Das Hooligan-Kartell / Die Fans des Ost-Berliner Klubs BFC Dynamo gelten als die brutalsten der Republik. Der harte Kern der Schläger verdient mit Drogenhandel Millionen - bis die Polizei zuschlägt

Mario Wronski*) war oft im Stadion und manchmal auch davor. So wie am 21. Juni 1998 im französischen Lens. Als Hooligans außerhalb des Stadions die Polizei angreifen und für weltweite Schlagzeilen sorgen. Wronski ist eigens zur Fußball-WM geflogen, wie es sich für einen Chef-Hooligan gehört. Im Flieger sitzt auch sein Kumpel Christopher Rauch. In Lens trennen sich die beiden. Rauch gehört zu einer Gruppe von etwa 50 Hooligans, die in einer Seitenstraße dem französischen Polizisten Daniel Nivel mit einem Verkehrsschild den Schädel einschlagen. Nivel wird Zeit seines Lebens ein Krüppel bleiben; die Richter verurteilen Rauch dafür Anfang November 1999 zu dreieinhalb Jahren Haft. An dem besagten Nachmittag in Lens hat Wronski nicht mitgeboxt. Ansonsten kennt er sich natürlich schon aus damit, wie man einen umhaut. Wronski ist etwa 1,85 Meter groß und kommt auf knapp 100 Kilogramm wohl trainierter Muskeln.

Seine Haut ist braun gebrannt, von Reisen nach Südamerika und von Besuchen in Berliner Sonnenstudios. Das mit der Bräunung wird für die nächsten fünf bis zehn Jahre allerdings ein Problem. Im Knast scheint einfach zu selten die Sonne. Wronski, 36, wegen seiner Haare auch "der Zopf" genannt, und Rauch, 25, gehören zu den Hooligans der so genannten Kategorie C: als gewaltbereit registriert in den einschlägigen Karteien der Polizei. Beide sind überzeugte Fans des ehemaligen Mielke-Klubs BFC Dynamo aus Ost-Berlin. Ihre Aktivität im Umfeld der Stadien ist mittlerweile allerdings nur noch ein Hobby. Im richtigen Leben, glauben die Ermittler, sind die Herren Hooligans Berufskriminelle. Die Fahnder halten Wronski und Rauch für die Drahtzieher eines internationalen Hooligan-Kartells mit Verbindungen bis nach Südamerika. Der harte Kern der Hooligans aus dem Umfeld des BFC Dynamo, nach Polizeiangaben rund 200 Personen mit Kampfsporterfahrung, kontrolliert inzwischen fast vollständig die Ost-Berliner Türsteher-Szene und nutzt die Discos als Absatzmarkt.

Kokain für die Yuppies und Ecstasy für die Raver. Ein Millionengeschäft. Am Dienstag dieser Woche rollen Polizeiexperten für Organisierte Kriminalität das Drogen-Kartell endgültig auf. In den Morgenstunden nehmen Spezialisten im Großraum Berlin vier Männer und eine Frau aus der Hool-Szene hoch - die Gruppe, die zu Wronski gehört, ist seit längerem im Visier der Polizei. Bereits in der Nacht des 2. Oktober 1998 hatten die Beamten ein Dutzend Personen festgenommen, darunter Mario Wronski, der seitdem als mutmaßlicher Chef einer kriminellen Vereinigung in Haft sitzt. Während der Razzien realisierten die Polizisten, wie weit die Geschäfte der Hools gediehen waren: Bei Mario Wronski fand ein Sondereinsatzkommando eine Maschinenpistole mit Schalldämpfer, eine Pump-Gun und zwei Pistolen. Auf Konten, Aktiendepots und in Immobilien hatte das Hooligan-Kartell knapp fünf Millionen Mark angelegt.

Erwirtschaftet aus Drogenhandel sowie Versicherungs- und Kreditbetrug. Natürlich sind nicht alle Fans von Dynamo Hooligans, und nicht alle Hooligans sind Drogendealer. Doch gilt es als Tatsache, dass diejenigen der BFC-Fans, die sich als Hools bezeichnen, zu den härtesten in Deutschland zählen, vor denen Gegner wie Polizei gleichermaßen Respekt haben. Mythos BFC: Sportlich ist Dynamo auf dem Weg in die vierte Liga - die Fans aber sind erstklassig. Und ein nicht unerheblicher Teil ist mittlerweile in Geschäftsfeldern aktiv, die nur noch wenig mit Fußball zu tun haben. Kurz nach dem Mauerfall erkannten die Ost-Berliner die einmalige Chance: Die DDR war ein fast rechtsfreier Raum. Plötzlich war alles möglich. Die letzten Jahre in der DDR hatten die Szene hart gemacht im Einstecken und noch härter im Austeilen. Es gab Donnerstage, da legten die Hooligans über Nacht ihre Hände in Obstessig ein.

Am nächsten Morgen war die Haut weich wie ein feuchter Lappen. Die Hools zogen sie ab bis auf das rohe Fleisch, um am Freitag nicht malochen zu müssen. Statt dessen fuhren sie mit ihrem BFC zum Auswärtsspiel, die dritte Halbzeit inklusive. Mit der Staatsmacht hatten die meisten bereits ausgiebige Erfahrungen. Einige, weil die Stasi sie vorübergehend wegsperrte, um die renitenten Fußballfans einzuschüchtern. Andere, weil sie lieber ihre Kameraden denunzierten. Und alle, weil der BFC als Stasi-Klub galt, der von allen anderen Klubs gehasst wurde. Mit der Wende expandiert eine Szene, deren Energie nur durch die Mauer in Grenzen gehalten wurde. Die Hools des BFC Dynamo erwerben sich schnell bundesweit Respekt. Im November 1989 überfallen 500 Berliner in Jena im Anschluss an ein Oberligaspiel eine Tankstelle, plündern Geschäfte und schlagen die Volkspolizei in die Flucht. Am 3. November 1990, beim Spiel gegen Sachsen Leipzig, kommt es zu schweren Krawallen. Die überforderten Ost-Polizisten ziehen die Waffe und schießen auf den Berliner Mob. Der 18-jährige Mike Polley bleibt tödlich getroffen liegen.

Eine Woche später nehmen tausend Berliner an einem Trauermarsch teil. Auf dem Fronttransparent steht: "Wir trauern um Mike - Hooligans". Das schweißt zusammen. Die meisten Hools sind um die 30 Jahre alt und kennen sich aus der DDR-Zeit. Wie Wronski, der kurz vor der Wende in den Westen rübermachte und nun zurück ist in Ost-Berlin. Anfang der 90er Jahre drängen die kampferfahrenen Fußballfans des BFC in die Türsteher-Szene. Bis heute sind unter den 200 wichtigsten Personen der Szene nur eine Hand voll echter Westler. Die Ost-Berliner haben das Sagen - und ihr Hoheitsgebiet ist groß. Mario Wronski macht für kurze Zeit eigenhändig den Rausschmeißer. Dann gründet er sein eigenes Unternehmen und lässt arbeiten. In der Bar "Venus" im Berliner Bezirk Hohenschönhausen sind seine Jungs aktiv, im "P2" in Schwedt, in Discos in Neuruppin und in Marwitz. Eine zweite, befreundete Gruppe, "die Rahnsdorfer", dominiert die örtliche Disco in Rahnsdorf.

Bald ist auch Berlin genommen. Ein Ermittler sagt: "Die haben ein einfaches Erfolgsrezept. Die kommen mit sechs, sieben Leuten mit scharfen Waffen, die sie im Zweifel auch benutzen. Da kapituliert in Berlin und Brandenburg fast jede andere Gruppe." Heute gilt die Hauptstadt als weitgehend zweigeteilt: Im Westteil dominieren Türken und Araber die Türsteher-Szene. In fast allen Discotheken im Osten herrschen dagegen die Hooligans. Eine Regel der Unterwelt lautet: Wer die Tür kontrolliert, kontrolliert auch den Drogenhandel. Denn ohne Einwilligung der Security ist es fast unmöglich, in einem Nachtklub zu dealen. Es ist der nächste, logische Schritt, nach den Discos auch den Drogenhandel zu übernehmen. Das Ziel heißt Südamerika. Da, wo die Drogen herkommen. 1995 muss Rocco Schubert
*) abtauchen, einer aus dem Umfeld des BFC, gegen den acht verschiedene Ermittlungsverfahren laufen.

Schubert, der zu den "Rahnsdorfern" gehört, flüchtet nach Venezuela und wird dort Statthalter des Hooligan-Kartells. Der Zwei-Meter-Hüne ist einschlägig wegen Körperverletzung bekannt. Markant sind die heruntergezogenen Mundwinkel, die ihm einen Ausdruck von Frustration und Skrupellosigkeit verleihen. Sein Job in Venezuela: Drogenkuriere mit Stoff und präparierten Gepäckstücken zu versehen. Darin oder direkt am Körper werden die Lieferungen nach Deutschland gebracht: Koks, so strahlend wie die weinrot-weißen Trikots des BFC. Geliefert von venezolanischen Drogenkartellen. Gedacht für Ost-Berliner und Brandenburger Discos, in denen Hooligans Türsteher sind. Die Gruppe ist hervorragend organisiert. Über Kuriere wird der Stoff per Ferienflieger über Düsseldorf oder Amsterdam eingeschleust, teilweise auch über Schiffscontainer via Bremen. Von den Berliner Drahtziehern wohnt so gut wie keiner unter seiner Meldeadresse.

Wronski unterhält bis zu sechs tote Briefkästen, die Kontaktleute gegen Honorar leeren. Der "Zopf" benutzt vier Handys mit bis zu 13 Karten in sämtlichen Netzen, allesamt über Strohmänner angemeldet. Standesgemäß fährt Wronski einen Mercedes S-Klasse, einen BMW und einen Ersatz-Daimler. Ab und zu besuchen Mario Wronski und die Berliner Rocco Schubert in Venezuela. Dann werden am Pool und in den Discos von Caracas heiße Partys gefeiert, die regelmäßig in Schlägereien enden: Die Berliner, allesamt Kampfsportler kräftigerer Statur, haben Spaß daran, die kleineren Venezolaner zu provozieren. Bald wirft die Venezuela-Connection gutes Geld ab. In Caracas kostet ein Kilo Kokain zwischen 6.000 und 7.000 Dollar. Auf den Tanzparketts der Hauptstadt liegt der Straßenverkaufswert bei bis zu 200.000 Mark. Das Geld soll über Frank Wronski
*) gewaschen werden, den jüngeren Bruder von Mario.

Der kleine Wronski leitet in einer sächsischen Provinzstadt die örtliche Filiale der Dresdner Bank. In seinem Lions-Club ist er eines der jüngsten Mitglieder. Er gilt als aufstrebender junger Mann mit ordentlich gescheitelten Haaren und hat die Lizenz zum Zeichnen von Millionen-Krediten. Unter falschen Namen eröffnet die Gruppe verschiedene Konten. Sie reicht Grundbuchauszüge, notarielle Beurkundungen und Fotos von Häusern als Referenzen ein. Dafür kassiert sie mehrere Millionen Mark an Krediten. Weder die Personalien noch die Grundstücke noch die Häuser existieren. Die Polizei wird den Bänker am Rande einer Fachtagung über Anlagestrategien festnehmen. Als im November 1996 ein Kokain-Kurier auf Kuba auffliegt und plaudert, kommt das Berliner Landeskriminalamt auf die Ost-Berliner Spur. Die Hooligans merken schnell, dass etwas nicht stimmt. In seinem Sportstudio lernt Mario Wronski einen jungen Polizisten kennen: Jens L., der in der Direktion 7 in der Fahndung arbeitet.

L. ist Berliner Kickboxmeister seiner Gewichtsklasse. Der Kampfsport verbindet. Über eineinhalb Jahre lang wird L. die Venezuela-Connection über Ermittlungen der Polizei informieren, die er konspirativ über den Polizeicomputer abruft. Jens L. besucht schon mal zusammen mit Wronski Bordelle im Ostblock. In Berlin fährt er ein teures Audi Cabrio. Als das Drogen-Netz hochgeht, fliegt auch Jens L. auf. Fast zwanzig Leute hat die Berliner Polizei mittlerweile festgenommen; die Verhaftungen am Dienstag dieser Woche waren die vorläufig letzten. Die meisten sitzen in Untersuchungshaft und warten auf ihren Prozess. Noch, sagen die Ermittler, ist die Operation nicht zu Ende. Zu einer der Festnahmen wurde auch ein vermummtes, schwer bewaffnetes Sondereinsatzkommando geschickt. Die SEK-Männer, nicht gerade für Höflichkeit berühmt, überwältigten den Verdächtigen schockartig beim Verlassen eines Geschäfts. Nach der Festnahme registrierten die Polizisten feuchte Flecken auf dessen Hose. Das, sagen die Beamten, passiert selbst den Härtesten.

*) Name von der Redaktion geändert 

Holger Stark, Tagesspiegel, 19.11.1999