19. Spieltag 1963/64: ASK Vorwärts Berlin - SC Dynamo Berlin 1:4

Diesmal drehte Dynamo den Spieß um / Der Favorit stürzte, als sich Dynamo prachtvoll steigerte / Die 1:4-Schlappe aus der ersten Runde in gleicher Höhe wettgemacht
Am Ehrentage unserer Nationalen Volksarmee waren 8.000 Zuschauer zum Ortsderby ins Friedrich-Ludwig-Jahn-Stadion gekommen. Unter den zahlreichen Ehrengästen, die an diesem bedeutsamen Tage zu dem wichtigen Spiel des Favoriten gegen die abstiegsbedrohte Elf des SC Dynamo auf der Tribüne Platz genommen hatten, befanden sich der Minister für Staatssicherheit, Generaloberst Mielke, der stellvertretende Minister für Nationale Verteidigung, Generalleutnant Riedel, der stellvertretende Minister für Nationale Verteidigung und Vorsitzender der Armee-Sportvereinigung, Generalleutnant Wagner und der Präsident des Deutschen Turn- und Sportbundes, Manfred Ewald. Die Ehrengäste und sicher viele Zuschauer hegten die berechtigte Erwartung, daß dieser Kampf des ASK die Spitzenposition der Armeesportler festigen und somit zu einem sportlichen Höhepunkt des Tages unserer Nationalen Volksarmee werden würde.

Diese Erwartungen wurden nicht erfüllt. Und daß dieses Ortsderby zwar nicht zu einem Höhepunkt, wohl aber zu einem recht guten Abschluß fand, war das Verdienst einer sich prächtig steigernden Dynamo-Elf, die nach der Pause nachwies, daß sie nicht nur Tore schießen und siegen kann, sondern auch über ausgezeichnete spielerische Qualitäten verfügt. Weder der Ausgang des Kampfes, noch die Steigerung nach dem Wechsel wäre von einem der 8.000 vermutet worden. Dazu boten beide Mannschaften im ersten Gang zu wenig. Man zählte die gelungenen Spielzüge, die Kombinationen über mehrere Stationen und kam auf keine große Zahl. Der ASK, der Fräsdorf durch R. Müller und auch Kohle ersetzen mußte, operierte ohne Frische, aber mit riesiger Umständlichkeit. Er fand in keiner Phase zum zügigen, torgefährlichen Sturmspiel und blieb so ziemlich alle Attribute eines Spitzenreiters schuldig.

Vogt kam über gute Ansätze nicht hinaus. Wirth mühte sich als Rechtsaußen noch am ehesten um Linie, Nöldner, der vielversprechend begann, ging mehr und mehr unter, aber vollends unproduktiv blieb der linke Flügel, weil R. Müller nach ersten Fehlschlägen zum glatten Ausfall wurde. Da nutzten auch die Bemühungen Kiupels nicht mehr viel, und auch Körners fleißiges und kluges Spiel - er war der Beste seiner Elf - inspirierte seine Stürmerkameraden nicht zu energischen Taten. So zählte man in der ersten Hälfte nur ganze vier Torchancen, von denen drei auf das Konto des Hausherren und eine auf das des Gegners kamen. Der SC Dynamo deutete schon vor dem Wechsel an, daß er an diesem Sonntag die zielstrebigere Elf besaß. Die Aktionen waren zügiger, ohne den Zeitaufwand in der Überbrückung der Räume, wie es beim Gegner der Fall war. Aber noch blieben die guten Absichten im Ansatz stecken und erfolglos, weil offensichtlich das Selbstvertrauen zur eigenen Leistung fehlte.

Das änderte sich grundlegend, als Begerad seinen eigenen Torhüter mit einer Zwangsrückgabe das Nachsehen gab. So unglücklich dieses Selbsttor war, es gab den Grünweißen Auftrieb und Sicherheit. Jetzt liefen die Kombinationen mehr und mehr über viele Stationen und mit verblüffender Präzision. Jetzt zeigte sich der bis dahin absichernde Bley als Offensivkraft. Er brachte im Verein mit dem stark spielenden Mühlbächer und dem technisch guten, aber ballverliebten Wolff die ASK-Abwehr immer wieder in ärgste Bedrängnis. Jetzt steigerten sich sogar die erst sehr zurückhaltend wirkenden Geserich und Trümpler zu drangvollen Flügelstürmern. Der Erfolg blieb nicht aus. Er fand seinen Ausdruck in drei sicher und klug herausgespielten Toren, von denen Mühlbächers Direktschuß sogar eine Freude war. Die Elf schaffte viel an diesem Sonntag, sie siegte verdient und holte sich zwei hochwichtige Punkte. Und sie fand hoffentlich auch ihr Vertrauen zur eigenen Kraft wieder. Eines aber schaffte sie nicht, den ASK konnte sie nicht wachrütteln, jedenfalls nicht in diesem Spiel, das so bedeutungsvoll war.

ASK Vorwärts Berlin:
Zulkowski; Begerad, Unger, Krampe; Körner, Kiupel, Wirth, Nöldner; Vogt, Müller, Großheim
SC Dynamo Berlin:
Marquardt; Stumpf, Heine, Skaba; Bley, Unglaube; Hall, Mühlbächer, Trümpler; Wolff, Geserich

0:1 Begerad            (65., Eigentor)
0:2 Mühlbächer         (68.)
1:2 Marquardt          (73., Eigentor)
1:3 Hall               (80.)
1:4 Hall               (81.)

Schiedsrichter:        Glöckner (Leipzig)
Zuschauer:             8.000

Willi Conrad, Neue Fußballwoche, 03.03.1964