Geisterfahrt mit Folgen

Der Polizeieinsatz rund um das sonntägliche Stadtderby in der Oberliga zwischen dem 1. FC Union und dem BFC Dynamo (8:0) wird ein juristisches Nachspiel haben. René Lau, Rechtsanwalt aus Berlin, bestätigte, dass zahlreiche Fans des BFC ihn mit der Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragen wollen. "Ich bin tief erschüttert über die Vorgänge, als Anwalt habe ich so etwas noch nicht erlebt", sagte er am Tag nach dem Spiel: "Wenn es stimmt, was mir von Zeugen und Betroffenen gesagt wurde, hat die Verhältnismäßigkeit bei diesem Polizeieinsatz nicht mehr gestimmt." Am Mittwoch werde er sich mit seinen Mandanten über das weitere Vorgehen abstimmen. Derzeit sei "die Lage völlig unüberschaubar", so dass man noch nicht über konkrete Klagepunkte sprechen könne. In der Tat klaffen die Aussagen der Beteiligten darüber, was sich in der Nacht zum Sonntag in der Diskothek Jeton zugetragen hat, weit auseinander.

Die Polizei rechtfertigt den Einsatz mit 158 Festnahmen als präventive Maßnahme: "Das war keine polizeiliche Geisterfahrt, wir hatten unsere Gründe", sagte Polizeisprecher Bernhard Schodrowski. "Es gibt keinen Zweifel: Wir haben dadurch schwere Krawalle am Rande des Spiels im Vorfeld verhindert." Rainer L., der Fanbeauftragte des BFC Dynamo, sagte hingegen: "Was passiert ist, war eine Übung für die WM - und wir waren die Probanden." Dynamos Fan-Verantwortlicher, ebenfalls Gast in der Disko, widersprach der Polizeidarstellung, wonach die Beamten beim Eindringen in das Lokal angegriffen worden seien - mit Flaschen, Gläsern und Barhockern. "Das ist völliger Unsinn. Es fielen Schüsse, die Türen wurden aufgesprengt, die Polizei kam in alle Eingänge rein, jeder musste sich sofort auf den Boden legen", sagte Rainer L., "das war eine Sache von fünf Sekunden, keiner konnte sich noch wehren."

Für diese Aussage spricht, dass die Mitglieder des Spezialeinsatzkommandos (SEK) in der Tat so ausgebildet werden, dass ihren Gegnern in der Regel keine Zeit für Gegenwehr bleibt. Schodrowski aber erneuerte die Vorwürfe , dass es Widerstand gegeben habe, und forderte den Fanbeauftragten auf, mit seinen Aussagen vorsichtig zu sein: "Ich empfehle ihm Zurückhaltung." Das gelte auch für einige Vorstandsmitglieder des Vereins, die laut Schodrowski falsche Aussagen verbreiten: "Man neigt bei Dynamo zur Verharmlosung dieser Fan-Gruppierung. Wir haben aber keine Teilnehmer des Weltjugendtages angetroffen, sondern Rädelsführer, die für den Tag darauf einiges geplant hatten. Wir konnten nicht abwarten, sonst wären wir am nächsten Tag an den Pranger gestellt worden, wenn es beim Spiel gekracht hätte." Der Polizeisprecher wehrte sich gegen Kritik, es habe sich um eine abschreckende Aktion im Hinblick auf die WM gehandelt: "Nein, das war keine Übung."

Doch genau das vermutet Anwalt René Lau, der Bruder des Dynamo-Spielers Hendryk Lau. "Dieser Vorfall und die Kriminalisierung von Fans sind eine Katastrophe für unser Land", sagte der Stürmer. Offenbar, so René Lau, habe die Polizei in der WM-Saison medienwirksam Stärke demonstrieren wollen: "Ich frage mich, warum bei dem Einsatz so viel Presse sofort vor Ort war." Berlins Polizeipräsident Dieter Glietsch bestätigte zumindest indirekt den demonstrativen Charakter der Razzia. Er erklärte am Montag: "Die Berliner Polizei hat am Wochenende deutlich gemacht, dass sie alle ihr zur Verfügung stehenden rechtlichen und einsatztaktischen Möglichkeiten ausschöpft, um organisierte Gewalt bei Sportveranstaltungen möglichst schon im Vorfeld zu unterbinden."

Polizeisprecher Schodrowski bestreitet, dass es zu Übergriffen von Beamten und zu Szenen gekommen sei, die beteiligte Fans so beschreiben: Männer waren stundenlang gefesselt und durften nicht auf die Toiletten. "Viele haben eingepullert", so Rainer L. Frauen hätten unter den Augen der Polizei ihre Notdurft verrichten müssen. "Wenn einer nur eine Frage gestellt hat, wurde er sofort geschlagen", sagte der Fanbeauftragte, der einräumte, es seien zwar "auch Hooligans bei der Party gewesen", doch beim überwiegenden Teil habe es sich um friedliche Fans gehandelt. Die Polizei indes ordnet alle festgenommenen Fans der Kategorie B und C zu, die als gewaltbereit gelten. "Wir wussten sogar im Vorfeld, dass die Polizei kommen würde", sagte nun Rainer L., "aber wir haben nicht geahnt, wie brutal die kommen."

Widersprüchliche Angaben gibt es zu den Folgen der Razzia. Rainer L. spricht von hundert Leicht- und dreißig Schwerverletzten, die teilweise noch immer mit Brüchen in Krankenhäusern liegen würden. Die Polizei erklärt, es seien nur fünf Personen leicht verletzt worden. Der Lagedienst der Feuerwehr, zuständig für die Entsendung der Ambulanzfahrzeuge, spricht von 21 Verletzten, von denen 15 in umliegenden Krankenhäusern mit Platzwunden hauptsächlich im Kopfbereich behandelt wurden. Die BFC-Anhänger wollen nicht nur Klagen einreichen, sondern fordern einen Untersuchungsausschuss beim Senat. Man sei bereits in Gesprächen mit mehreren Politikern, sagte der Fanbeauftragte.


Andreas Kopietz, Berliner Zeitung, 23.08.2005