05. Spieltag 1955: SC Dynamo Berlin - BSG Rotation Babelsberg 4:2

Ausfall von Philipp sehr bedeutsam / Bitte mehr Disziplin wahren! / Schröter erzielte das wichtigste Tor
Der SC Dynamo ist also auch im fünften Punktetreffen ungeschlagen geblieben. Seine Leistung konnte jedoch diesmal nicht überzeugen. Überhaupt hatte man von dieser Begegnung weit mehr erwartet. Zwischen beiden Mannschaften besteht seit je eine gesunde sportliche Rivalität. Das kämpferische Moment, der verbissene Einsatz um jeden Meter Boden bestimmten den Ablauf der 90 Minuten. Bedauerlich ist allerdings, daß verschiedentlich die Grenzen des Erlaubten von beiden Parteien überschritten wurden. Das trübte diesen Kampf. Der Spielfluß wurde durch oftmalige unkorrekte Handlungen wiederholt unterbrochen. Schiedsrichter Köhler, sehr konsequent und bestimmend in seinen Entscheidungen, äußerte anschließend in der Kabine: "Was sollte ich noch mehr tun. Jedes kleine Foul wurde abgepfiffen, aber ein Platzverweis wäre nicht gerechtfertigt gewesen. Man muß aber von den Spielern entschieden mehr Disziplin voraussetzen!"

Wieviel unsaubere Aktionen stellten wir z. B. beim hochtalentierten Dynamo-Läufer Maschke fest. Man muß bei ihm in dieser Beziehung leider eine negative Entwicklung festhalten. Das ist um so betrüblicher, da Maschke doch über alle notwendigen Voraussetzungen verfügt, die einen überdurchschnittlichen Spieler auszeichnen. Es wäre unbedingt ratsam, wenn er sich in Zukunft auf diese spielerischen Fähigkeiten besinnen und seinen Kameraden auch im Auftreten Vorbild sein würde! Dieser Hinweis hat für die anderen "Sünder" jedoch gleichermaßen Gültigkeit! Es sah zunächst keinesfalls nach einem Sieg der Berliner Elf aus. Vielmehr startete Rotation äußerst schwungvoll, und bereits innerhalb der ersten drei Minuten mußte Klemm zwei Scharfschüsse von Selignow meistern: Sehr beweglich operierte der lange Philipp im Angriffszentrum, jedoch sollte er auf unnötige Schnörkel (Absatzkick) verzichten.

Gemeinsam mit dem sehr ehrgeizigen Hans Schöne und Selignow gelangen einige wunderschöne Züge. Das Übergewicht wurde ständig größer, sogar Tietz und Harbolla tauchten an der Strafraumgrenze auf. Und dennoch plötzlich 1:0 für Dynamo. Linksaußen Matzen, bisher kaum in Erscheinung getreten, kurvte aus rechter Position zur Mitte, schüttelte mit einer blitzschnellen Rechtsdrehung Bartholomäus ab und schoß placiert ein. Die Berliner blieben auch, bis auf die folgenden zehn Minuten nach dem Führungstreffer, vorwiegend in die Defensive gedrängt. Dem eigenen Angriff gelang fast nichts, so geschickt auch der etwas hängende "Moppl" Schröter seine Mitspieler einzusetzen versuchte. Der Halbrechte leistete dabei eich ungewöhnlich großes Arbeitspensum. Er war in gefahrdrohenden Situationen bei der Abwehr im Strafraum zu finden, stürmte aber im nächsten Moment schon wieder unaufhaltsam nach vorn.

Seinem Tatendrang ist schließlich auch der hochwichtige dritte Treffer zu verdanken. Schröter hatte fast an der Seitenlinie Harbolla abgeschüttelt und auch den heranlaufenden Bartholomäus umspielt. Sein halbhoher Schuß wurde von Simons Knie ins eigene Tor abgefälscht. Neben ihm müssen der fleißige Pinske und mit Einschränkungen Stang erwähnt werden. Mittelstürmer Scheffner, am Vorsonntag in Zwickau allseitig gelobt, blieb den Beweis seiner Antrittsschnelligkeit und Durchschlagskraft schuldig. Matzen verstand es nicht, im entscheidenden Augenblick in die Lücke zu stoßen, wohin seine Nebenleute den Paßball oft vergeblich schickten. Der Linksaußen steigerte sich dann allerdings in der zweiten Halbzeit, nutzte seine Schnelligkeit aber nicht genug aus. Die Babelsberger litten nach der Pause sehr unter dem Ausfall von Philipp, der sich bei einem Zusammenprall mit Schröter eine Zerrung im linken Knie zuzog und stark bandagiert herumhumpelte.

Somit war Rotation seiner gefährlichen Angriffsspitze beraubt. Auch machten sich nun bei Tietz Ermüdungserscheinungen bemerkbar, so verbissen der rechte Läufer auch um jeden Ball kämpfte. Selignows Anschlußtor nach kluger Vorarbeit von Hans Schöne, der einen Freistoß raffiniert über die Mauer zum sofort schaltenden Halbrechten schlug, gab der Elf zwar noch einmal mächtigen Auftrieb. Es fehlte in der Schlußphase aber schließlich doch an der Kraft, am noch zum nahliegenden Ausgleich zu kommen. Seine ansteigende Form bewies Mittelverteidiger Schoen in zahlreichen kritischen Situationen, die er durch resoluten Einsatz oder vorzügliches Stellungsspiel bereinigte.

Dieses Urteil gebührt auch dem Babelsberger Zentralverteidiger Bartholomäus, dessen Sprungkraft ungemein imponierte. Wiederholt mußte er dazu noch auf dem rechten Flügel aushelfen, wenn Eiseler überlaufen wurde. Der junge Linksverteidiger wirkte oft recht zerfahren, wird sich in den folgenden Kämpfen jedoch zweifellos noch die erforderliche Sicherheit aneignen. Die 8.000 Zuschauer waren mit dem organisatorischen Ablauf der Veranstaltung nicht zufrieden. So wurden offensichtlich zu viel Sitzplatzkarten verkauft, deren Besitzer sich dann verschiedentlich mit einem Stehplatz begnügen mußten. Auch die verkehrstechnischen Möglichkeiten zum Stadion Steffenstraße sind sehr mangelhaft, da lediglich Straßenbahnverbindung besteht. Wäre es aus diesem Grunde nicht ratsam, die Heimspiele des SC Dynamo wieder ins Walter-Ulbricht-Stadion im verlegen? Berlins Fußballanhänger würden das bestimmt sehr begrüßen!

SC Dynamo Berlin:
Klemm; Punt, Schoen, Bock; Maschke, Heine; Stang, Schröter, Scheffner, Pinske, Matzen
BSG Rotation Babelsberg:
Marquardt; Simon, Bartholomäus, Eisener; Tietz, Harbolla; Schöne, Selignow, Philipp (78. Jeronymus), Gießler, Adam

1:0 Matzen             (15.)
1:1 Gießler            (32.)
2:1 Schröter           (45.)
3:1 Simon              (72., Eigentor)
3:2 Selignow           (79.)
4:2 Schröter           (86.)

Schiedsrichter:        Köhler (Leipzig)
Zuschauer:             8.000


Dieter Buchspieß, Neue Fußballwoche, 04.10.1955