Zeig,was du kannst!

Fünfzehn war er, als er ein Länderspiel erstmals im Original sah. In Berlin war das und der blonde Hans-Jürgen Riediger hatte gerade die Straßen und Plätze Finsterwaldes hinter sich gelassen, um sich beim BFC Dynamo die Berliner zu erobern. Er schaute ein bißchen ehrfürchtig drein und wagte gar nicht, das Tor von Achim Streich zum 1:1 gegen die CSSR mit jenen hundert in irgendwelche Beziehungen zu setzen, die er mal als Schüler in einer Saison geschossen hatte. Die Vogel, Ducke, Sparwasser waren für ihn respektgebietende "Denkmäler".

Doch gerade mit ihnen verbanden sich die ersten guten Auswahl-Eindrücke, drei Jahre später: "lch traf auf keinerlei Konkurrenzgefühle. Sie haben sich sogar ganz besonders darum gekümmert, daß ich schnell Anschluß fand. Trainer Georg Buschner schraubte seine Wünsche auch erstmal klein. 'Zeig, was du kannst', sagte er. 'Alles was mehr ist als nichts, ist bei einem Anfang schon gut.' Mir half, daß er immer wieder auf Martin Hoffmann zeigen konnte und auf dessen Art, die Dinge anzugehen." Die beiden hatten 1973 noch nebeneinander beim UEFA-Turnier in Italien das Endspiel erreicht und erst in der Verlängerung gegen England 2:3 verloren.

Erst achtzehn, wie Martin Hoffmann, war Hans-Jürgen Riediger, als er zum ersten Male den DDR-Dress überzog. Der FC Barcelona hatte sich nach der WM die DDR-Auswahl zu den Feiern des 75jährigen Clubjubiläums eingeladen. Der Hausherr gewann 2:1, aber das Ehrentor schoß der Neuling, er traf sogar noch mal, aber der spanische Schiedsrichter hielt es für Abseits. Doch all das war noch Probe. Der Sturm eines zugigen Apriltages und ein 0:0 in Berlin gegen Bulgarien waren schon deutlichere Hinweise auf die Mühsal, die da auf Riediger wartete.

Er ist ehrlich zu sich selbst und sagt: "lch bin den Trainern viel zu ruhig." Wozu BFC-Trainer Harry Nippert nur nicken kann. "Er lebt sportgerecht, trainiert mit Leidenschaft und steht hinter allem was er macht. Aber er ist sehr sensibel, was ihn hindert, d e r Riediger in der Clubmannschaft zu sein. Er liefert oft bessere Spiele in der Auswahl, und seine Feinfühligkeit belastet das, weil die Mannschaft ihn das auch spüren läßt. Er bleibt freundlich, hilfsbereit, aber auch zurückhaltend, was mancher völlig falsch als Einzelgängerei deutet." Gerade weil Klassestürmer aus härterem Holze sind oder es durch ihre Erlebnisse wurden, hat mancher das Gefühl, daß der Riedigersche Vorzug, noch nie eine Verwarnung kassiert zu hoben, neben dem Applaus auch ein bißchen Nachdenklichkeit verdient.

In der robusten Welt des Fußballs sind die Träume und Realitäten für Riediger noch nicht unter einen Hut gekommen. "Der Torerfolg ist für mich d a s Erlebnis", sagt er, "aber nur die Kaltschnäuzigsten sind die Erfolgreichen und zu denen zähle ich noch nicht. Viel wächst aus meiner athletischen Verfassung. Wenn sie gut ist, fühle ich mich auch sicher. Aber Härte, wie sie international praktiziert wird, verwechseln manche bei uns mit Unfairness." Hans-Jürgen Riediger, der Abiturient mit besonderer Vorliebe für Geschichte, traf zum Glück immer jemanden, der einen guten Ratschlag hatte. Das brachte ihn aus Gosmar, wo der Opa noch heute wohnt und wo der blonde Bursche seine Tore in den Duellen von Dorf zu Dorf schoß, ins benachbarte Finsterwalde.

Dort traf er auch den früheren Union-Torwart Peter Blüher, der zu ihm sagte: "Wenn du weiterkommen willst, mußt du zu einem Fußballklub." Riediger landete beim BFC. Dort hat Harry Nippert heute den Wunsch, aus Riediger einen Stürmer von Klasse zu machen. "Aber für 'Richard', wie wir ihn nennen, gibt es dafür nur einen Weg: Härteste Trainingsarbeit und durch sie dann jene Wettkampferlebnisse, die ihm die Erkenntnis bringen: Ich bin wer!" Riediger will da mit allen Fasern mitziehen. "Mich würde es deshalb in keiner Weise erschüttern, auch mal wieder Reserve in der Auswahl zu sein, wenn die anderen alle wieder gesund sind, die Sparwasser, Ducke, für die ich mich mal versuchen konnte..."

Wolfgang Hartwig, Neues Leben, 04/1975