08. Spieltag 1991/92: PFV Bergmann Borsig Berlin - FC Berlin 0:0

Hohes Niveau - keine Tore
Experten wissen, daß 0:0-Spiele nicht immer langweilig sein müssen. Den schlagenden Beweis dafür lieferten die beiden Berliner Lokalrivalen am Sonnabend in der sonnenüberfluteten Nordend-Arena, wo sich ein streckenweise hochklassiges, mit fußballerischen Delikatessen gespicktes Spitzenspiel entwickelte. Daß es am Ende keinen Sieger gab, entbehrte nicht einer gewissen Gerechtigkeit, gehörte doch die erste Hälfte eindeutig dem FC Berlin, der freilich sein mörderisches Tempo nicht ganz durchhalten konnte und nach dem Wechsel immer heftiger in Bedrängnis geriet. Was jedoch beiden Teams fehlte, war ein eiskalter Vollstrecker, der die unzähligen Chancen hüben wie drüben zur Entscheidung genutzt hätte. Das Gütesiegel "Klasse" durfte der Partie auch deshalb aufgedrückt werden, weil beide Trainer auf übertriebene taktische Fisimatenten verzichteten - was bei sogenannten Spitzenspielen ja nicht unbedingt üblich ist und in ähnlichen Fällen schon zur Verkrampfung, gar Erstarrung geführt hat. Aber nicht so in Pankow. Dort durften die Protagonisten das bieten, was sie draufhaben, und das ist nicht wenig. Die angriffsorientierten Aktionen wogten derart hin und her, daß dem neutralen Beobachter das Herz im Leibe lachte.

Charakteristisch für den offenen Schlagabtausch war die Tatsache, daß die jeweiligen Macher im Mittelfeld nicht in Preßdeckung genommen wurden, sondern ihre Spielkunst frei entfalten durften. Der FC Berlin wäre wohl als Sieger vom Platz gegangen, hätte er seine furiose Anfangsphase in zwei, drei Treffer umgemünzt. Gut eine halbe Stunde lang wußten die Bergmänner nicht, wo ihnen der Kopf steht, so sehr wurden sie von den Rehbein, Rambow, Backs oder Tolkmitt durcheinander gewirbelt. Alle Chancen für den FCB aufzuzählen, würde den rahmen sprengen. Beschränken wir uns auf Backs´ raffinierten Direkt-Schlenzer knapp am Angel vorbei (20.) und auf Rambows spektakulären 20m-Volley gegen die Latte (28.). Ansonsten wurde BB-Keeper Hartmann derart warmgeschossen, daß sein anfänglicher Fangfehler und eine schwache Faustabwehr schnell in Vergessenheit gerieten. Als sich der FC Berlin ausgetobt hatte und durch Rambows Zeitstrafe in Unterzahl geriet, verschoben sich die Gewichte zugunsten Bergmann Borsig.

Angetrieben von Libero Wehrmann sowie den Dirigenten Hackbusch und Breitkreuz, mit dem zuvor zurückhängenden Schulz jetzt als Spitze, eröffneten die Hausherren ihrerseits ein wahres Feuerwerk auf den Kasten des Kontrahenten. Auch hier ist es unmöglich, alle torgefährlichen Szenen zu schildern. Erwähnt sei ein haarscharf am Angel vorbeistreifender Versuch durch Beinlich (72.), und als der frischen Wind entfachende Jopek den aufmerksamen Nofz umspielen wollte, da pflückte ihm der Schlußmann die Kugel noch vom Fuß (72.). Im übrigen besaß Jopek noch drei, vier weitere Möglichkeiten, aber auch er hatte im Abschluß das Glück nicht gepachtet. Am Ende zeigten sich beide Trainer mit dem Unentschieden zufrieden, aber sie trauerten doch, wie sollte es anders sein, den verpaßten Torchancen hinterher. Da ist bei beiden Mannschaften der Hebel anzusetzen. Ein Könner wie der Russe Pronischew etwa, am Ball ganz stark und leichtfüßig, machte einfach zu wenig aus den fein herausgearbeiteten Situationen.

Aber das gilt nicht nur für ihn, sondern auch für viele andere. Auffällig beim FCB, daß die ungeheuer flott gestarteten Backs und Tolkmitt ihr hohes Niveau nicht halten konnten, daß die vor Halbzeit souveränen Manndecker Buder und Reckmann später in Schwierigkeiten kamen, daß Belka einen etwas farblosen Libero-Part lieferte. Aber es sollte mit dem Teufel zugehen, wenn die Bogs-Truppe nicht um die Meisterschaft mitspielen sollte. Den Bergmännern war zu bescheinigen, die anfängliche Unordnung im Abwehrbereich später abgestellt und dem Gegner Paroli geboten zu haben. Nicht den allerbesten Tag erwischte Beinlich, der letzte Woche zum Probetraining bei Bayern München weilte und am heutigen Montag vom Meister Kaiserslautern getestet wird. Man braucht kaum zu erwähnen, daß sich bei dem talentierten Stürmer bislang weder Hertha noch Blau-Weiß gemeldet haben...

PFV Bergmann Borsig Berlin:
Hartmann; Wehrmann; Wagner, Petsch; Joppien, Breitkreuz, Schulz, Hackbusch, Zavarko; Kolloff (61. Jopek), Beinlich
FC Berlin:
Nofz; Belka; Buder (81. Lenz), Reckmann; Jesse, Rehbein, Rambow, Backasch (88. Possling), Backs; Pronischew, Tolkmitt

Schiedsrichter:        Brandt-Colle
Zuschauer:             820

Raimund Wilheim, Fußballwoche, 16.09.1991