Einiges wurde noch ins rechte Lot gerückt

Nach acht Spieltagen mußte der BFC eine ernüchternde Bilanz ziehen: 6:14 Tore, 4:12 Punkte = 13. Tabellenplatz. Die Hauptstadt schien neben dem 1. FC Union ein zweites Fußball-Sorgenkind zu bekommen. Nicht ein Sieg war Dynamo in diesem Zeitraum gelungen. Der Heimvorteil selbst gegen die in schwacher Verfassung befindlichen FCK und FC Hansa ungenutzt gelassen, die ihr taktisches Konzept durchsetzten und die angestrebten 0:0 herausholten. Die Berliner waren nervlich so anfällig, daß ihnen alles danebenging, wenn sie das Spiel bestimmen wollten. Erstaunlicherweise wirkten sie jedoch viel gelöster, wenn gegen renommierte Widersacher angetreten wurde. Jenas und Magdeburgs einzige Punktverluste resultierten lange Zeit (bis zum 10. Spieltag) aus den 1:1-Unentschieden gegen den BFC. Beim Titelträger 1. FCM lag die Mannschaft zur Pause sogar noch mit 1:0 in Front.

Das 2:3 in Dresden kam lediglich durch einen in letzter Minute verhängten zweifelhaften Foulstrafstoß, den der Gastgeber zum entscheidenden Treffer verwandelte. zustande. Hier setzte die Dynamo-Elf dann doch die Maßstäbe, wozu sie eigentlich fähig ist. Die Stimmen häuften sich, die voraussagten, daß mit einem ersten vollen Erfolg bei den Berlinern der Knoten auch platzen würde. Endlich, am 19. Oktober, konnte der BFC im heimischen Sportforum den Bann brechen. Nach torlosen 45 Minuten wurde der 1. FC Lok Leipzig mit 3:1 bezwungen. Diese Partie wurde ganz offensichtlich zur Wendemarke in dieser Saison. Vorher 6:14 Tore und 4:12 Punkte, seitdem aber 14:2 Tore und 9:1 Punkte, verbunden mit dem Vorstoß an die sechste Stelle der Tabelle. Der einzige Minuszähler wurde beim 1:1 in Halle auch erst zum Schluß eingesteckt, denn der HFC erzielte den Gleichstand erst 120 Sekunden vor dem Abpfiff.

Trotzdem sind die Spieler um Kapitän Lauck mit dieser Bilanz die beste Mannschaft da letzten fünf Meisterschaftsrunden. Der Aufschwung beim BFC wird vorwiegend mit dem Wiedermitwirken der Stürmer Netz und Schulenberg in Verbindung gebracht, die zuvor aus disziplinarischen Gründen langfristig für das Oberligakollektiv gesperrt waren. Gewiß spielte ihre Rückkehr eine gewichtige Rolle, aber beim 3:1 gegen den 1. FC Lok Leipzig waren beide noch nicht dabei, in Halle auch nur Netz mit von der Partie. Richtiger scheint wohl, daß Dynamo sich insgesamt gefangen hat, wieder der eigenen Mittel sicherer ist. Die Harmonie zwischen den einzelnen Mannschaftsteilen spiegelt sich in erfolgverheißenden Aktionen wider. Einige Spieler stehen außerdem nach vielen Experimenten nun auf den Positionen, wo sie für den BFC am nützlichsten sind. Dazu zählen der 22jährige Jonelat und der 18jährige Vorstopper Eigendorf. Auf ihre weitere Entwicklung darf man gespannt sein.

Auch Nachwuchsmann Riediger kommt wohl am Flügel besser zur Geltung als in der Mitte, weil er dort mehr Raum hat, den er bei seiner Spielanlage ohnehin braucht. Sehr bewährt hat sich der Schachzug von Harry Nippert, Schulenberg in die zweite Reihe zu stellen und ihn hier mit betont offensiven Aufgaben zu betrauen, so daß der BFC dadurch mit vier "gelernten" Stürmern operiert. Als "Jahr der Bestandsaufnahme" titulierten wir die vergangene Saison des BFC. Was als Abschluß genommen wurde, fand dennoch eine Fortsetzung, wie die außergewöhnliche Spielerfluktuation in der 1. Halbserie 74/75 ausweist. 23 Akteure trugen bereits das BFC-Trikot, so viel wie 7374 insgesamt! Erstaunlich, daß es den Berlinern über alle psychologischen, disziplinarischen Probleme hinweg dennoch gelang, eine neue engere Abwehrreihe zu formieren (Jonelat, Eigendorf, Filohn), sich zum Vergleichszeitraum der Vorsaison (10. Platz, 10:16 Punkte) um vier Ränge und drei Punkte (Sechster mit 13:13 Zählern) zu verbessern. Das Spielerreservoir des BFC ist veranlagt genug, am nicht ständig Mittelfeld-Bescheidenheit zu üben!

Hans-Günter Burghause, Neue Fußballwoche, 31.12.1974