06. Spieltag 1963/64: SC Dynamo Berlin - ASK Vorwärts Berlin 1:4

Durch starken Paradeflügel mit Nöldner und Nachtigall fiel die Entscheidung / Großartige Vorpausenleistung des ASK, der später allerdings arg nachließ / Schnellem Tempo- und Rhythmuswechsel zeigte sich Dynamo nicht gewachsen / An eigenen Schwächen gescheitert
Es gibt kein Glück, kein Pech im Sport: Dieses Spiel unterstrich diese Feststellung eindeutig. Sicher ist der eine oder andere geneigt, die vier Treffer des ASK Vorwärts als für ihn glücklich, für den SC Dynamo als unglücklich zu bezeichnen. Doch bei jedem einzelnen wurde anschaulich nachgewiesen, daß diese Tore (bis auf das dritte) ihren Ursprung im Können, in der Qualität der von Nöldner überaus umsichtig dirigierten Elf hatten und auch darin, daß sich diesen guten Szenen des ASK so offensichtlich schwache einiger Dynamo-Spieler anschlossen, daß diese Treffer weder als glücklich noch als unglücklich einzustufen sind, sondern vor allem der Ausdruck der unterschiedlichen Spielweise beider Mannschaften waren. Weisen wir das an diesen Toren nach: Nummer 1: Kurz hinter der Mittellinie kommt Nöldner in Ballbesitz. Er will Nachtigall anspielen, erkennt rechtzeitig, daß der Außen in Abseitsstellung steht. Seine Reaktion ist großartig.

Allein zieht er davon, deckt den Ball geschickt mit dem Körper, behauptet sich gegen vier Mann, ohne allerdings von denen auch energisch genug attackiert zu werden, und paßt sauber in die Gasse. Eine tolle Leistung, der jetzt die schwache folgt: Dorner will die Lücke schließen; läuft klug, doch schlägt die Kugel gegen den eigenen Pfosten. Fräßdorf hat keine Mühe, ins Netz zu schieben. Nummer 2: Michalzyk schlägt die Kugel nicht, sondern paßt sie klug zu Nachtigall, wobei allerdings Geserich völlig unbeteiligt danebensteht. Quer zu Fräßdorf. Der sieht die Lücke, jagt den Ball an Skaba vorbei in den freien Baum. Nachtigall war schon vorher angetreten, sprintet in tollem Tempo hinter dem Leder her, bringt es unter Kontrolle. Als jeder seinen Schuß erwartet, behält er die Übersicht, spielt zum besser stehenden Nöldner. Dessen Schuß wird abgewehrt. Die Kugel prallt zurück. Keiner der zahlreichen Dynamo-Abwehrspieler wuchtet sie weg. So vollendet der Halbrechte seelenruhig. Nummer 3: Weiter Abschlag von Weiß.

Bis zum Dynamo-Strafraum kommt der Ball. "Wiliy, raus:" ruft ein Dynamo-Spieler. Marquardt tut das. Doch Heine sieht das nicht, köpft ins eigene Netz. Nummer 4: Eckball von Großheim. Nöldner, einer der sprungschwächsten Oberligastürmer überhaupt, köpft unbedrängt (!) zu Vogt, der aus Nahdistanz vollstreckt. Diese Schilderung rechtfertigt unsere Feststellung, die wir zu Anfang trafen. Sie läßt aber noch einiges mehr erkennen. Zunächst das: Nöldner und Nachtigall befanden sich eine Halbzeit lang in vortrefflicher Verfassung: Gegenspieler schienen für sie kaum zu existieren; großartig, wie sie sich oft geradezu blind verstanden, wie der eine auf die Ideen des anderen einging, dabei Ruhe, übersieht genug besaß und vor allem die technischen Mittel, sie auch in die Tat umzusetzen. Sie bestimmten weitgehend das Tempo des Spiels, seinen Rhythmus. Ständig suchten sie neue Variationen, auf die die Dynamo-Deckung einfach keine Entgegnung fand.

Nöldner ersetzte eine ganze Läuferreihe, so großartig konstruktiv wirkte er, und Nachtigalls Antritt ließ selbst den schnellen Heine (der seine Deckung nicht zu organisieren verstand, wenig Umsicht verriet) fast langsam wirken. Die beiden bildeten eine Halbzeit lang einen Paradeflügel, forderten oft den Beifall auf offener Szene voraus. In dieser Zeit war der ASK spielerisch eindeutig besser, reifer, zeigte schon in der gesamten Spielanlage das bessere Verstehen, teilte sich klüger den Raum auf, obwohl beide Läufer recht wenig Initiative zeigten. Doch die anderen waren stark genug, diese Schwächen kaum spürbar werden zu lassen. Und in dieser Geschlossenheit vor allem lag das bestimmende Übergewicht dieser Elf. Da kam Dynamo einfach nicht mit, so ehrgeizig sich auch Dorner und Skaba steigerten, so viel auch Nebeling rackerte und so konzentriert auch Klingbiel und Mühlbächer (das Schießen aber nicht übertreiben) Lücken suchten. Dem Spiel fehlte ganz einfach die große Linie, das harmonische Ineinanderfließen der Aktionen, für das die Läufer sorgen sollten, es hier aber nicht taten.

Meist wurden die Bälle nach vorn geschlagen; und da war beim stellungssicheren Unger; beim raffinierten, trickreichen Krampe kaum etwas zu holen. Und noch eine Schwäche fiel besonders auf: Die Dynamo-Stürmer waren nicht in der Lage, ihre Chancen zu nutzen: Vielleicht hatten sie nach dem Wechsel sogar mehr als Vorwärts, doch die Wirkung war ungleich geringer. Der ASK ließ später rapide nach, und ein solcher Leistungsabfall ist auch nicht mit dem klaren Vorsprung zu erklären, damit, daß man sich nicht mehr zu konzentrieren brauchte. Schade darum, doppelt schade, weil das Publikum 80 Minuten lang volle Konzentration erwarten darf und weil man sich eine Werbemöglichkeit entgehen ließ. Doch dieses "Entgegenkommen" des ASK vermochte Dynamo nicht zu verwerten. Bley, Hall, Geserich, Klingbiel konnten einfach kein Kapital daraus schlagen, vergaben selbst in aussichtsreichsten Positionen.

SC Dynamo Berlin:
Marquardt; Dorner; Heine, Skaba, Nebeling; Hofmann, Klingbiel, Bley; Hall, Mühlbächer, Geserich
ASK Vorwärts Berlin:
Weiß; Michalzyk; Unger, Krampe, Körner; Kiupel, Nachtigall, Nöldner; Vogt, Fräßdorf, Großheim

0:1 Fräßdorf           ( 2.)
0:2 Nöldner            (24.)
0:3 Heine              (42., Eigentor)
0:4 Vogt               (51.)
1:4 Hall               (73.)

Schiedsrichter:        Köhler (Leipzig)
Zuschauer:             8.000


Klaus Schlegel, Neue Fußballwoche, 08.10.1963