| Angriffswirbel fast wie früher / Entscheidung innerhalb von 10 Minuten gefallen Das Oberliga-Punktspiel am Mittwoch im Rostocker Ostsee-Stadion war so etwas wie eine Vorentscheidung im Kampf gegen den Abstieg. Diese Behauptung dürfte stichhaltig sein, wenn man feststellt, daß beide Mannschaften vor dem Spiel aus elf bzw. neun Kämpfen erst sechs Pluspunkte herausholen konnten. Nachher sahen die Dinge, wenigstens für die eine Seite, etwas anders aus. Nun hat der SC Dynamo Berlin sich nach einer ansprechenden Leistung, die auch für die Zukunft eine weitere Verbesserung der Tabellenposition erwarten läßt, etwas Luft geschaffen. Dagegen gerät der SC Empor bei nunmehr 6:18 Punkten und nur 8 Toren aus 12 Spielen langsam in eine bedrohliche Lage. Jedes Ding hat seine zwei Seiten; sagt man. So auch dieses Spiel. Ziehen wir in der kritischen Nachbetrachtung drei Gesichtspunkte heraus, so müssen wir, von welcher Warte aus die Dinge auch angesehen werden, stets zu dem gleichen Ergebnis kommen.
1. "Zumindest zwei der Treffer, die wir einstecken mußten, waren völlig unnötig”, so behauptete man nach dem Spiel in Rostock nicht zu Unrecht. "Endlich spielte unser Angriff, wenigstens annähernd und zeitweise, wieder einmal so auf, wie wir es uns schon seit langem gewünscht haben", bemerkte Dyamo-Trainer Helmut Petzold. Beides ist richtig! An allen drei Toren war irgendwie ein Rostocker Abwehrspieler "beteiligt". Vor dem ersten Treffer sprang der Ball vom Verteidiger Schmidt zum Torschützen Matzen, Beim zweiten Tor stand Torwart Schröbler falsch.
Das dritte Tor leitete Zapf mit einer "Vorlage" an Holze beim Abstoß ein. Andererseits muß man aber sagen: Wenn nicht auf diese Weise, dann wären auf andere Art Tore gefallen. So variabel und zügig sahen wir die Vorderreihe des Berliner Kollektivs lange nicht kombinieren. Die Aufstellung des kleinen Halblinken Pinske, die vom Kollegen Heinrich Müller in der vorigen Ausgabe geradezu gefordert wurde, bewährte sich ebenso wie der Einsatz des rasanten Flügelstürmers Holze.
2. Daß auch die Abwehr des Siegers stärker als sonst besetzt war, zeigte sich vor allem "in Zeiten der Not" nach diesen drei schnell herausgeholten und bereits entscheidenden Treffern. Das mag auch eine Erklärung sein für das teilweise Versagen des Rostocker Innentrios. Trotz aller Bemühungen fand Mittelstürmer Holtfreter in Herbert Schoen, der wie schon so oft dank seiner trockenen Härte und der klugen Überlegung den Zentralpunkt der Deckung bildete, seinen Meister.
Noch weniger als Holtfreter kamen Rostocks Halbstürmer Schaller und Zedel zur Geltung. Schaller ist nun einmal kein Halbstürmer. Diese Erkenntnis muß aus diesem Spiel gezogen werden. Zedel wurde von dem erstmalig den Dynamo-Dreß tragenden Mühlbächer genau markiert und kam in keiner Phase des Spiels dazu, so wie früher oft Regisseur und Ballschlepper für seine Mitstürmer darzustellen.
3. Auf beiden Seiten hatte man das Kollektiv gegenüber der Standardbesetzung vergangener Wochen und Monate umgestellt. Bei Dynamo, wie schon die Kritik über die Leistungen der Stürmer und Läufer ergab, mit durchschlagendem Erfolg. Darüber hinaus darf man das Trainer-Kollektiv des SC Dynamo Berlin beglückwünschen, daß man sich endlich wieder zu der alten ureigenen Dynamo-Spielweise durchgerungen hat: Abkehr vom Schlagwort "Sicherung zuerst" und Wendung zum freien Ausspielen aller Kräfte und zum zügigen Angriffsfußball. Daß dabei der schnell herausgeholte 3:0-Vorsprung dann später mit elastischer Deckung gehalten wurde, steht zu dieser Feststellung in keinem Widerspruch.
Andererseits wurde der SC Empor nach der Verletzung von Arthur Bialas zu Umstellungen gezwungen, die die Stabilität des Mannschaftsgefüges und damit auch die arteigene Spielkonzeption erschütterten. Zur Zeit fehlt eben der zweite Halbstürmer. Weder Schaller noch Schmidt stellen als Angriffsspieler eine restlos befriedigende Lösung dar. Erst dann, wenn der kleine Halbrechte wieder zur Verfügung steht, oder der junge Weber eingesetzt werden kann, sollte der Rostocker Sturm seine alte Gefährlichkeit zurückgewinnen.
SC Empor Rostock: Schröbler; Schmidt (53. Pöschel), Zapf, Singer; Schneider, Minuth; Leeb; Schaller, Holtfreter, Zedel, Speth SC Dynamo Berlin: Klemm; Schneider; Schoen, Haufe; Mühlbächer, Thiemann; Holze, Maschke, Schröter, Pinske, Matzen
0:1 Matzen (18.) 0:2 Schröbler (23., Eigentor) 0:3 Maschke (27.)
Schiedsrichter: Green (Limbach) Zuschauer: 15.000
Lothar Nagel, Neue Fußballwoche, 19.06.1956
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