Dynamo voller Energie / Günter "Moppel" Schröter und die ersten internationalen Schritte des DDR-Fußballs

"Wat denn, habt ihr keen Archiv, wo ihr nachkieken könnt? Hab ick doch allet schon tausendmal erzählt." Die Reaktion eines Mannes, der nicht auf den Mund gefallen ist und besser berlinert als mancher Berliner, obwohl er in Brandenburg an der Havel geboren und aufgewachsen ist. Die großen Töne hat er allerdings lieber anderen überlassen. Übrigens, einen besseren Spitznamen als "Moppel" hätte sich niemand für den nicht gerade groß gewachsenen Günter Schröter ausdenken können. Seine Laufbahn wurde erst von einem Schlüsselbeinbruch beendet. Im Oktober 1997 ist das Malheur passiert, bei einem Prominentenspiel für einen guten Zweck auf dem Hertzbergplatz in Neukölln. Da fiel der damals schon 70-Jährige so unglücklich, dass er sich seine erste ernsthafte Verletzung zuzog - nach 60 Jahren aktiven Sporttreibens!

Mit der Feuerwehr ging es ins Krankenhaus, aber schon eine Stunde später stand Günter "in Gips gegossen" wieder an der Barriere, um das zweite Spiel nicht zu verpassen. Bis zu jenem Tag war "Moppel" an der Seite seiner ehemaligen Nationalmannschaftskameraden Günter "Wibbel" Wirth von Vorwärts Berlin und Werner Heine, der wie er beim SC Dynamo Berlin spielte, in der Ü 50 von Rotation Spindlersfeld und dann der VSG Altglienicke ein Aktivposten. Es war die pure Freude, diese älteren Herren spielen zu sehen. Und mit welch ungebremster Begeisterung sie der Kugel nachjagten - allen voran "Moppel".

Mit 16 an die Front
In der Nähe eines Sportplatzes hatten seine Eltern eine Laube. Also ging der kleine Schröter erstmal zuschauen, fand Gefallen und absolvierte bald in der Knabenmannschaft sein erstes Spiel für den Brandenburger Ballspiel-Club. Sieben Jahre später ging diese erste kleine Karriere zu Ende - noch vor seinem 17. Geburtstag wurde Günter Schröter in die Wehrmacht gezwungen. Er gehörte zum "letzten Aufgebot", das "Volk und Vaterland" noch retten sollte. "Moppel" hatte Glück, wie er findet, dass er nur in Gefangenschaft geriet und rieht zu Tode kam. Es folgten allerdings die drei schwärzesten jähre seines Lebens. In einem polnischen Kohlerevier musste er unter Tage arbeiten. Erst 1948 ließen sie den Gefangenen wieder frei.

Nach Hause gekommen, gehörte Günter Schröters Liebe sofort wieder dem Fußball - und bald auch einem Mädel namens Edith. In diesem Jahr feiern sie den 60. Hochzeitstag! Ihre Tochter und ihr Sohn werden die ersten Gratulanten sein. Was damals vor sechs Jahrzehnten begann, nennt "Moppel" die schönsten lahre seines Lebens - wegen der Familie ohnehin, aber auch des Sports wegen. Erst spielte er bei Konsum Nord Brandenburg, dann bei Volkspolizei Potsdam, wo er seinen Freund Herbert Schoen kennen lernte. Mit ihm wurde er zur neugegründeten Mannschaft VP Dresden geholt. So begann die zweite Karriere des Günter Schröter. Nach zwei Jahren bereits feierten die Dresdner ihren ersten Pokaltriumph, zwölf Monate später den ersten Meistertitel. Es war in einem Finalspiel - der Gegner hieß Wismut Aue, eine Mannschaft, die im Mittelfeld mit den Brüdern Karl und Siegfried Wolf sowie in der Sturmmitte mit Willy Tröger ihre Stars hatte.

Sieg auf der "Zickenwiese"
Die Dresdner und die Erzgebirgler hatten 1953 das Spieljahr punktgleich beendet. Merkwürdige Entscheidungen von Fußballfunktionären hatten den Termin dieses Entscheidungsspiels bis zum 5. Juli, fünf (!) Wochen nach Ende der Saison, verzögert. Gespielt wurde in Berlin, im Walter-Ulbricht-Stadion, das wegen des Spitzbartes seines Namensgebers im Volksmund "Zickenwiese" genannt wurde, direkt an der Grenze zwischen dem Ost-Stadtbezirk Mitte und dem West-Bezirk Wedding. Und zudem nur wenige Tage nach dem Volksaufstand am 17. Juni. Mit 40.000 Zuschauern war die Arena gut gefüllt, die Wismut-Fans waren mit Sonderzügen angereist.

Die Dresdner gingen überraschend schon nach fünf Minuten durch ihren Verteidiger Michael in Führung, aber Tröger eine Minute vor der Pause und Halbstürmer Günther eine Minute nach dem Wechsel brachten die Auer in Front, deren Titelhoffnungen erst in der 89. Minute durch einen Treffer von Günter Schröter gestoppt wurden. In der anschließenden Verlängerung gelang dem Dresdner Rechtsaußen Holze der Siegtreffer. "Moppel" erinnert sich gern an den Gewaltschuss seines Mitstreiters, der ihnen den ersten Meistertitel brachte. Im Jahr darauf wurden sie und andere aus der Mannschaft, auch "Moppels" Freund Herbert Schoen, nach Berlin versetzt, spielten ab sofort für den neugegründeten SC Dynamo. Da waren Schoen und Schröter längst auch feste Größen in der Auswahl - Schoen, der kopfballstarke Libero, Schröter als Spielmacher auf einer der Halbpositionen.

Die ersten beiden Länderspiele 1952 gingen verloren (gegen Polen in Warschau 0:3, gegen Rumänien in Bukarest 1:3). Das einzige Länderspiel 1953 gegen Bulgarien endete in Dresden torlos. Im Jahr darauf hagelte es in drei Spielen drei Niederlagen, in Berlin gegen Rumänien und in Rostock gegen Polen jeweils 0:1, in Sofia gegen Bulgarien 1:3. Günter Schröter hat diese internationalen Anfänge des DDR-Fußballs miterlebt. Erst 1955 im 7. und 8. Spiel der DDR-Auswahl konnte "Moppel", nun auch ihr Kapitän, die ersten Siege feiern: in Bukarest gegen Rumänien ein 3:2 und in Berlin gegen Bulgarien ein 1:0. Das waren auch die Spiele, in denen erstmals der flinke "Wibbel" Wirth an der Seite Schröters auftauchte. Heute noch sind auch sie freundschaftlich verbunden.

Vier Tore in neun Minuten
In den DDR-Länderspiel-Annalen taucht der Name Günter Schröter insgesamt 39mal auf. Auch dass er 13 Tore erzielte, soll nicht unerwähnt bleiben. Seinen ersten Treffer landete er 1957 in Berlin beim 3:0 gegen Luxemburg, ein Jahr später in Oslo gegen Norwegen erzielte er sogar drei, doch die Partie ging 5:6 verloren. Doch 1960, als er in Leipzig gegen Dänemark wiederum dreimal traf, reichte das zum 4:1-Erfolg. Je älter "Moppel" wurde, desto torgefährlicher war er. Und irgendwie muss es ja auch ein Rekord sein, wenn einer bei einem 5:0-Sieg alle Tore schießt, die letzten vier sogar in nur neun Minuten! So geschehen im Mai 1959 im Punktspiel gegen Lokomotive Leipzig. Insgesamt erzielte er in 321 Oberliga-Spielen 140 Treffer.

In Berlin war es Günter Schröter nicht vergönnt, nochmals einen Meistertitel zu gewinnen. Aber seine Nachfolger haben auch ihm zu verdanken, dass sich Dynamo zu einer Meistermannschaft entwickelte, die zwischen 1979 und 1988 zehn Titel in Folge erkämpfte. Schröter war nach 1963 mal Assistenztrainer, mal Trainer der Zweiten, am liebsten jedoch beschäftigte er sich mit dem Nachwuchs. Andreas Thom nennt er als eines der größten Talente, das er mitformen konnte. Sein Sportlerleben hat den mittlerweile 81-Jährigen fit gehalten. 60 Jahre hat "Moppel" Fußball gespielt. Ohne den dummen Schlüsselbeinbruch wären es sicher noch einige Spielchen mehr geworden...


Jürgen Babenschneider, Fußballwoche, 12.01.2009