Beim Geld setzte das Schweigen ein / Notizen von der Pressekonferenz zum Transfer des BFC-Stürmers Andreas Thom zu Bayer 04 Leverkusen

Spekulationen gab es in den vergangenen Wochen genügend um einen Transfer des 24jährigen Nationalspielers Andreas Thom vom BFC Dynamo zum Bundesligisten Bayer 04 Leverkusen. Mit der Vertragsunterzeichnung durch beide Vereine ist der Wechsel seit dem 12.12.89 perfekt. Ab 1. Januar 1990 wird der 50fache DDR-Auswahlakteur für den Bundesligisten stürmen. Das wurde am vergangenen Sonnabend auf einer Doppelpressekonferenz in Berlin und in Leverkusen bekanntgegeben. "Andreas Thom stand auf der Wunschliste unseres Trainers Jürgen Gelsdorf ganz obenan. Seit einem halben Jahr laufen unsere Bemühungen. Beide Vereine haben einen Durchbruch geschafft, dessen Ausmaß am 16. Dezember noch nicht absehbar ist", sagte Bayer-Präsident Gerd A. Fischer. Darunter wollte er keineswegs ein schnelles Einmal-Geschäft sehen, koste es, was es wolle, sondern der Bayer-Klub sei zu einer Kooperation auf dem Gebiet von Traineraustauschen, Trainingslagern und Trainerhospitationen bereit.

Dazu vielleicht auch Banden- und Trikotwerbung. Von sportlicher Förderung war die Rede, damit Thom auch in Zukunft für die DDR-Nationalmannschaft zur Verfügung stünde. Daß Bayer mit (seinem niemanden bekannten) Jahresetat tief in die Kasse greift, ist wohl nicht allein dem Können Thoms zuzuschreiben, sondern sorgt auch gerade in diesen bewegten Zeiten für Imagepflege des Bayer-Vereins und natürlich Bayer-Konzerns. Denn Andreas Thom ist der erste aus dem letzten "Exoten-Reservat", wie die "Welt am Sonntag" den DDR-Fußball titulierte. Und wer möchte da nicht den anderen voraus sein? Der 24jährige selbst sieht in seinem Wechsel eine große sportliche Herausforderung. Es sei kein einfacher Schritt, denn es gebe für ihn Zufriedenheit und auch Skepsis. Doch er habe eine neue Motivation, nachdem es in den letzten Monaten beim BFC nicht so gut gelaufen sei. Er habe immer gern für den BFC gespielt. Der Klub sei verhaßt, die Spieler wurden immer ausgepfiffen. Dafür habe man ein besonderes Nervenkostüm besitzen müssen, um sich aus schwierigen Situationen immer wieder herauszuziehen.

Sein Wechsel erfolge nicht, weil er um den Fortbestand des BFC fürchte. Er wolle weiterhin für die DDR spielen, wenn ihn der Trainer ruft - das die Quintessenz von Thoma Ausführungen. Beim Geld allerdings setzte das große Schweigen ein. "Eine Grundsatzphilosophie des Bayer-Vereins ist es, über Transfersummen Stillschweigen zu bewahren. Zu dieser Verpflichtung steht der Verein auch im Falle Thom und macht keine Ausnahme", hatte Präsident Fischer geäußert. Da mußte der BFC Dynamo wohl gute Miene zu diesem Spiel machen, denn der Finanzgewaltige besitzt nun einmal im Profigeschäft den längeren Arm. "Ausdrücklich nein", bekannte sich Fischer allerdings zu einer von der "Bild"-Zeitung zuletzt gemeldeten 5-Millionen-Offerte, davon einer Million in Medikamenten. Insider halten mehr eine Ablösesumme von 3,6 Millionen Mark und ein Jahresgehalt von 450.000 Mark für Thom für realistisch.

Wie der prozentuale Anteil zwischen dem DFV und dem BFC allerdings geregelt  werden soll, darüber werde man sich - laut BFC-Chef Herbert Krafft - erst in den nächsten Tagen einigen. Dahinter dürften wir wohl mehr als ein Fragezeichen setzen, denn so etwas gehört für uns einfach zu einem Vertragspaket. 85 zu 15 Prozent zwischen Klub und Verband meldeten westliche Quellen. Warum also ein Geheimnis daraus machen, wo sich doch auch der Sport in den letzten Monaten zu größerer Transparenz verpflichtet hat? Noch anzumerken, daß der General-Manager der paraguayischen Fußball-Liga für Europa, Michael Prawitz, für eine "Beraterfunktion" bei den Verhandlungen - er besitzt keine (!) Spielervermittler-Lizenz der FIFA oder UEFA - immerhin ein 10prozentiges Salär der Ablösesumme einstreichen wird.

"Eine größere Summe stellen wir dem Ministerium für Gesundheitswesen zur Verfügung, der überwiegende Teil soll zur Förderung des Nachwuchses eingesetzt werden", meinte Herbert Krafft zum Verwendungszweck der Ablösesumme, die auf einem Konto der Staatsbank der DDR deponiert wird. Krafft ließ aber auch noch anklingen, daß der BFC nicht um seinen Weiterbestand fürchtet, man über die Beibehaltung des Namens Dynamo allerdings nachdenken müsse, daß Torhüter Bodo Rudwaleit - er hatte seinen Antrag auf Vertragsauflösung zurückgezogen - ab Januar zu Stahl Eisenhüttenstadt ausgeliehen würde, daß in der kommenden Woche die Transferverhandlungen mit Borussia Dortmund über den Mittelfeldspieler Rainer Ernst fortgeführt werden. Der DFV habe bereits grünes Licht für einen möglichen Wechsel signalisiert. Eine Pressekonferenz mit Neuland für unseren Fußballsport. Für mich aber auch eine Konferenz, die ein wenig Bedrückendes an sich hatte. Eben wegen der Zukunft unseres Fußballs.

Jürgen Nöldner, Neue Fußballwoche, 19.12.1989