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Berlins große Mannschaften / Der FC Bayern des Ostens / Mit zehn Titeln in Folge stellte der BFC Dynamo in der früheren DDR einen Europa-Rekord auf

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Es hat in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts viele Klubs gegeben, die in ihrem Land zeitweise eine Klasse für sich waren. Selten aber hat eine Mannschaft das nationale Geschehen so lange dominiert wie der BFC Dynamo in der damaligen DDR. Von 1979 bis 1988 wurde der BFC zehnmal in Folge Landesmeister. Den sportlichen Ruhm schmälerte zwar die Tatsache, dass der Klub als Lieblingskind von Stasi-Chef Erich Mielke galt und als Aushängeschild der Staatsmacht erst ge-, dann miss- und später zunehmend verbraucht wurde. Doch unbestritten ist auch, dass der BFC über Jahre hinweg ein superstarkes, weil mit herausragenden Einzelkönnern besetztes Team besaß, welches das Geschehen in der DDR-Oberliga dominierte. "Wir waren die beste Mannschaft, weil bei uns die besten Fußballer des Landes gespielt haben", meint Frank Rohde, der lange Mannschaftskapitän war.

In den ersten Jahren der Titelserie prägten noch die Routiniers der 70er Jahre die Mannschaft: Der erfahrene Nationalspieler Reinhard Lauck, der schon 1974 mit der DDR bei der WM dabei war, der Kunst- und Scharfschütze Frank Terletzki, der pfeilschnelle Flügelstürmer Hans-Jürgen Riediger oder der listige Angreifer Wolf-Rüdiger Netz, dessen 112 Oberliga-Treffer als interner Rekord überdauerten. Doch schon bald rückte eine neue Generation ins Rampenlicht: Der Torwartriese Bodo Radwalen, der seine über 300 Oberligaspiele fast ohne Unterbrechung absolvieren sollte, der Abwehrchef Rohde, der eisenharte Vorstopper Rainer Troppa. Im Mittelfeld der ebenso elegante wie torgefährliche Rainer Ernst, der 1984 und 1985 Torschützenkönig wurde, und der Dauerläufer Christian Backs. Im Angriff der Dribbelkünstler Andreas Thom und der Torjäger Frank Pastor, zu denen sich später noch der Flügelflitzer Thomas Doll als kongeniale Ergänzung gesellte.

Der Erfolg des Klubs basierte auf seiner Nachwuchsförderung, die von landesweiter Talentsichtung bis zur Ausbildung exzellent war - und knallhart. "Bei uns herrschte das Leistungsprinzip. Nur die Besten setzten sich durch", weiß Rohde aus eigener Erfahrung. Zudem hatte der BFC die Möglichkeit, gute Spieler von schwächeren Vereinen zu holen. Was im Westen das Geld regelte, regulierten im Osten Macht und Einfluss. So wurden 1984 Pastor (Halle) und Offensivverteidiger Ksienzyk (Union), zwei Jahre später Doll (Rostock) und Supertechniker Schulz (Brandenburg) zum BFC "delegiert", wie es offiziell hieß. So hatte der BFC alsbald eine mit Nationalspielern gespickte Klassemannschaft beisammen. Im Meisterjahr 1985 erzielte sie beispielsweise in den 26 Liga-Spielen sagenhafte 90 Tore. Der Serienmeister war zwar - vor allem außerhalb Berlins - aus den eingangs erwähnten politischen Gründen alles andere als beliebt, sehen wollte man ihn trotzdem.

Wie die Bayern im Westen, so zog der BFC im Osten bei Auswärtsspielen die Massen an. "Wo wir hinkamen, war die Bude meistens voll", erinnert sich Rohde. Für Gastspiele in den Hochburgen Dresden (wo die Duelle mit dem Erzrivalen stets Wochen vorher ausverkauft waren), Leipzig, Magdeburg oder Jena galt das sowieso. Aber auch in der (Fußball-)Provinz war ein es Ereignis, wenn dort der Meister auftauchte. So dominant der BFC im eigenen Lande war, auf internationalem Parkett konnte er seine Klasse kaum bestätigen. Im Europapokal der Meister war meist schon frühzeitig Schluss. "Wir hat ja nur im eigenen Saft geschmort und hatten keine internationalen Vergleiche mit starken Vereinen aus Westeuropa. Wenn es dann im Meistercup gleich gegen Top-Klubs ging, hat es eben nicht gereicht", glaubt Rohde in der Abschottung einen Grund zu kennen. So reichte es nur zu wenigen Achtungserfolgen wie gegen AS St. Etienne (1981) oder FC Aberdeen (1984).

Denn die Konkurrenz war wirklich stark: In den ersten Jahren schied der BFC dreimal gegen spätere Cupgewinner (Nottingham Forest, Aston Villa und Hamburger SV) aus, 1984 im Viertelfinale gegen einen späteren Finalisten (AS Rom). Zweimal Austria Wien, Bröndby Kopenhagen und Girondins Bordeaux hießen danach die Endstationen. Dass oft nicht viel fehlte, zeigte der letzte große Auftritt: 1988 erteilte der BFC dem Deutschen Meister Werder Bremen beim 3:0 im Hinspiel eile bittere Lektion - ging dann aber im denkwürdigen Rückspiel an der Weser 0:5 unter. Zu diesem Zeitpunkt deutete sich das Ende der glorreichen Zeit aber schon an. Den letzten Titel gewann man 1988 nur noch durch das bessere Torverhältnis vor Lok Leipzig. Ein Jahr später hatte Dynamo Dresden die Meisterserie endgültig beendet. Zudem häuften sich jene unsäglichen Fehlentscheidungen von Schiedsrichtern, ob auf Anweisung oder in vorauseilendem Gehorsam gefällt), die in des Volkes Sinne aus dem Serien- den "Schieber-Meister" werden ließen.

Viele sahen dessen einsetzenden Niedergang als Vorboten für den nahenden Untergang des ganzen Staates. Der kam dann ja auch bald - und an der erfolgreichen BFC-Mannschaft blieb am Ende nicht viel übrig. Die Stars gingen schnell in den Westen: Thom noch 1989 nach Leverkusen, Rohde und Doll im Sommer 1990 zum Hamburger SV, Ernst nach Kaiserslautern. Ein Jahr später waren auch die "zweite Reihe" (Herzog, Reich, Bonan, Köller, Ksienzyk) und viele Talente (wie Rydlewicz) weg. In der letzten Oberligasaison 1990/91, als es um die Qualifikation für die gesamtdeutschen Ligen ging, wurde der Club, der sein Stasi-Image loswerden wollte und sich deshalb in FC Berlin umbenannt hatte, nur Elfter und schaffte nicht mal den Sprung in die 2. Liga. Frank Rohde hat nach der Wende nicht nur beim HSV, sondern danach auch noch bei Hertha BSC gespielt und kann sich einen Vergleich erlauben: "Ich habe in Hamburg und bei Hertha noch viel gelernt. Aber die Jahre beim BFC waren meine schönste Zeit."


Sascha Stolz, Fußballwoche, 07.08.2006


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