01. Spieltag Aufstiegsrunde 1992: FC Berlin - VfL Wolfsburg 0:2

Geschenke verschmäht / Wolfsburger mit Durchsetzungsvermögen
Bereits nach dem ersten Spiel der Aufstiegsrunde steht der FC Berlin mit dem Rücken an der Wand. Der VfL Wolfsburg zeigte nach nervösem Beginn eine abgeklärte Leistung und gewann auch aufgrund der Mehrzahl von Tormöglichkeiten und der besseren Physis verdient. Für den VfL scheint Berlin ein gutes Pflaster zu sein, im Vorjahr gab es ebenfalls zum Auftakt einen 2:1-Sieg bei Tennis Borussia im Lichterfelder Stadion. Mit Ausnahme der Torhüter stellten die Niedersachsen in allen Mannschaftsteilen die stärkere Besetzung. Gerade die vielgerühmte Abwehr der Berliner zeigte etliche Unsicherheiten. Brestrichs Stärken lagen eher in langen Pässen nach vorne als in der Torsicherung. Lenz und Reckmann hatten gegen die Ex-Profis Plagge und Reich oft das Nachsehen. Die beiden Angreifer haben zwar inzwischen an Schnelligkeit eingebüßt, doch dies kompensierten sie mit viel Routine.

Manchmal genügte ein Doppelpaß, um die FCB-Abwehr auszuhebeln. Die Malaise des NOFV-Champions Nord setzte sich im Mittelfeld fort. Rambow ließ einer starken ersten Halbzeit eine durchwachsene zweite Hälfte folgen und stellte seine Nebenleute dennoch in den Schatten. Der Ex-Eisenhüttenstädter gewann wenigstens etliche Zweikämpfe. Techniker wie Rehbein oder Tolkmitt blieben unter ihren Möglichkeiten, weil sie sich zu selten durchsetzten. Der erfahrene Backs ging völlig unter. Sobald das Leder in die Nähe des Wolfsburger Strafraumes gelangte, funkten die Akteure des Nordmeisters dazwischen. Fast schon zu bemitleiden war die einzige Spitze Zöphel, der seinem Schatten Otto nur selten entwischte. Daß der verletzte Pronischew eine bessere Figur abgegeben hätte, bleibt reine Spekulation.

Bei derart wenigen brauchbaren Pässen aus dem Mittelfeld hätte es jeder Stürmer schwer gehabt, sich in Szene zu setzen. Dennoch: Die Partie wäre vielleicht anders ausgegangen, wenn der FC Berlin die Geschenke der Wolfsburger zu Beginn angenommen hätte. Schon nach zwei Minuten erlief Rehbein einen zu kurzen Rückpaß von Akrapovic, doch sein Heber über den hinausstürzenden Kick landete neben dem Pfosten. Der Keeper leitete mit einem Abstoß vor die Füße von Backasch eine weitere Chance zur Führung ein. Backasch paßte zu Zöphel, der von der Strafraumgrenze aus das Tor nicht traf (42.). Gefahr entstand ansonsten fast nur durch Fernschüsse. Fügner versuchte es einmal aus 25 Metern, Kick riß die Fäuste gerade noch rechtzeitig hoch (49.). Kurz darauf verschaukelte Rehbein in seiner besten Szene Akrapovic, schob quer zu Tolkmitt, der von Otto im letzten Moment abgeblockt wurde (50.).

Danach erspielten sich die Berliner keine klare Möglichkeit mehr. Ganz anders die Wolfsburger: Sie holten ein Dutzend an Chancen heraus. Hätte Nofz nicht mehrmals glänzend reagiert, wäre die Entscheidung schon früher gefallen. Neben den beiden Spitzen tauchten aus dem Mittelfeld Ansorge und Frackiewicz mehrmals gefährlich im Strafraum auf. Dabei fehlte mit dem verletzten Holger Fiebich jener Wirbelwind, der für die Wolfsburger im Vorjahr gegen TeBe alle vier Tore erzielt hatte. Je länger die technisch nicht hochklassige, aber abwechslungsreiche Partie im Jahn-Sportpark dauerte, desto stärker übernahm der Nordmeister das Kommando. Er zog seine Aktionen planmäßig auf, während beim FC Berlin vieles auf Zufall angelegt schien.

Die Profierfahrung der Ex-Braunschweiger Pahl, Otto, Geiger und Plagge sowie von Reich kam voll zum Tragen. Ganz kühl blieb Reich, als er in den Schlußsekunden mit dem 2:0 die letzten Zweifel am Sieg der Gäste beseitigte. Zuvor hatte Fügner in der Wolfsburger Hälfte ein Luftloch geschlagen. Dieser anfängerhafte Fehler paßte zur insgesamt dürftigen Vorstellung des FC Berlin. Ein unerfreulicher Zwischenfall heizte die Atmosphäre in dem fairen Spiel auf. 20 Minuten vor dem Ende gab es Einwurf für den FCB, Wolfsburgs Coach Erkenbrecher hatte den Ball gefangen und warf ihn in Richtung seiner Ersatzspieler. Auf der Bank des FCB fühlte man sich provoziert, besonnene Kräfte beider Seiten verhinderten mit Mühe Handgreiflichkeiten. Selbst wenn es um viel geht: Müssen derartige Unsportlichkeiten wirklich sein?

FC Berlin:
Nofz; Brestrich; Lenz, Reckmann; Backasch (78. Jesse), Backs, Rehbein, Rambow, Fügner, Tolkmitt; Zöphel
VfL Wolfsburg:
Kick; Pahl; Otto; Kleeschätzky (90. Koschinat), Frackiewicz, Geiger, Ansorge, Akrapovic, Kohn; Plagge (90. Vuia), Reich

0:1 Geiger             (63.)
0:2 Reich              (90.)

Schiedsrichter:        Weber (Essen)
Zuschauer:             2.495

Robert Semmler, Fußballwoche, 25.05.1992