06. Spieltag 1955: SC Dynamo Berlin - SC Empor Rostock 1:2

Zapfs "Risiko-Ecke" beinahe verhängnisvoll! / Dynamo nutzte sie zum Ausgleich, dann kam das befreiende Bialas-Tor in der 87. Minute für Empor!
Das wäre für den SC Empor Rostock noch beinahe schief gegangen: Zapf, so souverän und klug er auch diesmal wieder spielte und seine Anwartschaft auf einen Platz in der Auswahl geltend machte, es unterlief ihm wieder eine seiner berühmten "Risiko-Einlagen", die er nicht nötig hatte! Statt das Leder zur Seite wegzubefördern, dribbelte er im Strafraum und verschuldete dabei eine Ecke. Sie wurde von Dynamo zum Ausgleich ausgenutzt! Zuerst kam Heine an den Ball, sein Kopfstoß wurde abgewehrt. Das Leder prallte dann zu Schröter, der Matzen bediente. Dessen Flanke drückte Pinske über die Linie. Gewiß, es war ein halbes "Drängeltor", aber hätte der weitaus zügiger als Pöschl spielende Franz Bialas nach einer flachen Diagonalvorlage von Holtfreter nicht drei Minuten vor Schluß noch den Siegestreffer erzielt, dann wäre der SC Empor um den klar verdienten Erfolg gekommen.

Das schönste Tor erzielte schon nach einer Viertelstunde Linksaußen Hansi Speth aus recht ungünstigem Winkel, als er eine Flanke vortäuschte, den in die lange Ecke zurückweichenden Klemm dann aber mit einem überraschenden und harten halbhohen Schuß schlug, der in die kurze Ecke flitzte. Welch eine gute Mannschaft sind die Rostocker doch geworden! Das bestätigte auch der verletzte Vorwärts-Mittelstürmer Fritsche, der dem Spiel beiwohnte. Die Mecklenburger beherrschten in der ersten Halbzeit das Geschehen mit ihrem ideenreichen, wechselvollen Flachpaß, immer wieder angetrieben von ihren eminent fleißigen Halbstürmern A. Bialas und Zedel, die in verwirrenden Kombinationen der Dynamo-Deckung viel Kopfschmerzen bereiteten. Hier bewährte sich erneut Herbert Schoen als der kampfstarke und zähe Mittelverteidiger, der schnell die Gefährlichkeit des stets in die Flanken ausweichenden, beweglichen Holtfreter erkannt hatte und ihn messerscharf deckte.

Dynamo konnte froh sein, daß Rostocks Rechtsaußen Pöschl so unkonzentriert spielte, sonst wäre auch vom rechten Flügel der Gäste mehr Gefährlichkeit ausgegangen; denn Bock hatte schon so einige Schwierigkeiten. So liefen die Angriffe der feldbeherrschenden Empor-Elf meist über den linken Flügel mit dem eleganten Speth. Im Gegensatz zu ihrem Sturm überzeugten die Rostocker Läufer nicht so sehr, vor allem Rudi Schneider, dessen Erfahrung erst in der zweiten Halbzeit richtig sichtbar wurde, als er seine Form steigerte. Er machte in den ersten 15 Minuten, in der die Rostocker besonders eindrucksvoll waren, viele Fehler im Zuspiel, während Minuth ja grundsätzlich mehr defensive Aufgaben löst. Man muß staunen, was in dem kleinen Kerl für Energie und Zähigkeit steckt! Neben Zapf verteidigten Schaller und Singer zuverlässig, wobei diesmal auch die Genauigkeit der Abwehrschläge beim linken Back angenehm auffiel.

Der SC Dynamo hat seine Anhängerschaft unzweifelhaft enttäuscht. Im Angriff wollte überhaupt nichts klappen. Hier war Schröter lange Zeit der einzige Spieler, dessen Aktionen Hand und Fuß hatten. Matzen als der zweite erfahrene Stürmer in diesem Quintett wurde von Schaller eine Stunde lang gefesselt. Stang und Scheffner verstanden mit ihren Vorlagen nichts anzufangen, drehten sich immer wieder im Kreise herum, statt das gegnerische Tor konsequent anzusteuern. Allerdings wäre Matzen beinahe das Führungstor gelungen, als er in eine Flanke förmlich hineinflog und den Ball in die lange Ecke stieß. Zapf mußte mit Spagatschritt klären, und noch einmal bereinigten Zapf und Singer auf der Linie für ihren bereits überwundenen, allerdings noch recht unerfahrenen Torhüter Lippert die Situation. Es waren vielleicht 20 Minuten im zweiten Abschnitt gespielt, als Dynamo langsam im Mittelfeld Übergewicht erzielte.

Nach dem Ausgleich von Pinske lief es dann bei den Berlinern bedeutend besser als in der ersten Stunde des stets interessanten Kampfes, der von seiner Farbe nach der Pause allerdings etwas eingebüßt hatte. Nun sah man auch nicht mehr so viele erschreckende Fehlpässe der Läufer, die vorher das Zustandekommen von zügigen Angriffen verhindert hatten, da der Ball allzu häufig beim Gegner landete. Maschke und auch Heine verbesserten ihre Leistungen wenigstens am Schluß so weit, daß Dynamo das Unentschieden hätte halten können, bis aus der Defensive plötzlich ein Rostocker Gegenstoß zum Siegestreffer für die Gäste führte. Zum verdienten Siegestor, wie die Berliner Volkspolizisten neidlos anerkennen werden! Denn die Empor-Mannschaft war die bessere, überraschend auch feiner und gediegener spielende! Ein kleiner Trost: Dynamos starke Reserve mit Haufe, Usemann, Holze und Hänsicke siegte 5:0!

SC Dynamo Berlin:
Klemm; Punt, Schoen, Bock; Maschke, Heine; Stang (70. Wrobel), Schröter, Scheffner, Pinske, Matzen
SC Empor Rostock:
Lippert; Schaller, Zapf, Singer; Schneider, Minuth; Pöschl (F. Bialas); A. Bialas, Holtfreter, Zedel, Speth

0:1 Speth              (16.)
1:1 Pinske             (75.)
1:2 F. Bialas          (87.)

Schiedsrichter:        Köpcke (Wusterhausen)
Zuschauer:             7.000

Heinrich Müller, Neue Fußballwoche, 11.10.1955