11. Spieltag 1963/64: SC Dynamo Berlin - SC Leipzig 5:1

Mühlbächers Tore versöhnten / In der 59. Minute Feldverweis für Stopper Gießner
Man schaue auf die Aufstellungen beider Mannschaften, spreche das hohe 5:1-Resultat mehrmals langsam vor sich hin - und hat man beides getan, erinnert man sich unwillkürlich jenes Sprichwortes, das da vom "Unmöglichen kündet, das sofort erledigt wird, und von den Wundern, die etwas länger brauchen" (vielleicht ist auch die Umkehrung korrekter, in beiderlei Deutung darf es jedoch hier zur Anwendung gebracht werden!). Warum dieser Gedankengang erlaubt ist? Aus folgender nüchterner Überlegung: Dynamo stellte eine Mannschaft auf den Platz, die zu vielen Befürchtungen Anlaß gab. Unerfahrenheit und noch nicht zureichende Oberligareife (Sobeck, Fuchs, Hoffmann, Geserich und Nebeling) ging mit Routine und Klassemerkmalen (Mühlbäcker, Bley, Heine, Stumpf, Skaba und Marquardt) einher, alle Schlüsse waren erlaubt, nur nicht der, daß gegen die ausgewogene, namentlich weitaus profilierter besetzte Leipziger Elf die Serie der Erfolglosigkeit der letzten Wochen (2:8 Punkte und 3:11 Tore waren die niederschmetternde Bilanz der vergangenen fünf Meisterschaftsspiele!) zu unterbrechen war.

Doch siehe oben! Fuchs am rechten Flügel (der ehemalige Hohenschönhausener hat wohl schon auf fast allen Mannschaftspositionen gespielt, nur noch nicht als Rechtsaußen), D. Sobeck bei seinem Oberligadebüt und U. Hoffmann genügte schon ihr bedingungsloser kämpferischer Einsatz, ihr energiegeladenes Wollen und jener Schuß von Unbekümmertheit, der Unmögliches möglich macht, der schon ausreichte, um zu gelungenen Angriffsaktionen zu kommen. Nebelings aufopferungsvolles Bemühen zeitigte Wirkung (nicht spielerische Linie, sonst hätte nach einem Dribbling in der 53. Min. ein gekonnter Paß auf Mühlbächer, so er gekommen wäre, dem SC Leipzig einen weiteren Verlusttreffer einbringen können), nur Geserich blieb hinter den Erwartungen zurück (entweder verstolperte sich der Linksaußen im Sprint oder spielte miserabel ab). Anderseits kann man es uns nicht verübeln, eine Misere in diesem Sachverhalt zu erblicken.

Eine Misere dergestalt, daß allein schon die Tatenfreudigkeit und der Wille ausreichende Faktoren waren, um in der Oberliga zu bestehen (an diesem Sonntag jedenfalls!). Vermochten sich die Leipziger gegen die Youngster des SC Dynamo schon nicht erfolgreich durchzusetzen, sie unter Kontrolle zu bekommen, gegen Stumpf, Heine, Skaba und Mühlbächer gelang das schon gar nicht. Der rechte Verteidiger lieferte sich sehenswerte Zweikämpfe mit Gase, Skaba kämpfte und rackerte wie gewohnt, und selbst Heine ließ diesmal harten, körperlichen Zweikampf nicht fehlen. Ihnen ist Lob und Anerkennung für ihre tadelsfreien Leistungen zu zollen, die Krone gebührt aber Mühlbächer. "Drößler hat besonderes Augenmerk auf den Halblinken Dynamos zu legen", sagte uns Rudolf Krause, der Trainer des SC Leipzig, vor dem Spiel. Wenn jemals eine solche Absicht zur Bedeutungslosigkeit verurteilt worden ist, dann in diesem Treffen.

Mühlbäcker schaltete und waltete nach Belieben, herrschte auf dem Feld, wie er wollte. Fischer, der beim SC Leipzig aus zurückhängender Partie operierte und dabei einen freien Spielraum hatte, wie man ihn sich nicht besser wünschen kann, vermochte nicht entfernt so viel Kapital daraus zu schlagen wie der Halblinke Dynamos trotz des anfänglich gut auf ihn eingestellten Drößler. Mit zunehmender Spielzeit löste sich der ungemein lauffreudige und übersichtsvolle Dynamo-Halblinke aus dieser Beschattung, schoß aus allen Lagen und erzielte vier Tore (zugleich der zweite Hattrick der Saison in der Oberliga!). Das Spiel hatte einen furiosen Auftakt mit eindrucksvollen spielerischen Höhepunkten auf beiden Seiten, um so enttäuschender der darauffolgende Leistungsabfall und Leerlauf in den Aktionen. Einfache Flankenbälle und Freistöße landeten hinter den Toren, kein Abspiel gelang mehr. Kombinationen über mehrere Stationen waren Mangelware. Man durfte sich förmlich glücklich schätzen, daß Mühlbächer dem Treffen danach noch einige Glanzlichter aufsteckte (erst recht nach dem Feldverweis Gießners, den Trautvetter wegen Reklamierens und Ballwegschlagens des Feldes verwies) und es dadurch aus dem Rahmen der Mittelmäßigkeit zur Befriedigung erhob.

SC Dynamo Berlin:
Marquardt; Stumpf; Heine, Skaba, Bley; Nebeling, Fuchs; Sobeck, Hoffmann, Mühlbächer, Geserich
SC Leipzig:
Nauert; Faber; Gießner (59. Platzverweis), Trojan, Drößler; Zerbe, Engelhardt; Schaller, Fischer, Frenzel, Gase

0:1 Gase               ( 7.)
1:1 Mühlbächer         (12.)
2:1 Hoffmann           (45.)
3:1 Mühlbächer         (58.)
4:1 Mühlbächer         (72.)
5:1 Mühlbächer         (79.)

Schiedsrichter:        Trautvetter (Immelborn)
Zuschauer:             3.000

Günter Simon, Neue Fußballwoche, 26.11.1963