Ein Toter, drei Schwerverletzte / Nach Krawallen in Leipzig Kritik an der Polizei

Die Eskalation der Gewalt auf den Rängen und vor den Fußballstadien hat am Wochenende das erste Todesopfer gefordert. In Leipzig wurde der 18jährige Berliner Mike P. durch einen Schuß der Polizei getötet. Bei den Ausschreitungen vor und nach dem Spiel FC Sachsen Leipzig gegen FC Berlin gab es drei Schwer- und sechs Leichtverletzte. 15 Privat-PKW und Dienstfahrzeuge der Polizei wurden demoliert, 31 Geschäfte und Einrichtungen geplündert, verwüstet. Aus Berlin kommende Rowdys hatten bereits in Halle den Zug gewaltsam gestoppt und sich mit Steinen aus dem Schotterbett bevorratet. Auf dem Hauptbahnhof kam es zum ersten Handgemenge mit Leipziger Hooligans. Von hier aus zog die Karawane in den Georg-Schwarz-Sportpark.

Gewaltsam drangen die Horden in das Stadion. Die Polizei vertrieb den Mob aus der Sportstätte. Eine Gruppe von 300 bis 500 weiterer der neonazistischen Szene zuzuordnende junge Männer stieß hinzu. Die Lage spitzte sich zu. Als die Polizeikräfte eingekesselt wurden, gab er den Befehl zum Einsatz der Schußwaffe, erklärte später Oberrat Krompholz. 80 Randalierer wurden festgenommen, neun wieder entlassen. Inzwischen ist die Polizei, die insgesamt nur 219 Kräfte zum Einsatz bringen konnte, stark in die Kritik geraten. Offensichtlich war das Sportereignis mit den zu erwartenden Auseinandersetzungen der einzelnen Gruppen sicherheitsmäßig nicht mit der notwendigen Konsequenz vorbereitet worden. Der Pressesprecher der Leipziger Polizei wußte von keinen "zuverlässigen Hinweisen" über den Hooligan-Anmarsch.


Manfred Jäger, Neues Deutschland, 05.11.1990