22. Spieltag 1963/64: SC Dynamo Berlin - BSG Chemie Leipzig 1:1

Nach überlegener erster Hälfte Vorteile für Chemie! / Dynamo zunächst gefälliger, doch dann Leipzig chancenreicher!
Die Leipziger Chemie-Elf hat nach diesem Spieltag und dem in Berlin erreichten Remis gegen den SC Dynamo weiterhin die Spitzenposition behaupten können - eine Leistung, der wir unsere Anerkennung nicht versagen können. Für den Verfasser war es besonders aufschlußreich, die Leipziger Mannschaft zum zweiten Mal in dieser Woche spielen zu sehen. Und es ergaben sich dabei zwischen den Begegnungen mit Rostock und dem Berliner Club gewisse Übereinstimmungen im Ablauf der 90 Minuten, von denen wir bei unserer Betrachtung ausgehen möchten. Ähnlich wie im ersten Abschnitt des Mittwochtreffens hatte Chemie in den ersten 45 Minuten am Sonntag ähnliche Schwierigkeiten, um einen zielbewußt beginnenden Partner in Schach zu halten und nicht frühzeitig in Rückstand zu geraten.

Tatsächlich startete der Berliner Club erfolgversprechend und mit einigen temposcharfen Kombinationsfolgen aus dem Mittelfeld heraus, um die sich insbesondere Bley und der technisch behende Renk verdient machten. In dieser Phase mußte sich Chemie auf aufopferungsvolle Abwehr beschränken, und da Bauchspieß nur selten dazu kam, sich der Beschattung zu entziehen und seine Nebenleute mit Umsicht ins Spiel zu bringen, ergaben sich zwangsläufig spürbare Vorteile für den Gastgeber. Er konnte, um der Wahrheit die Ehre zu geben, nach rund 30 Minuten schon klar in Front liegen. Doch wer von Chemie im ersten Abschnitt nur andeutungsweise Proben eines gefälligen Könnens zu sehen bekommen hatte, der mußte sich später davon überzeugen lassen, daß in der Elf nicht nur lobenswerte willensmäßige Qualitäten stecken.

Mit zunehmender Dauer festigte sich Chemie, gewann an Sicherheit in den Kombinationsfolgen und besaß im Halbrechten Lisiewiecz einen fleißigen und recht konstruktiven Spieler, der in bezug auf Lauffreudigkeit unerreicht blieb. Und gerade das Bemühen aller Leipziger Spieler, sich immer wieder vom Mann zu lösen und den Gegner außerdem schon im Mittelfeld durch rastlosen Einsatz im Ansatz seiner Aktionen zu stören, war ausschlaggebend für das sich allmählich anbahnende Übergewicht, verbunden mit einigen vielversprechenden Chancen (Scherbarth, Lisiewicz). In diesem Abschnitt glich Chemie, was die Möglichkeiten anbetrifft, die Dynamo-Vorteile der ersten Halbzeit aus! Der Leistungsabfall des Gastgebers nach Wiederbeginn war zu offensichtlich und hatte mehrere schwerwiegende Ursachen.

Nicht nur, daß es zumeist an der schnellen Überbrückung des Mittelfeldes fehlte und der Gegner sich immer wieder massieren konnte, bevor die entscheidende Attacke einsetzte. Nein, ungenügendes Anpassungsvermögen einiger Stürmer (Trümpler fiel zusehends fast völlig aus) sowie unzureichende Konsequenz im Nachsetzen ließen das Dynamo-Spiel allmählich zerfallen. Wenn wir dabei einen Spieler kritisch herausgreifen wollen, dann aus besonderem Grund: Linksaußen Geserich bewies immer dann, wenn er sich mit blitzschnellem Antritt in Bewegung setzte, was in ihm steckt. Wie schlecht sah Herzog in diesen Momenten aus. Aber wie selten spielte der Flügelstürmer diese Vorzüge aus? Auch sein herrlicher Schuß in den Dreiangel zum Führungstreffer konnte uns mit seiner insgesamt unzureichenden Partie nicht versöhnen. Man muß in der Tat von einem derart veranlagten Spieler mehr verlangen!

SC Dynamo Berlin:
Marquardt; Stumpf, Mühlbächer, Skaba; Bley, Unglaube; Hall, Renk, Trümpler; Wolff, Geserich
BSG Chemie Leipzig:
Sommer; Herzog, Walther, Herrmann, Krause; Slaby, Pacholski, Lisiewicz; Scherbarth, Bauchspieß, Behla

1:0 Geserich           (33.)
1:1 Scherbarth         (39.)

Schiedsrichter:        Weber (Limbach)
Zuschauer:             7.000

Dieter Buchspieß, Neue Fußballwoche, 07.04.1964