04. Spieltag 1970/71: BSG Sachsenring Zwickau - BFC Dynamo 1:0

Die Begegnung im Zwickauer Georgi-Dimitroff-Stadion brachte eine interessante Taktikstudie. "Wir wußten um die gefährliche Offensivkraft des BFC, wollten uns nicht wie gegen den 1. FCM 'kontern' lassen", erläuterte Sachsenring-Stopperstratege Glaubitz die vorsichtige Defensive seiner Elf. Ungeachtet des psychologischen Auftriebs durch das 3:2 beim 1. FC Lok, Scherbaum beurteilte das Kräfteverhältnis beider Mannschaften durchaus richtig. Resch, Gutzeit, Krieger, Henschel (alle verletzt) schmälern durch ihr Fehlen die spielerische Substanz, von Beier, Leuschner, Enge (später durch den agileren Stemmler ersetzt) ging nur bescheidene Konstruktivität aus, so daß der Angriff sich über weite Strecken selbst überlassen blieb. Und da auch Hoffmann noch keineswegs im Vollbesitz seiner Sprint- und Kampfqualitäten ist ("Nach dem Beinbruch brauche ich doch noch einige Zeit, um konditionell im Tempo mithalten zu können"), suchte Zwickau selbst den Konter, nicht die bedingungslose, "blinde" Offensive.

"Darauf waren wir vorbereitet", erklärte BFC-Clubvorsitzender M. Kirste, "auch taktisch gut eingestellt. Erst nach der Pause überraschte uns Zwickau mit stärkerer Angriffswirkung, die dann auch zum Strafstoß gegen uns führte." Niemand im Stadionrund übersah die variable, bewegliche Spielanlage des Tabellenzweiten, seine solide Technik, seine athletischen Vorzüge. Sowohl in der Schußfreudigkeit (14:9) als auch im Eckenverhältnis (5:4) besaß der BFC Vorteile, Carow schickte Sachsenrings Sturmspitzen geschickt ins Abseits (neunmal!). Linksaußen Fleischer imponierte als Anspielpunkt vor der Deckung, Stumpf, Rohde, Hall herrschten lange Zeit im Mittelfeld unumschränkt. Flache Ballstafetten sorgten für hohes Spieltempo, diagonale Wechsel schufen Überraschungsmomente. "Die Elf macht einen guten Eindruck auf mich", lobte "Stumpel" Kunack, einst im Zwickauer Mittelfeld Fleißarbeiter par excellence, "ihre Angriffsspitzen haben jedoch einen schweren Stand." Eine Feststellung, die für den Spielausgang von entscheidender Bedeutung war.

Babik kannte gegen Lyszczan keinen Pardon, Wohlrabe stoppte Johannsen, Voit achtete sorgfältig auf Fleischer, wenn er in den Angriff aufschloß. Damit war die Durchschlagskraft des Gäste-Angriffs unterminiert, so sehr er auch gegen den Stachel lockte. Schulenberg fehlte an allen Ecken und Enden, auch Weber und Hübner kamen über Eifer nicht hinaus. "Lyszczan und Schulenberg in der Verfassung des vergangenen Mittwochs gegen den FC Vorwärts, Zwickau hätte dieses Spiel nie gewonnen!", stellte BFC-Cheftrainer Geitel unumwunden fest. Gefahr drohte den Berlinern immer dann, wenn Schellenberg seine Spurtkraft gegen Schütze ausspielte. Da ihm das auch in der 51. Minute nicht nur gegen Schütze und Stumpf in Höhe der Mittellinie sondern auch gegen Carow im Dynamo-Strafraum glückte, blieb gegen das lange Bein des Berliner Liberos nur die Strafstoß-Konsequenz. Die Würfel waren vollends gefallen, als Trümpler (70.) und Stumpf (88.) die sichersten Ausgleichschancen für den BFC vergaben.

Zum Schiedsrichterkollektiv: Mehrere Foulspielsituationen beurteilte der Rostocker Pischke recht eigenwillig, nicht immer korrekt Von seinen Assistenten fehlte die klare, überzeugende Unterstützung.

Die Kommentare der beiden Trainer
Horst Scherbaum (Sachsenring):
"Wir sind sehr froh über diesen Sieg, was angesichts unserer Verletzungs- und Startsorgen sicherlich verständlich ist. Gegen die stark aufspielenden Gäste bot unsere Mannschaft das, wozu sie in der gegenwärtigen Besetzung in der Lage ist. Schellenberg, Babik, Rentzsch und Croy überzeugten mich am stärksten. Zum Tausch zwischen Stemmler und Enge entschloß ich mich deshalb, um einen besseren Angreifer in die halbrechte Position zu bekommen. Hier war Schellenberg doch zu sehr auf sich allein gestellt. Daß sich die Elf nach dem Führungstreffer mehr und mehr zurückzog, hatte psychologische Ursachen. Jeder unserer Spieler gab sich über die Stärke des BFC keinen Illusionen hin, was sich ja auch in vielen eindrucksvollen Szenen entsprechend niederschlug. Zum Teil operierten die Gäste aber etwas zu hart."

Hans Geitel (BFC Dynamo):
"Das Niveau wurde zu sehr von der Taktik geprägt. Zwickaus defensive Haltung überraschte uns keineswegs. Unsere Einstellung lief auf Deckungskonsequenz, Mittelfeldbeherrschung und Flügelspiel hinaus, um erfolgreich zu werden. Da sich unsere Stoßstürmer jedoch nicht laufstark genug in Szene setzten, verzeichneten wir hier die spielentscheidenden Ausfälle (Lyszczan, Weber. Johannsen). Dennoch gehörten uns die größeren Spielanteile, die ein 1:1 durchaus gerechtfertigt hätten. Zufrieden war ich mit Hall (Abwehrorganisation), Stumpf (fleißiges Aufbauspiel) und Fleischer, der zur Unterstützung der Abwehr ein großes Pensum erledigte, noch mehr aber in die Spitze gehen mußte. Nicht zufrieden war ich mit der Schiedsrichterleistung. Der Unparteiische benachteiligte uns vor allem in der zweiten Halbzeit gleich mehrfach."


BSG Sachsenring Zwickau:
Croy; Voit, Glaubitz, Babik, Wohlrabe; Beier, Leuschner, Enge (46. Stemmler); Schellenberg, Rentzsch, Hoffmann (78. Brändel)
BFC Dynamo:
Lihsa; Carow; Hall, Trümpler, Rohde, Schütze; Stumpf, Becker, Fleischer; Johannsen (56. Weber), Lyszczan (71. Hübner)

1:0 Rentzsch           (52., Foulstrafstoß)

Schiedsrichter:        Pischke (Rostock)
Zuschauer:             7.500


Günter Simon, Neue Fußballwoche, 15.09.1970