"Auch ich will mal ein Matzen sein!" / Sehr viel gehört zu einem Spitzensportler / Dynamos Verpflichtung erfüllt

In der neuen Heimat der Berliner Dynamo-Sportler, in der Steffenstraße, spielen und trainieren nicht nur ihre Großen. die "Meister". Ebenso wohl fühlen sich dort auch Ihre "Lehrlinge", die jungen und jüngsten dieses Sportclubs. Man mag nicht meinen, wie ehrgeizig sie sind, und wie sie ihren Vorbildern nacheifern. "Auch ich möchte einmal ein Schröter, ein Matzen sein!" Das ist der geheime Wunsch der Schüler des SC Dynamo, die im Berliner Fußball bereits eine recht beachtliche Rolle spielen. Wer in den Verhältnissen des Berliner Schülerfußballs Bescheid weiß, der weiß auch, wie wenig erfreulich die Situation dort vor noch wenigen Jahren war. Dynamo hat also auf diesem Gebiete eine Pionierarbeit geleistet. Aber mehr noch, wir können berechtigt hoffen, daß seine Jugend einmal zu wirklich guten Sportlern heranreift. Des bedeutet sehr viel. Wieviel gehört doch zu einem wahren Meister! Als kleiner Knirps ahnt man das vielleicht noch gar nicht.

Ja, selbst eine große Anzahl derer, die wir heute zu den Spitzensportlern zählen, haben das noch nicht einmal ganz begriffen! Es geht doch nicht nur darum, technisch gut beschlagen zu sein, spielerisch zu glänzen. Man muß sich vor allem in ein Kollektiv einfügen können, und das setzt hervorragende charakterliche Merkmale, das setzt Disziplin und moralische Qualitäten voraus. Der Spitzensportler muß aber auch wissen, daß er nicht für sich selbst spielt, das seine sportliche Arbeit eine gesellschaftliche Arbeit ist, und das erfordert politisches Wissen und  patriotisches Bewußtsein. Ja, der Weg vom Schülerfußball bis zum Spitzensportler ist weit. Doch vielleicht haben es die Dynamo-Schüler etwas leichter als andere. I h r e  Vorbilder wissen nämlich selbst, wie schwer es ist. Ein kampferfüllter, steiniger Weg war es bis zum heutigen gefestigten Dynamo-Kollektiv. Große Schwierigkeiten liegen erst kurz hinter ihm.

Das blieb auch der Öffentlichkeit nicht verborgen. und sie sah: Das Schwierigste lag gewiß nicht auf dem Gebiete des rein spielerischen. Wer aber heute die Dynamo-Fußballer gründlicher besieht, der wird sie nicht mehr mit den Dresdenern von damals zu vergleichen wissen. Sie werden ihren Schülern deshalb den Weg leichter machen können und sie vor vielem bewahren, was sie selbst noch zu durchkämpfen hatten. Eines dieser Merkmale guter Sportarbeit ist das wachsende politische Bewußtsein bei den Dynamo-Fußballern. Ein Beweis dafür, die allgemeine Freude, ja Begeisterung über den Abschluß des Staatsvertrages mit der Sowjetunion. Es war schon nach kurzer Diskussion darüber möglich, die hohe Bedeutung dieses historischen Momentes in der Geschichte der DDR den Spielern ins Bewußtsein zu rufen. Das war die Ursache zu einem Beschluß der Parteigruppe der Fußballer. Ihr gehören so gute Spieler wie "Moppl" Schröter, Matzen, Hänsicke und andere mehr an.

"Was wollen wir zu Ehren des Monats der deutschsowjetischen Freundschaft tun?" So fragten sie sich und folgerten aus der eben erst bewiesenen freundschaftlichen Einstellung aller Spieler zur Sowjetunion, daß nun auch der Zeitpunkt einer Werbung aller für die DSF gekommen sei. Sie haben sich nicht getäuscht. Hannes Matzen, einer der moralisch Vorbildlichsten, übernahm den Auftrag, zu versuchen, bis zum 1. November alle Fußballer des Clubs für die Gesellschaft der DSF zu werben. Er diskutierte mit ihnen im Reisebus, in den Kabinen und im Klubhaus. Sein Mannschaftskamerad Maschke unterstützte ihn dabei. Und das Ergebnis? In zehn Taren warben sie zwölf neue Mitglieder! Der SC Dynamo kann melden: Unsere Fußballer sind ohne Ausnahme Mitglied der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft. Wir haben unser Ziel sechs Wochen vor der Zeit erreicht! Das ist mehr als eine schlichte Meldung. Es ist eine vorbildliche Tat, die allen Fußballmannschaften, und besonders denen in der Spitze, Anlaß sein sollte, zu überprüfen, inwieweit sie ihre gesellschaftlichen Verpflichtungen erfüllen und ob sie sich wirklich Spitzensportler der DDR nennen dürfen.

Götz Hering, Neue Fußballwoche, 01.11.1955