| Jürgen Bogs ist eine Gemütsmensch. Doch jetzt ist auch der Trainer des Berliner FC Dynamo verärgert. Im März hat er sein Gehalt für den Januar bezahlt bekommen, seitdem gab es kein Geld mehr. Bogs hat den Versprechungen der Klubführung geglaubt: Alles werde besser. Stattdessen erreichen ihn im Urlaub immer mehr Hiobsbotschaften: Rücktritt der Präsidentin, drohende Insolvenz; der Ausverkauf seiner Mannschaft ist in vollem Gange: "Meine Spieler werden auf dem Markt feilgeboten. Davon weiß ich gar nichts." Bogs, der ein Haus gebaut hat und mit den Raten in Verzug ist, will Druck auf den Klub ausüben: "Wenn ich nicht kurzfristig Geld bekomme, dann..." Spieler wie Nico Thomaschewski werden deutlicher: "Wenn bis zum Trainingsbeginn am Montag kein Geld fließt, werden wir über Streik sprechen. Man kann mit uns nicht alles machen."
Der BFC vor dem Aus - und mittendrin Sportdirektor und Vizepräsident Hans Reker, der sich die Lage schönredet. "Wir vermeiden die Insolvenz zu 99 Prozent", sagt er, führte aber dennoch am Dienstag ein Gespräch mit einem Anwalt für den Fall der Fälle. Reker behauptet, dass nur 120.000 Mark, die der Krankenkasse AOK zustehen (die einen Insolvenzantrag gegen den BFC gestellt hat), bis zum Monatsende aufgetrieben werden müssen. Keine Rede von den Schulden beim Finanzamt, bei Versicherungen und der Berufsgenossenschaft. 40.000 Mark kamen bisher durch Fans zusammen, die auf ein Spendenkonto unter dem Motto "Rettet den BFC" eingezahlt haben. Bei der außerordentlichen Mitgliederversammlung am 10. Juli soll laut Reker "ein umfangreiches Sanierungskonzept" vorgestellt werden.
Der Etat werde auf 1,3 Millionen Mark (bisher 2,5) reduziert. Es heißt, nur fünf Stammspieler (Thomaschewski, Lenz, Hahn, Panait, Oprea) sollen gehalten werden. Viele der abgewanderten Profis hätten auf das Gehalt verzichtet, sagt Reker - "für den BFC". Wohl eher, weil sie befürchten, nur noch Konkursgeld zu erhalten. Den anderen Kickern wurde ein dubioses Gehaltszahlungsmodell angeboten - bis zum Winter sollen sie ihre Rückstände in sechs Raten ausbezahlt bekommen. Der BFC plant, von der Hand in den Mund zu leben. "Ohne unser sportliches Ziel Aufstieg aufzugeben", so Reker. Dynamo will sich irgendwie durchschlagen - nur, um die Insolvenz zu vermeiden.
Denn da das Verfahren keinesfalls mehr bis zum 30. Juni eröffnet wird, dürfte der Klub zwar in der Oberliga mitspielen, stünde aber vorab als erster Absteiger fest. Die zurückgetretene Klubchefin Karin Seidel-Kalmutzki sagt dennoch: "Spätestens seit dem 9. Juni, als der Aufstieg verspielt und alle Hoffnungen auf viel Fernsehgeld in der dritten Liga weg waren, gab es keinen Ausweg mehr. Ich habe für Insolvenz plädiert." Sie fügt hinzu: "Ich kann nicht in die neue Saison gehen, indem ich genauso anfange, wie die alte geendet hat: Mit Chaos und finanzieller Unsicherheit." Bis heute wisse sie nur von einem Werbevertrag mit dem angeschlagenen Konzern Lipro AG, andere Unterlagen wurden ihr nicht gezeigt.
Weil es sie nicht gibt, mutmaßt die SPD-Politikerin: "Ich will den Spielern und Angestellten nichts vorgaukeln." Ihren Rücktritt sehe sie als "Signal für einige", sich mal die Konten und Verträge anzuschauen. "Genaueres will ich nicht sagen, das könnte juristisch noch relevant werden." In gut informierten Kreisen ist davon die Rede, dass es beim BFC Geldflüsse auf dubiose Konten gegeben hat. Auch von Schwarzgeld wird gemunkelt. Im Blickpunkt: Hans Reker. Der wehrt sich gegen den Verdacht, er habe bei Transfers und Werbeverträgen mit kassiert. "Das ist der Witz des Jahrhunderts", sagt er, "seit Juli habe ich kein Geld vom BFC gesehen."
Reker mokiert sich über den Abgang der Präsidentin: "Sie hat ihr Rücktrittsschreiben unter der Tür der Geschäftsstelle durchgeschoben. Das ist keine Art." Aber Synonym für die Situation: Keiner kann dem anderen in die Augen schauen. Reker, der ständig mit neuen Zahlen jongliert, wird von Fans bereits als "Totengräber" bezeichnet. Seidel-Kalmutzki sagt: "Meine Hinweise, wie schlimm es steht, wurden im Präsidium ignoriert." Reker, der Vizepräsident, bestreitet den Ernst der Lage. Von den vier Millionen Mark Schulden seien 2,5 Millionen als Darlehen von der Lipro AG gewährt, sagt er: "Zurückzuzahlen frühestens im Januar 2003." Mittelfristig müssten nur weitere 200.000 Mark beschafft werden. Der neue, abgespeckte Etat, so Reker, "steht zu 70 Prozent". Derweil berichtet Seidel-Kalmutzki, dass immer mehr Sponsoren ihre Zusagen zurückziehen: "Das Vertrauen in die Arbeit beim BFC ist erschüttert."
Matthias Wolf, Berliner Zeitung, 27.06.2001
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