24. Spieltag 1994/95: FC Berlin - FC Carl Zeiss Jena 0:2

Schneider stellte die Weichen
Vom Winde verweht wurden lediglich Leipziger und Unioner Hoffnungen auf einen Punktverlust der Thüringer. Als wetterfest hingegen erwiesen sich Jenas Tabellenführung sowie die vorzügliche Bilanz von 21 Spielen in Folge ohne Niederlage. "Carl Zeiss ist für mich die beste Mannschaft der Regionalliga", befand FCB-Trainer Helmut Koch hinterher. Ehrliche Überzeugung oder nur der Versuch, das 0:2 im Nachhinein zu beschönigen? Tatsache ist: Der Spitzenreiter glänzte nicht, konnte es angesichts der widrigen Umstände wohl auch gar nicht. Durch das Sportforum peitschten orkanartige Sturmböen und prasselnde Hagelschauer, was zu manch skuriler Szene führte. Etwa, wenn Jena zu kurzen Eckbällen gezwungen wurde, weil beim Anlauf des Schützen der Ball vom Sturm aus der Markierung gepustet wurde. Oder wenn FCB-Keeper Oster in die Hocke ging und das Leder festhielt, während Brestrich zum Abstoß anlief.

Nein, an ein gepflegtes Ball-Laufenlassen war bei diesen fast schon irregulären Bedingungen nicht zu denken. Nun lehrt die Erfahrung, daß ungewöhnliche Witterungsverhältnisse den Außenseiter eher begünstigen als den Favoriten. Denn Technik und Kreativität werden zweitrangig, Kraft und Zufall gewinnen entscheidende Bedeutung. Doch der FC Berlin, im Prinzip seiner Abstiegssorgen ledig, hatte offenbar Angst vor der eigenen Courage. Schon die Aufstellung (mit dem eher defensiven Zavarko statt Hennig) verriet, daß man den Jenaern keineswegs einen offenen Schlagabtausch bieten wollte. Warum eigentlich nicht? So kamen die Hohenschönhausener vor der Pause, allerdings gegen den Wind ankämpfend, nicht ein einziges Mal aus dem Spiel heraus gefährlich vor das Thüringer Tor.

Lediglich bei einem Freistoß von Brestrich (40.) mußte Neumann, der den böse verletzten lettischen Nationaltorwart Karavajew (u. a. Mittelhandbruch) vertrat, ernsthaft eingreifen. In solch zögerlichem Stil kann man einen cleveren, routinierten und kompakten Kontrahenten wie Carl Zeiss nicht erschrecken. Mehr Chancen für den FCB gab es erst, als schon alles gelaufen war. Nun durfte Neumann sein Können zeigen, bei Versuchen von Brestrich (49.), Steffen (65.) und Zöphel (68.). Und als Jenas Schlußmann von Schröder schon bezwungen schien, da rettete der leicht übergewichtig wirkende Nedic auf der Linie (77.). Freilich deutet die Auflistung dieser Möglichkeiten auf ein Drama hin, das in Wahrheit gar nicht stattfand. "Jenas Sieg ging völlig in Ordnung", gab Helmut Koch zu.

Diese Auffassung teilte nicht nur sein Kollege Eberhard Vogel, sondern wohl auch die Mehrzahl der Zuschauer, unter ihnen Unions Coach Hans Meyer. Als Schlüsselszene sah Vogel das blitzartige 1:0 exakt 21 Sekunden nach dem Seitenwechsel. "Dieser Treffer hat die Weichen für uns gestellt", wußte der 74malige Auswahlspieler der DDR. Doch nicht nur das. Erst einmal in Führung liegend, dokumentierten die Thüringer all jene Abgeklärtheit, die eine Spitzenmannschaft besitzen muß. Typisch dafür die Situation vor dem Strafstoß zum 2:0: Weber fiel geschickt, Youngster Starp störte so ungeschickt, daß er sich dabei selbst verletzte. Experten wissen: Wer Meister werden will, muß auch seine schwächeren - oder sagen wir weniger glanzvollen - Spiele gewinnen können. Jena kann das, bleibt daher heißer Aufstiegskandidat.

FC Berlin:
Oster; Brestrich; Starp (64. Kallnik), Reckmann; Schröder, Zöphel, Oesker, Zavarko (56. Hennig), Nikol; Steffen, Franke
FC Carl Zeiss Jena:
Neumann; Raickovic; Wentzel, Nedic; Gerlach (82. Eschler), Molata, Schneider, Holetschek, Fankhänel; Weber, Vogel (90. Zimmermann)

0:1 Schneider          (46.)
0:2 Holetschek         (61., Foulstrafstoß)

Schiedsrichter:        Dr. Kiefer (Neubrandenburg)
Zuschauer:             815

Raimund Wilheim, Fußballwoche, 27.03.1995