07. Spieltag 1955: SC Wismut Karl-Marx-Stadt - SC Dynamo Berlin 1:1

Wismut-Schlußoffensive brachte Dynamo noch ins Wanken / Aber die Berliner waren gegenüber dem Vorsonntag wie umgewandelt / Ja, als Tröger rochierte!
Das war ein Spiel für die fast 15.000 im Auer Otto-Grotewohl-Stadion, ein Kampfspiel, so recht nach dem Herzen der begeistert mitgehenden, aber nicht immer sachlichen Besucher. Wenn deshalb heute die Kritik am Unparteiischen an den Anfang des Berichtes gestellt wird, dann deshalb, weil die Protestrufe von den Rängen auf einen Schiedsrichter niederprasselten, der eine ganz hervorragende Leistung bot: Richard Kastner aus Berlin! Ihm allein war es zu danken, seiner beharrlichen Konsequenz, daß dieses anfangs aus den Fugen geratene Spiel immer im Rahmen blieb. Dynamo war gegenüber dem Vorsonntag wie ausgewechselt. Doch nicht etwa eine schwache Leistung von Wismut gab den Berlinern das Rezept des Handelns in der ersten Halbzeit in die Hand, sondern eine ganz klare und folgerichtige Einstellung von Trainer Petzold wurde von Dynamos jungem Kollektiv nicht nur beherzigt, sondern auch durchgeführt: "Wir nehmen die Übergangsrunde wie sie ist, wir spielen offensiv: Wir kämpfen, bemühen uns, direkt zu spielen, das Tempo zu forcieren, und Jungs, macht mir die Flügel stark, versucht, die Verteidiger, vor allen Dingen Bauer, herauszulocken."

Dynamos Spieler hatten sich diese Vorbereitung zu Herzen genommen! Und Wismut nicht anders, denn Gädicke-Jakob hatten auch ihren Spielern nach Karl Wolfs Worten vor dem Spiel alles Ergänzende gesagt, und Helmut Jakob, der zuletzt in Berlin bei Rostock "spionierte", hatte bewußt nicht von einer Schwäche beim Spitzenreiter gesprochen. Es entwickelte sich vom Anstoß an ein tempogeladenes, hartes und schnelles Spiel. Verständlich, daß oft überhastetes Abspiel manch guten Ansatz im Keime erstickte. Schließlich ging es um den auch in der Übergangsrunde heiß begehrten ersten Tabellenplatz. Welch Pech! Usemann - gerade wieder genesen und in guter Verfassung - brach sich bereits in der 4. Minute Schien- und Wadenbein. Karl Wolf rempelte ihn bei einem Durchbruch. Usemann und Glaser überhörten Kastners Pfiff, schlugen preß. Es knackte - man hörte es deutlich - und der linke Dynamo-Läufer wurde mit der Trage vom Platz gebracht.

In diesem Zusammenhang ist es mir Bedürfnis zu sagen, daß Glaser nicht absichtlich foulte, sondern - wie Usemann - nach dem Ball schlug. Glaser selbst traf es außer dem Pechvogel am härtesten, das fühlten wir noch nach dem Spiel. Dynamo gehörten die ersten 45 Minuten! Schröter und Maschke (endlich wieder!) trieben ihren Sturm ununterbrochen an. Es regierten nicht die "Wölfe", nicht Kaiser und auch nicht Willi Tröger. Er war bei Herbert Schoen bestens aufgehoben. Überhaupt, Schoen war Dreh- und Angelpunkt der Abwehr. Seit Magdeburg hat sich Dynamos Stopper weiter gesteigert. Chancen gab es auf beiden Seiten. Doch es blieb offensichtlich, daß Dynamos jungem Sturm in der Vollstreckung, in der Ruhe am Ball (Pinske, Schäffner) noch die Routine fehlt. Doch bei konsequenter Linie wird auch das noch wachsen, weil das Kollektiv in sich gefestigt ist und ständig die Technik in der Bewegung steigern will.

Doch erst Schröters Tor in der 58. Minute brachte für die Berliner eine gewisse Erlösung im Spiel, denn bis zu diesem Zeitpunkt hatten Pinske und Matzen es in den Füßen, Dynamo in Führung zu bringen. Übersehen wir nicht, daß auf der Gegenseite auch Tröger und Viertel Chancen hatten, aber die Gelegenheiten der Gäste wurden durch klares und reibungsloses Zusammenspiel herausgearbeitet, während Wismuts Aktionen an diesem Tage zu sehr in der Mitte des Spielfeldes konzentriert blieben, weil beide Flügel zu sehr nach innen drängten. Als Schröter nach einem abgewehrten Pinske-Schuß, den Müller auf der Linie wegschlug, den Ball erwischte und hoch unter die Latte schlug, schien Dynamo einem sicheren Sieg entgegenzusteuern, denn die Berliner hatten nicht nur überlegen gespielt, sondern ihren Gegner über Strecken auch ganz schön hin- und hergetrieben.

Erst als Fritz Gödicke zur Halbzeit den bis dahin Rechtsaußen spielenden Kaiser auf Halbrechts nahm, begann Wismuts Spiel besser zu laufen. Zwar gefiel uns Willi Tröger auch diesmal als Individualist ausgezeichnet, aber gegen einen Herbert Schoen muß man viel mehr auf die Flügel rochieren, um erfolgreich zu sein. Das tat er dann im letzten Drittel. Das Spiel erreichte dramatische Formen, und Wismut hatte das Zepter restlos in die Hand genommen, aber Dynamo verteidigte prachtvoll. Erst eine Maßflanke von Wagner fast von der Grundlinie brachte den Ausgleich, als sich Dynamos Deckung zu sehr auf die kurze Ecke konzentrierte. Die Flanke lenkte Herbert Schoen noch höher und weiter, so daß in der langen Ecke Günther - richtig stehend - nur einzuköpfen brauchte.

Die letzte Viertelstunde war ungewöhnlich dramatisch. Wismut drängte voll offensiv und Müller stürmte fleißig mit. Docht selbst in dieser Spielphase bewies die junge Berliner Mannschaft, daß sie zu kontern versteht. Und hätte nicht "Moppel" Schröter zu sehr in der Abwehr gehangen, ein Führungstreffer wäre absolut auch in dieser Spielphase möglich gewesen. In der 85. Minute noch einmal Großalarm 1m Strafraum von Dynamo: 7. Ecke für Wismut. Siegfried Wolf hebt sie von Linksaußen vor das Tor auf die kurze Ecke. Michael steht da und schlägt den Ball wieder ins Aus. 8. Ecke für Wismut. Wieder hebt Siegfried Wolf mit Effet auf die gleiche Ecke. Diesmal muß sich Klemm mächtig strecken und auch ihm blieb keine andere Möglichkeit, als wieder ins Aus zu fausten. Die neunte Ecke! Doch diesmal schaltet sich Herbert Schoen mit machtvollem Körpereinsatz ein und klärt diese Situation. Und noch einmal machte sich Dynamo frei. Es gab eine Ecke von rechts, doch bevor Pinske sie ausführen kann, pfeift Richard Kastner ab.


SC Wismut Karl-Marx-Stadt:
Thiele; Glaser, Müller, Bauer; K. Wolf, S. Wolf; Kaiser, Viertel, Tröger, Günther, Wagner
SC Dynamo Berlin:
Klemm; Michael, Schoen, Bock; Maschke, Usemann; (4. Stang); Heine, Schröter, Schäffner, Pinske, Matzen

0:1 Schröter           (58.)
1:1 Günther            (71.)

Schiedsrichter:        Kastner (Berlin)
Zuschauer:             14.000

Gustav Herrmann, Neue Fußballwoche, 18.10.1955