GewArch 1985/8, 279
Gericht: OVG Hamburg
Datum: 27.02.1985
Az: Bs II 12/85
NK: HmbWegeG § 16
Fundstelle: GewArch 1985/8, 279; NJW 1986, 209


Aus den Gründen:

   Das VG hat es zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die angefochtene Untersagungsverfügung der Ag'in wiederherzustellen.... Das öffentliche Interesse, die Straßenwerbung des Ast. mit sofortiger Wirkung zu unterbinden, überwiegt eindeutig das private Interesse des Ast., diese Tätigkeit kraft der aufschiebenden Wirkung seiner Klage fortzusetzen. Wollte man den Ast. gewähren lassen, so wäre zu besorgen, daß auch andere Gewerbetreibende, indem sie sich die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen zunutze machen, den öffentlichen Verkehrsraum für gewerbliche Zwecke mißbrauchen. In Anbetracht der häufig mehrjährigen Dauer von Verwaltungsstreitigkeiten hätten derartige Interessenten durchweg ihr Ziel erreicht, durch intensives Einwirken auf die Passanten dieses Kundenpotential auszuschöpfen, bis ihnen das klageabweisende Urteil nach Eintritt der Rechtskraft Einhalt gebietet. Die Besorgnis, auf diese Weise könne - zumal im belebten Innenstadtbereich - der Verkehrsraum seiner eigentlichen Funktion, der Fortbewegung zu dienen, entkleidet und in einen Verkaufsraum verwandelt werden, ist nicht von der Hand zu weisen. Um eine solche Entwicklung zu verhindern, hat die Baubehörde in ihrer Fachlichen Weisung T 1/81 vom 7.4.1981 generell angeordnet, daß Erlaubnisse für die gewerbliche Werbung durch Ansprechen von Straßenpassanten auf öffentlichen Wegen wegen der damit verbundenen Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs nicht erteilt werden sollen. Diese Fachliche Weisung hält sich im Rahmen des Gesetzes, weil mit der Wirtschaftswerbung auf öffentlichen Wegen in der Tat die Grenzen des erlaubnisfreien Gemeingebrauchs überschritten werden. In § 16 des Hamburgischen Wegegesetzes in der Fassung vom 22.1.1974 (GVBl. S. 447) ist der Gemeingebrauch auf Zwecke des Verkehrs beschränkt. Indem sie durch Straßenwerber auf Passanten einwirken, nehmen die betreffenden Gewerbetreibenden den öffentlichen Weg nicht zum Zwecke der Fortbewegung in Anspruch, sondern profitieren von dem Verkehrsaufkommen und dehnen ihre Geschäftstätigkeit auf den Straßenraum aus. Inwieweit erkennbaren Tendenzen zu folgen ist, den Gemeingebrauch unter besonderen grundrechtlichen Aspekten (Art. 5 Abs. 1 in Verb. mit Art. 21, sowie Art. 5 Abs. 3 GG) für Nutzungsformen zu öffnen, welche die Straße als Kommunikationsform zur Geltung bringen, braucht im vorliegenden Falle nicht entschieden zu werden. Selbst wenn im Bereich der politischen Meinungsäußerung oder der künstlerischen Entfaltung etwa ein besonderer Öffentlichkeitsbezug der Grundrechtsausübung anzuerkennen sein sollte, der bei der Inhaltsbestimmung des Gemeingebrauches Rechnung zu tragen wäre, so würde dies nicht dazu führen, daß auch außerhalb des engen Verkehrszweckes jede grundrechtliche Betätigung als zulassungsfreier Gemeingebrauch zu qualifizieren wäre. Der knappe Verkehrsraum und der Vorrang, den die Erfordernisse des fließenden Verkehrs genießen, lassen eine jedermann offenstehende erlaubnisfreie Nutzung auch insoweit nicht zu, sondern machen ein Zuteilungsverfahren erforderlich, in weichem ein Ausgleich zwischen den widerstreitenden Nutzungsinteressen herbeigeführt wird. Weder kann sich der Ast. deshalb für seine Meinung, seine werbende Tätigkeit sei Gemeingebrauch und keine erlaubnispflichtige Sondernutzung, auf Art. 12 Abs. 1 noch auf Art. 4 Abs. 1, 2 GG berufen. Vielmehr bietet der jetzige Sach- und Streitstand genügend Anhaltspunkte für die Prognose, daß die Ag'in die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis zu Recht abgelehnt hat und im Hauptsacheverfahren nicht durchdringen wird. Daß die Ag'in die Tätigkeit der Straßenwerber als gewerbliche eingestuft hat, wird aller Voraussicht nach einer rechtlichen Überprüfung standhalten. Dem äußeren Erscheinungsbild nach unterscheidet sich diese Tätigkeit nicht wesentlich von der - gleichfalls erlaubnispflichtigen - Straßenwerbung z. B. für die Mitgliedschaft in einer Buchgemeinschaft oder zur entgeltlichen Teilnahme an einem Kursus. Die Werbun des Ast. ist nur insofern irreführend, als die angesprochenen Passanten zunächst in die Geschäftsräume des Ast. gebeten werden, um sich interessehalber einem Persönlichkeitstest zu unterziehen. Da sich nach den von der Ag'in im Widerspruchsverfahren getroffenen Feststellungen, denen der Ast. nicht entgegengetreten ist, an die Auswertung dieses Tests aber "nahtlos" ein Verkaufsgespräch über vom Ast. hergestellte Druckerzeugnisse und von ihm durchgeführte Kurse anschließt, sind die Aktivitäten der Straßenwerber zwanglos dieser gewerblichen Tätigkeit des Verkaufspersonals in den Geschäftsräumen des Ast. zuzuordnen. Dessen Tätigkeit ist gewerblich, weil sie umsatz- und gewinnorientiert ist. Das leistungsbezogene Vergütungssystem für die Werber und Verkäufer, welches in der vom Widerspruchsausschuß vorgenommenen Beweisaufnahme zutage getreten ist, ist auf Umsatzmaximierung angelegt. Die von der Ag'in belegten Gewinnspannen für die zum Verkauf angebotenen Bücher (zwischen 50 und 100%) sowie die Höhe der Gebühren für die Teilnahme an einzelnen Kursen zwischen 1000,- und 6000,- DM oder für ein "Gesamtpaket" von annähernd 50 000,- DM, lassen nicht daran zweifeln, daß der Ast. ein auf Gewinnerzielung bedachtes Wirtschaftsunternehmen betreibt (so auch OLG Düsseldorf in seiner die Eintragung einer Scientology-Niederlassung als Idealverein ablehnenden Entscheidung vom 12.8.1983 - NJW 1983, 2574). Auch die satzungsgemäße Abführung von Gewinnen an die Muttergesellschaft in Florida hat die Ag'in zu Recht als Indiz für eine erwerbswirtschaftliche Tätigkeit des Ast. gewertet.

   Die Behauptung, des Ast., bei der von ihm durchgeführten Werbung handele es sich um "Religionsausübung", geht ebenso fehl, wie dies etwa in Falle einer entsprechenden Werbung für eine christliche Buchgemeinschaft anzunehmen wäre. Ob der Ast. - wenn von seinen erwerbswirtschaftlichen Aktivitäten abgesehen wird - überhaupt auf einen Tätigkeitsbereich verweisen kann, der als Religionsausübung unter dem Schutz des Art. 4 Abs. 2 GG stände, bedarf keiner Entscheidung. Denn jedenfalls hat die Ag'in mit der angefochtenen Verfügung nicht in die inneren Angelegenheiten einer Religionsgemeinschaft eingegriffen, also etwa in Lehre, Verkündung und Kultus, sondern diese in die Schranken der für alle geltenden Gesetze verwiesen, die auch für Rellgionsgemeinschaften gelten, wenn diese am Rechtsverkehr teilnehmen.