdeführer wird bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde ausgesetzt.

1. Der Verafssungsgerichtshof kann in Verfassungsbeschwerdeverfahren eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile. zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund dringend geboten ist (Art. 26 Abs. 1 VfGHG). Dabei haben die Gründe, die mit der Verfassungsbeschwerde vorgetragen werden, im Regelfall außer Betracht zu bleiben. Nur wenn bereits offensichtlich wäre, daß die Verfassungsbeschwerde aus prozessualen oder sachlichen Gründen keine Aussicht auf Erfolg hat, kommt eine einstweilige Anordnung von vorneherein nicht in Betracht. Umgekehrt kann der Erlaß einer einstweiligen Anordnung dann geboten sein, wenn die Begründetheit der Verfassungsbeschwerde offensichtlich wäre.

Ist eine Verfassungsbeschwerde nicht offensichtlich erfolgversprechend oder offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so hat der Verfassungsgerichtshof allein die Folgen abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Beschwerdeführer aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die einstweilige Anordnung erlassen würde, die Verfassungsbeschwerde aber im Hauptsacheverfahren abzuweisen wäre. Die meist weittragenden Folgen einer einstweiligen Anordnungen in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren machen es notwendig, für ihren Erlaß einen strengen Maßstab anzulegen (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH 45, 49/52 m.m.N.).

2. Bei der jetzt nur möglichen summarischen Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache kann nicht gesagt werden, die Verfassungsbeschwerde sei offensichtlich begründet oder offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet.

Der Beschwerdeführer veranstaltet und verbreitet als Anstalt des öffentlichen Rechts Hörfunk- und Fernsehprogramme (Art. 1 Abs. 1 Satz 1, Art. 2 BayRuFuG). Er ist damit Träger der Rundfunkfreiheit des Art. 111 a Abs. 1 BV (Meder, Die Verfassung des Freitstaates Bayern, 4. Aufl. 1992, Rd.-Nr. 2 a zu Art. 111 a m.w.N.) und kann ihre Verletzung mit der Verfassungsbeschwerde rügen. Der Rechtsweg ist erschöpft, weil gegen die letztinstanzliche Entscheidung des Oberlandesgerichts ein Rechtsmittel nicht gegeben ist (§ 545 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Der Grundsatz der Subsidarität steht der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht entgegen, weil ein Hauptsacheverfahren über den Anspruch auf Verbreitung der Gegendarstellung nicht stattfindet (Art. 17 Abs. 5 Satz 4 BayRuFuG).

Die angefochtene Entscheidung verpflichtet den Beschwerdeführer, eine Gegendarstellung zu verlesen und auszustrahlen, die ernicht senden will. Ob hierin eine Verletzung der Rundfunkfreiheit des Beschwerdeführers liegt, kann im vorliegenden Verfahrensstadium nicht abschließend beurteilt werden.

3. Die Abwägung der Vor- und Nachteile des Erlasses oder der Ablehnung einer einstweiligen Anordnung führt zum Ergebnis, daß die Voraussetzung für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung gegeben sind.

Würde keine einstweilige Anordnung erlassen, dann müßte der Beschwerdeführer die Gegendarstellung in der nächsterreichbaren Sendung verlesen und ausstrahlen. Die angefochtene Entscheidung wäre damit vollzogen. Erwiese sich die Verfassungsklage später als (ursprünglich) begründet, so könnte die in der gerichtlich angeordneten Ausstrahlung der Gegendrstellung liegende Verletzung der Rundfunkfreiheit des Beschwerdeführers nicht mehr beseitigt werden (vgl. VerfGH 45, 80/83).

Setze der Verfassungsgerichtshof demgegenüber den Vollzug der angefochtenen Entscheidung durch eine einstweilige Anordnung aus, so würde die Gegendarstellung vorläufig nicht verlesen und ausgestrahlt. Erwiese sich die Verfasungsbeschwerde später als unbegründet, so müßte die Gegendarstellung in der dann nächsterreichbaren Sendung verlesen und ausgestrahlt werden. Der Gegendarstellungsanspruch könnte daher noch realisiert werden, wenn auch mit einer weiteren zeitlichen Verzögerung.

Bei einer Abwägung dieser Vor- und Nachteile wiegt die mögliche Verletzung der Rundfunkfreiheit des Beschwerdeführers - weil sie irreparabel wäre - schwerer als eine lediglich zeitlich wirkende, später gegebenenfalls korrigierbare Beeinträchtigung des Gegendarstellungsanspruchs der Verfügungsklägers.

Mitgeteilt von
Referent am BayVerfGH Dr. Wolfgang Sprenger, München