05. Spieltag 1965/66: SC Chemie Halle - SC Dynamo Berlin 2:1

Umsichtiger Donau! / Der Oberliga-Neuling profitierte nicht nur von seiner kämpferischen Bereitschaft, sondern von einer beachtlichen spielerischen Anpassungsfähigkeit!
Chemies Anhang wurde auch diesmal fast bis zur letzten Minute auf die Folter gespannt, bevor H. Walter mit einem wirklich sehenswerten Treffer die Entscheidung herbeiführte. Nach 80 Minuten fand der ausgezeichnete und stets auf Torgefährlichkeit bedachte Mittelstürmer Donau erneut eine der zahlreichen Lücken in Dynamos Hintermannschaft, brachte Carow durch eine blitzschnelle Körperbewegung völlig aus dem Konzept und zog den Ball dann sofort halbhoch nach innen. Niemand hatte wohl in diesem Augenblick erwartet, daß sich der ungünstig postierte Walter zu solch einer Bravourleistung aufraffen könne. Doch blitzschnell riß er seinen Körper herum und traf den Ball mit tollem Fallrückzieher voll - genau unter der Latte schlug er zum Entsetzen der Dynamo-Abwehrspieler ein.

Gewiß war Walter bei dieser Tat ein wenig vom Glück begünstigt, aber sie krönte schließlich die an diesem Tag aufopferungsvolle und dabei auch spielerisch teilweise recht verständnisvolle Partie. Vor allem eins war an diesem Treffen bemerkenswert und als Ausdruck einer gestiegenen spielerischen Abgeklärtheit des SC Chemie zu werten: Nach drei ausgelassenen Großchancen innerhalb der ersten fünf Minuten (zweimal allein Lehrmann!) fühlte sich die Elf keinesfalls entmutigt, sondern weiterhin entschlossen und kampffreudig genug, um das Geschehen zu bestimmen. Lohn dessen war das 1:0 nach eindeutiger Strafstoßentscheidung (Foul am durchgelaufenen Hallenser-Kapitän). Und der SC Chemie suchte den Erfolg mit Mitteln, die Dynamo gar nicht behagten: Sowohl die Schnelligkeit und Wendigkeit der beiden Außenstürmer, die beherzt den Kampf suchten, als auch das von großer Übersicht bestimmte Spiel Donaus waren Waffen, die den Gegner speziell in der engeren Abwehr oftmals zu überhastetem und fehlerhaftem Handeln veranlaßten.

Zweifellos konnte Dynamo im Mittelfeldspiel jederzeit bestehen und hier einen Vorteil in der balltechnischen Sicherheit nachweisen, doch von ausschlaggebendem Vorteil war diese Tatsache aus folgendem Grund niemals: Mit Aedtner und dem sonst so torgefährlichen Kochale mußte der Ausfall zweier wichtiger Spieler hingenommen werden - das überforderte die Mannschaft zwangsläufig. Die Stoßkraft blieb bei aller anerkennenswerten Spielfreude von Unglaube, Wolff und auch Bley doch fast ausschließlich auf Hall beschränkt, der vor der Pause zwar zwei Riesenchancen ausließ, später aber mehr und mehr von Bransch in seiner Bewegungsfreiheit eingeengt wurde.

So neigte sich die Waage mit fortschreitender Zeit zusehends auf die Seite der unermüdlichen Hallenser, denen jetzt das konditionelle Nachlassen Mühlbächers (vor dem Wechsel auffallend mit seiner Sicherheit im Deckungsspiel und exakt geschlagenen Paßbällen) maßgeblich entgegenkam. Die Bereitschaft des SC Chemie, das Spiel zu suchen, war auch im zweiten Abschnitt unverkennbar. Lehrmann, obgleich in der Bewegung mit dem Ball und beim Abspiel oftmals etwas zu lange zögernd, wie auch Walter und Donau ließen in diesem Bemühen bis zur letzten Minute nicht nach. Hinzu kam, daß sich Steinborn mit wirklich lobenswertem Elan in seine Aufgabe hineinkniete und mit viel Verständnis den Angriffsdrang seiner Elf forcierte. Auch ohne den verletzten Torjäger Stein, der mit Gehirnerschütterung pausieren mußte, löste die Mannschaft ihre Aufgabe prächtig!

SC Chemie Halle:
Nauert; Stricksner, Bransch, Okupniak; Steinborn, Hofmann; Nicht, Walter, Donau, Lehrmann, Klausen
SC Dynamo Berlin:
Bräunlich; Stumpf, Carow, Skaba; Mühlbächer, Unglaube; Aedtner, Wolff, Hall, Kochale, Bley

1:0 Steinborn          ( 6., Foulstrafstoß)
1:1 Mühlbächer         ( 9.)
2:1 Walter             (80.)

Schiedsrichter:        Köhler (Leipzig)
Zuschauer:             11.000


Dieter Buchspieß, Neue Fußballwoche, 14.09.1965