Unsere Meinung: Fußballschlacht in Leipzig

Ein Todesopfer und vier Schwerverletzte sind die blutige Bilanz der letzten Fußballschlacht in Leipzig, nur wenige Tage nach ähnlichen Ausschreitungen beim Länderspiel in Luxemburg. Die gegenseitige Schuldzuweisung ist in vollem Gange. Der DFB wäscht seine Hände in Unschuld und fordert verschärfte Gesetze gegen Fußballrowdys. Der bekannte "Fanforscher" Gunter Pilz hält diese Forderung für fatal, da gemäß dem Gewaltgutachten der Bundesregierung die bestehenden gesetzlichen Maßnahmen ausreichten. Die Gewerkschaft der Polizei, GdP, richtet ihrerseits schwere Vorwürfe gegen den DFB, der trotz eindringlicher Warnungen vor den bürgerkriegsähnlichen Zuständen und der Eskalation der Gewalt untätig geblieben sei. Im Mittelpunkt der Kritik steht das Verhalten der in Leipzig eingesetzten Polizei.

Jene hilflosen, panisch reagierenden Polizisten, die, von einer tobenden Übermacht eingekesselt und angegriffen, von der Schußwaffe Gebrauch machten, wurden freilich durch ihre Einsatzleitung in diese Notwehrsituation gebracht. Die Polizeikräfte waren angesichts der krawallsuchenden Massen unzureichend, und sie sind noch immer ungenügend auf solche zivilen Einsätze vorbereitet, weil es dergleichen im Stasi-Staat nicht gegeben hat. Es hätte vielleicht genügt, in die Luft zu schießen, um die Angreifer zu stoppen. Man fragt sich auch, warum in der deutschen Polizei so wenig von mannstoppenden Spezialwaffen Gebrauch gemacht wird, mit denen in anderen westlichen Ländern Randalierer zur Räson gebracht werden? Und sollte nicht auch die Drohung mit dem Spielabbruch, über Lautsprecher verkündet, ernüchternd auf Rowdys wirken, die von weither angereist kamen, um ihre Fußballschau zu genießen?

Oder ist den Fußballbossen das "große Geschäft" wichtiger, wie die GdP anklagend meint? Der DFB ist gefordert, sich stärker an der sozialpädagogischen Erforschung und Verhütung solcher Gewaltausbrüche zu beteiligen. Allerdings bildet die Fußballtribüne nur den Resonanzboden für ein latentes Aggressionspotential, besonders unter den Heranwachsenden, aber nicht nur dort. Individuelle Gewaltexzesse spielen sich im täglichen Straßenverkehr ab, wo mancher sein Leben für das Erfolgserlebnis riskiert, bis zur nächsten Ampel schneller als der Nebenmann zu sein. Und der eskalierende Straßenterror zwischen rechts- und linksradikalen Jugendlichen ist nur eine politische Maskerade für die gleiche Aggression, die nach einem ventil sucht und immer wieder beweist, wie dünn die Decke der Zivilisation zwischen dem Neandertaler und dem "mündigen Bürger" geblieben ist.


Autor nicht bekannt, Tagesspiegel, 06.11.1990