Vorwärts in die Vergangenheit / BFC Dynamo: Der Präsident: Die Saison der Endspiele! / Der Trainer: Platz sechs ist Pflicht! / Der Manager: Wir brauchen noch einen Spieler!

Jeder hat sein Päckchen zu tragen. So lautet eine Volksweisheit. Auf kaum einen Verein trifft dieser Spruch so zu, wie auf den BFC Dynamo. Wobei das Päckchen dort wohl eher zum Paket mutiert. Dynamo will endlich weg vom Negativ-Image. Vom "Schiebermeister", weg von der Vergangenheit und doch wieder hin. Zumindest zur sportlichen. Zu Zeiten, als der BFC noch Titel abräumte. Diese Saison ist die große Chance für den Klub. Die Chance zur "Auferstehung aus Ruinen". Einst gehörte der BFC Dynamo, der am 15. Januar 1966 gegründet wurde, zu den erfolgreichsten Klubs. Große Namen standen für die ausgeprägte Spielkultur. Namen wie Günter Schröter, Waldemar Mühlbecher und Andreas Thom.

Siege über Siege häufte der Verein an. Zehnmal wurde Dynamo Meister der DDR-Oberliga. Drei FDGB-Pokalsiege feierten die Berliner. Vor allem in den fünfziger und achtziger Jahren war der Verein (damals noch SC Dynamo) eines der attraktivsten Aushängeschilder des hauptstädtischen Fußballs. Auch auf internationaler Ebene brauchte sich der Klub nicht zu verstecken. Zahlreiche Auftritte in diversen Europapokalwettbewerben ließen die Mannschaft zu einem geachteten Team werden. Aber gleichzeitig war der Verein verschrieen. Als "Stasi-Verein", "Schiebermeister". Denn die Schiedsrichter hatten reihenweise ihren schlechtesten Tag bei Spielen des BFC Dynamo. Ausserdem, und auch das sei erwähnt, waren Karten für die "ganz großen" Spiele, wie für den Europacup gegen den Hamburger SV, erst gar nicht zu bekommen.

Die wurden unter den Ministerien verschoben. Der Klub wurde nicht nur von Zollverwaltung und Polizei, sondern auch vom Ministerium für Staatssicherheit getragen. Doch damals wie heute war und ist klar: Der BFC Dynamo war die beste DDR-Mannschaft jener Zeit. Schiebung hin, Stasi her. Doch dann kam die Wende. Der Verein stand an einem Scheideweg und stieg ab in die Bedeutungslosigkeit. Und änderte, um sich auch äußerlich von der ungeliebten Vergangenheit zu befreien, den Namen. Das "B" wurde ans Ende gestellt, "Dynamo" ganz gestrichen. Seit dem 28. Mai 1990 nannte sich der Berliner Fußballclub Berliner Fußballclub. Das änderte allerdings nichts daran, dass die Stars weg und die Talente so gut wie ausverkauft waren.

Neben diesen Problemen, war obendrein die Wirtschaftslage nicht geklärt. Während in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung im wesentlichen der durch Spielertransfers entstandene Besitz(not)stand verwaltet werden musste, geht man inzwischen neue Wege. Logisch. Das Präsidium unter dem Vorsitzenden Volkmar Wanski wurde komplett neu gebildet. Der Wirtschaftsrat unterliegt dem Vorsitz des Bezirksstadtrates für Wirtschaft und Finanzen von Hohenschönhausen, Mathias Stawinoga. Das siebenköpfige Gremium unterstützt und kontrolliert die Arbeit des Vereins. Doch auch Jahre nach der Wende, wurde der FC Berlin seine Vergangenheit nicht los. Er konnte seinen Ruf einfach nicht abschütteln.

Daraus wurden Konsequenzen gezogen und ehrlicherweise wieder der dazu passende "alte" Name gefordert. Nach fast genau neun Jahren stimmten die Mitglieder nahezu einstimmig ab. Seit dem 8. Mai heißt der Klub wie vorher. Das "B" wurde wieder eingefügt, "Dynamo" in den Namen zurückgenommen. Soviel zur Geschichte. Bewegend - gewiss. Doch die Vergangenheit ist zwar nicht vergessen, aber doch vorbei. Es gilt, sich mit der Gegenwart auseinander zu setzen und an die Zukunft zu denken. Dazu hat der BFC Dynamo nun die Gelegenheit. Jetzt endlich ist die Chance da, wieder festen Fußballboden unter die Füße zu kriegen. Endlich sportlich aufzufallen und nicht nur durch die, zweifelsohne, übermäßig gewaltbereiten Hooligans.

Endlich herauszukommen, aus dem Grauschleier der Nichtbeachtung. Um das zu schaffen, hat sich Dynamo einiges vorgenommen. Die Hohenschönhausener befinden sich derzeit am Scheideweg zwischen Amateur-Fußball und Professionalität. Sportliches Ziel aller Verantwortlichen ist die Qualifikation für die dritte Liga. Ausserdem will sich der Klub endlich im regionalen Umfeld etablieren. "Das können wir nur über die sportlichen Erfolge schaffen, das wissen wir", so der Manager Horst Göhler. "Wir wollen den Sponsorenpool weiter aufstocken", sagt Göhler weiter. "Die Saison ist lang." Eigens dafür wurde ein (inzwischen nicht mehr neuer) Trainer gesucht und gefunden.

Der Erfurter Klaus Goldbach steht seit dem letzten Spieltag der vergangenen Saison am Spielfeldrand. Dem 48-Jährigen soll gelingen, woran Ex-Trainer Henry Häusler scheiterte. Er soll die Mannschaft stärken und mit ihr Siege feiern. Klaus Goldbach weiß dabei, wovon er redet. Als Spieler war er neun Jahre beim FC Rot-Weiß Erfurt. In 198 Begegnungen erzielte er sieben Tore. Aus dem Mittelfeld, der Defensive und zum Schluß "als ich älter wurde", aus der Abwehr. In der Hauptstadt Thüringens wurde er Trainer. Zwischen 1992 und 1996 verpasste er mit seiner Mannschaft nur knapp den Aufstieg in die zweite Bundesliga. Doch knapp vorbei ist auch verpatzt.

Deshalb hofft Goldbach nun, in Berlin zu vollenden, was er in Erfurt begann. Klaus Goldbach ist ein Coach, der sein Team mit harter Hand führt. Impulsiv ruft er vom Platzrand seinen Kickern immer wieder Anweisungen zu. Die Stammmannschaft, zumindest die, die beim ersten Spiel antrat, bildete der Trainer wie von Experten voraus gesagt. Im Tor stand, wie erwartet, Nico Thomaschewski. Er kam neu vom 1. FC Union. In der Abwehr spielte Robert Majchrzak neben Kapitän Jörn Lenz, Jens Reckmann und Mario Kallnik. Heiko Brestrich war ursprünglich ebenso aufgestellt, musste aber kurz vor Anpfiff wegen einer Verletzung gegen Thomas Petzold ausgetauscht werden.

Dirk Rehbein lief im Mittelfeld auf, ebenso Martino Gatti, der ein unglaubliches Laufpensum erfüllte. Marcel Riediger, Sohn des bekannten DDR-Nationalspielers Hans-Jürgen Riediger, war auch im Mittelfeld eingesetzt. Für einen ordentlichen Sturm sorgten Norman Struck und Leo Maric. Ja, Leo Maric. Er ist zurück und konnte beim Spiel gegen den FC Magdeburg auch beweisen, dass es wert war, auf ihn zu warten. Währenddessen musste Daniel Bartel, der zweite Torwart, das erste Spiel von der Bank aus verfolgen. Mit ihm warteten Mario Maek (kam in der 36. Minute für Robert Majchrzak), Falk Jarling (59. für Leo Maric) und Andre Schmeißer (74. für Marcel Riediger) auf ihre Einwechselung.

Karsten Schmidt und Marcel Salomo bildeten an diesem Tag die Schlusslichter. Der BFC Dynamo hofft, mit dieser Mannschaft, dem Trainer und der gesamten Vereinsführung am Ende der Saison einen Platz zwischen eins und sechs zu schaffen. Das wird auch nötig sein. Jedes andere Ergebnis wäre das Aus für den Verein. Aus der Oberliga in die Regionalliga ist es schwer. Das steht wohl ausser Frage. Ausserdem wäre ein finanzieller Kollaps mehr als wahrscheinlich. Darüber nachdenken will aber niemand. Der Vorsitzende Wanski hat "ein gutes Gefühl". Na, dann: Zurück in die Zukunft.

Diana Becht-Zwetkov, Berliner Morgenpost, 13.08.1999