12. Spieltag 1955: SC Dynamo Berlin - SC Turbine Erfurt 3:0

Aus 30 Metern wurde entschlossen abgefeuert / Dynamo Berlin nutzte den Wind weit besser als Turbine / Die 47., 48. Minute: Holzes K.o.-Schläge für den Meister!
Mit zwei blitzschnellen Schlägen führte der SC Dynamo die Entscheidung herbei. Mit dem steifen Wind im Rücken forcierten die Berliner in der zweiten Halbzeit das Tempo und nutzte die Unterstützung der Wetterverhältnisse weit besser aus als die Thüringer Gäste. Grundsätzlich wurde von Dynamos Stürmern schon an der 30-Meter-Grenze konsequent geschossen. Jahn, der Torhüter des Meisters, bekam es zu spüren Nach einem schon in der 15. Minute von Schröter erzielten Kopfballtreffer im Anschluß an eine von Matzen herausgeholte Ecke (Jahn durfte diesen Ball niemals verpassen!) zogen die Berliner durch den erstaunlich tatendurstigen Holze auf 3:0 davon, hoffnungslos für den Meister. Schäffner hatte nach einem Dribbling selbst aufs Erfurter Tor abgeschossen. Den Scharfschuß parierte Jahn, aber der Ball sprang zu Holze. Dessen Nachschuß wehrte der Erfurter Hüter noch einmal ab, aber im zweiten Nachsetzen landete das Leder dann doch im Netz.

Einen wunderbaren Treffer in Entstehung und Ausführung erzielte der Rechtsaußen bereits eine Minute später. Im Wechsel mit Schäffner paßte sich Holze das Leder zu (Schröter war die Ausgangsbasis), Hänsicke kreuzte die beiden und irritierte damit die reichlich lockere Erfurter Deckung. Holze nutzte diese Täuschung aus und lief völlig frei noch etwa fünf Meter, dann jagte er mit selten gesehener Vehemenz die Kugel in die rechte untere Ecke, Jahns "Tauchversuch" war völlig vergeblich. Die Erfurter Elf begann so, wie man sich einen Meister immer in Durchschnittsform vorstellt. Geschickte Angriffe wechselten mit sicherer Abwehr. Aber warum wurde der Wind als Bundesgenosse nicht so ausgenutzt, wie es Dynamo im zweiten Abschnitt vorführte? Bald stellten sich schon erschreckende Fehler im Zuspiel heraus, die immer krassere Formen annahmen. Selbst Jochen Müller und Rosbigalle blieben davon nicht ausgenommen.

Als einziger versuchte sich wenigstens mehrfach Rosbigalle als Fernschütze, ohne allerdings Erfolg dabei zu haben, weil alle seine Schüsse zu hoch lagen. Dynamo hatte schon zu diesem Zeitpunkt, nach dem ersten Treffer Schröters, mehr Linie und System bei seinen Angriffen erkennen lassen. Maschke, der enorm fleißige und technisch verbesserte Scheffner sowie der sich stets klug anbietende Holze waren meistens die Ausgangspunkte der gefahrdrohenden Kombinationen. Dagegen verschachtelten die Erfurter ihre Vorstöße allzusehr. Nur Weise, zeitweilig auch der begabte Niewand, befriedigten im Sturm des Meisters. Klemm erhielt nur eine schwierige Aufgabe während der ersten 45 Minuten zu lösen, als er einen Scharfschuß von Weise aus dem Dreiangel griff (Beifall und Lob für beide!). Dynamo spielte unkomplizierter! Das war das Entscheidende für die größere Gefährlichkeit. In der letzten halben Stunde erwiderten die Erfurter gegen den Wind die Steildurchbrüche des Gegners mit flachangelegten Kurzpassagen.

Das sah zwar zeitweilig recht nett aus, brachte aber gegen die stabile Dynamo-Deckung keinen Erfolg. Vielmehr wurden die Erfurter offen wie ein "Scheunentor", weil beide Läufer (hier aber besonders Jochen Müller, der in der Defensive recht schwache Momente hatte) zu weit mit aufrückten. So gewannen die Dynamo-Stürmer immer genügend Raum für blitzartige Vorstöße. Hier imponierten die Flankenläufe von Holze, der Fleiß von Schäffner, Schröters Regiekunst (ohne daß der Auswahl- und Dynamo-Kapitän seinen besten Tag hatte). Maschkes Zähigkeit und sein Vorschnellen in den Sturm, während Matzen guter Durchschnitt blieb, Hänsicke aber nach vielversprechendem Beginn in der zweiten Halbzeit stark abfiel. Viel Interesse wurde in Berlin dem Erfurter Stopper Skaba entgegengebracht. Der junge Mann im Deckungszentrum des Meisters verriet Veranlagung, ist aber noch nicht erfahren genug. Er hatte einige "Meckerduelle" mit Jochen Müller, vermutlich, weil der rechte Läufer zu offensiv wirkte.

Den Abwehrkräften Turbines wurde dadurch ohne Zweifel die Arbeit erschwert. Skaba spielte aber reichlich unsauber, es mißfiel besonders sein "Hineinrutschen" in den Gegner. Der aufmerksame Schiedsrichter Köhler erteilte ihm Ermahnung und Verwarnung! Eindrucksvollster Mann in der Erfurter Abwehr war Rechtsverteidiger Gerhard Franke, ein Spieler von Klasse, dessen Zuspiel Zentimeterarbeit ist! Meinelt hatte gegen Holze einen schweren Stand und wurde später auch noch angeschlagen, so daß er trotz ehrlichen Bemühens ein Ausfall werden mußte. Dem Erfurter Sturm merkte man an, daß ihm konstruktive Halbstürmer fehlen. Rudi Hermsdorf ist noch längst nicht wieder der alte, aufopferungsvoll und zielstrebig, wenn auch unauffällig schaffende Halblinke, Niewand mangelt es an Routine und Anlage dazu. Da Wallrodt und Vollrath technisch zu schwach sind und wenig Blick für die Situation besitzen, ist Weise zur Zeit tatsächlich der einzige Mann im Meisterquintett, der Erfolg verspricht. Nicht zufällig schoß gerade er zuletzt die meisten Tore für seinen Klub!

SC Dynamo Berlin:
Klemm; Michael, Schoen, Bock; Maschke, Heine; Holze, Schröter, Hänsicke, Schäffner, Matzen
SC Turbine Erfurt:
Jahn; Franke, Skaba, Meinelt; Müller, Rosbigalle; Weise, Niewand, Vollrath, Hermsdorf (48. Schymik), Wallrodt

1:0 Schröter           (15.)
2:0 Holze              (47.)
3:0 Holze              (48.)

Schiedsrichter:        Köhler (Leipzig)
Zuschauer:             5.000

Heinrich Müller, Neue Fußballwoche, 29.11.1955