Urteil |
5 B 993/95 B e s c h l u ß In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren wegen Unterlassung von Äußerungen; hier: Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung hat der 5. Senat des OBERVERWALTUNGSGERICHTS FÜR DAS LAND NORDRHEIN-WESTFALEN am 31. Mai 1996 durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Dr. B e r t r a m s , den Richter am Oberverwaltungsgericht K o o p m a n n, den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. S e i b e r t beschlossen: Leitsatz: Zu dem Antrag von "Scientology", im Wege der einstweiligen
Anordnung kritische Äußerungen des Bundesministers für
Arbeit und Sozialordnung Blüm über "Scientology" zu
untersagen. § 123 VwGO, § 261 StGB OVG NW, Beschluß vom 31. Mai 1996 - 5 B 993/95 -, 1. Instanz: VG Köln - 10 L 1942/94 -.
G r ü n d e : I. Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz im
Zusammenhang
mit einem in der "Welt am Sonntag" vom 18. September 1994
veröffentlichten
Artikel. Darin werden eine Reihe kritischer Äußerungen des
Bundesministers
für Arbeit und Sozialordnung Norbert Blüm über
Scientology
zitiert sowie berichtet, daß der Minister die Bundesanstalt
für
Arbeit angewiesen habe, an Mitglieder der Scientology keine
Arbeitsvermittlungserlaubnisse
zu erteilen. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag,
abgelehnt, weil anderenfalls in unzulässiger Weise die
Hauptsache
vorweggenommen würde. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers. II. Die Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf die von ihm begehrte
einstweilige
Anordnung. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist zu Recht
gegen die Antragsgegnerin und nicht gegen den Bundesminister für
Arbeit
und Sozialordnung gerichtet. Die vom Antragsteller angegriffenen Zitate
sind als Äußerungen des Ministers in Ausübung seiner
Amtsgeschäfte
der Antragsgegnerin zuzurechnen. Der in Rede stehende Zeitungsartikel
vom
18. September 1994 läßt erkennen, daß die
streitgegenständlichen
Äußerungen im Zusammenhang mit einer Anweisung des Ministers
an die Bundesanstalt für Arbeit stehen, Mitglieder der Scientology
als unzuverlässig einzustufen und ihnen keine
Arbeitsvermittlungserlaubnisse
zu erteilen. Damit hat der Minister nicht als Privatmann sondern
hoheitlich
in seiner Funktion als Minister zu Fragen Stellung genommen, die zu
seinem
Geschäftsbereich gehören.
Ein Anspruch auf die erstinstanzlich begehrte, im vorliegenden
Beschwerdeverfahren
weiterverfolgte Unterlassungsanordnung steht dem Antragsteller nicht zu,
weil es an den Voraussetzungen fehlt, unter denen eine - mit dieser
Unterlassungsanordnung
begehrte - Vorwegnahme der Entscheidung zur Hauptsache in Betracht
kommt.
Art. 19 Abs. 4 GG fordert bei einem auf die Vorwegnahme der
Hauptsacheentscheidung
gerichteten Antrag die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes,
wenn anderenfalls schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare
Nachteile
entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die
Entscheidung
in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre.
Einem auf die Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung gerichteten
Antrag
nach § 123 VwGO ist jedoch nur dann stattzugeben, wenn das Abwarten
in der Hauptsache für den Antragsteller unzumutbar wäre,
insbesondere,
wenn das Begehren in der Hauptsache schon aufgrund der im Verfahren des
vorläufigen Rechtsschutzes anzustellenden, bloß summarischen
Prüfung des Sachverhalts erkennbar Erfolg haben wird.
Daran fehlt es hier. Es ist bei summarischer Prüfung nicht
erkennbar,
daß dem Unterlassungsbegehren des Antragstellers in einem
Verfahren
zur Hauptsache Erfolg beschieden sein wird bzw. berechtigt ist und dem
Antragsteller im übrigen ein Abwarten der Entscheidung in der
Hauptsache
zugemutet werden kann. Dabei kann dahinstehen, ob der Antragsteller eine Religions- oder
Weltanschauungsgemeinschaft
und damit Träger des Grundrechts aus Art. 4 GG ist.
Auch wenn man zugunsten des Antragstellers den Schutz des Art. 4 GG
unterstellen würde, bliebe der Antrag auf Erlaß einer
einstweiligen
Anordnung erfolglos. Nach der Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des
Bundesverfassungsgerichts
ist der mit einer Warnung durch die Bundesregierung verbundene Eingriff
in die Grundrechte Betroffener durch die Aufgabenstellung der
Bundesregierung
(Art. 65 GG) in Verbindung mit der Wahrnehmung von Schutzpflichten -
insbesondere
aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 6 Abs. 1 GG - legitimiert, wenn ein
hinreichend
gewichtiger, dem Inhalt und der Bedeutung des berührten Grundrechts
entsprechender Anlaß besteht und wenn die mitgeteilten Tatsachen
zutreffen und negative Werturteile nicht unsachlich sind, sondern auf
einem
im wesentlichen zutreffenden oder zumindest sachgerecht und vertretbar
gewürdigten Tatsachenkern beruhen.
Ein hinreichender Anhaltspunkt für eine Warnung besteht, wenn
eine
Gefahr für verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter
oder
zumindest der begründete Verdacht einer Gefahr vorliegt.
Entsprechend
dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bestimmt sich das von
der Bundesregierung einzuhaltende Maß der Sachaufklärung nach
dem Gewicht der Gefahr sowie nach dem Inhalt und der Funktion der
Warnung.
Je nach Art und Anlaß der Äußerung
(Informationsbroschüre,
Pressemitteilung, mündliches Statement) können unterschiedlich
hohe Anforderungen an die Formulierungsgenauigkeit zu stellen sein;
hiervon
unberührt bleibt das grundsätzliche Erfordernis, daß die
mitgeteilten Tatsachen zutreffen müssen und daß die
Bundesregierung
sich unsachlicher Abwertungen zu enthalten hat. Gemessen an diesen Grundsätzen sind hier mit Blick auf die von
der Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren vorgelegten und
detailliert
in bezug genommenen Selbstzeugnisse des Antragstellers, die Erkenntnisse
von staatlichen Stellen, die Aussagen von (ehemaligen)
Scientology-Anhängern
sowie Sekundärliteratur hinreichende Anhaltspunkte für eine
Warnung
vor dem Antragsteller gegeben.
unter ausführlicher Zitierung von Selbstzeugnissen der
Scientology-Organisationen
menschenverachtende Anschauungen und totalitäre Tendenzen bei
Scientology
beschrieben und festgestellt. Diese detaillierten Feststellungen und
Belege,
auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden kann.,
rechtfertigen
im Rahmen der hier gebotenen summarischen Prüfung ohne weiteres die
angegriffene Wertung.
der Anspruch zu entnehmen, "alle Lebensbereiche" zu
durchdringen
und zu kontrollieren. In der Scientology-Schrift "Die
Führungskanäle
der Scientology",
wird die eigene weltweite ("noch nie dagewesene") Expansion
und das "Klären dieses Planeten" beansprucht; die eigene
Organisationsstruktur wird als "globales Netzwerk", das
hierarchisch durchstrukturiert ist, beschrieben. Die internationale
Scientology bestehe "aus über 600 Dienstleistungs-Organisationen,
-Missionen und -Gruppen auf allen Kontinenten der Welt"; Scientology
sei die "schnellst wachsende Bewegung der Welt". In Verbindung
mit dem vom Bundesarbeitsgericht in seinem zitierten Beschluß
festgestellten und von der Antragsgegnerin kritisch gewürdigten
Aktivitäten des Antragstellers stellt der eigene Expansions- und
Durchdringungsanspruch von Scientology eine hinreichende tatsächliche
Grundlage für die angegriffene Qualifizierung als
"Riesenkrake" dar.
oder ihrer Behauptung, die Schweiz sei "das erste geklärte
Land auf dem Planeten",
erscheint diese Wertung nicht unsachlich.
Umgangssprachlich werden darüber hinaus jedoch auch massive
psychische
Beeinflussungen, wie sie dem Antragsteller vorgeworfen werden, als
"Gehirnwäsche"
bezeichnet. Prof. Dr. med. Hans Kind hat in dem von der Antragsgegnerin
zitierten Gutachten aus dem Jahre 1989,
dargelegt, daß die psychologische Vorgehensweise bei dem vom
Antragsteller
betriebenen "Auditing" und einer "Gehirnwäsche"
eine gewisse Analogie aufweise. Angestrebt werde nämlich in beiden
Fällen die Zerstörung bisheriger Werte und die Einimpfung
neuer
Überzeugungen durch ein Indoktrinationssystem. Kennzeichnend seien
das Aufsuchen von schwachen Stellen im System der bisherigen
Überzeugungen
und von "wunden Punkten" im Lebenslauf des einzelnen, die
Erweckung
von Schuldgefühlen, die Suggestion von Zwang zur Beteiligung und
endlich
das Beginnen mit kleinen, kaum abzuschlagenden Forderungen und der
Steigerung
der Ansprüche mit dem Grad der bereits vollzogenen Kollaboration.
In diesem Sinne spricht auch Dr. Keltsch anläßlich seiner
Anhörung
als Sachverständiger in der 13. Sitzung des Ausschusses für
Frauen
und Jugend des Deutschen Bundestages vom 9. Oktober 1991 davon,
daß
bei dem Antragsteller durch die Verwendung des sogenannten
"E-Meters"
(Hautwiderstandsmesser) im Rahmen des Auditing und durch den Einsatz von
Belohnung und Strafe ständig eine "effektive operante
Konditionierung"
der Mitglieder von Scientology stattfinde.
Dies läßt es als vertretbar erscheinen, in einem
umgangssprachlichen
Sinne von "Gehirnwäsche" zu sprechen.
Minister Blüm hat den vorgenannten Begriff in seinem Interview
für den Beitrag in der "Welt am Sonntag" vom 18.
September
1994 ohne nähere Erläuterung oder Konkretisierung gebraucht,
so daß er auch als "Geldwäsche" im Sinne des
Straftatbestandes
des § 261 StGB verstanden werden könnte. Im Rahmen des
vorliegenden
Verfahrens sind jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte ersichtlich,
die
bei summarischer Prüfung den Vorwurf einer Straftat nach § 261
StGB rechtfertigen. Minister Blüm hat indes in seiner Äußerung den
Antragsteller
bzw. deren Verantwortliche offensichtlich keiner Straftat
gemäß
§ 261 StGB bezichtigen wollen. Die Antragsgegnerin hat im
vorliegenden
Verfahren klargestellt, daß der Vorwurf der "verbrecherischen
Geldwäsche-Organisation" nicht auf den strafrechtlichen
Bedeutungsgehalt
des § 261 StGB gerichtet gewesen sei. Vielmehr habe ein
Gesamttatbestand
umschrieben werden sollen, der unter anderem durch folgende
Umstände
gekennzeichnet sei: Der Antragsteller veranlasse seine Mitglieder durch
Schaffung entsprechender psychischer Abhängigkeiten, ihr gesamtes
Vermögen und Einkommen einzusetzen, um völlig überteuerte
Kurse zu besuchen und Bücher zu bestellen. Mitglieder würden
gezwungen, sich in hohem Maße zu verschulden, und auch
veranlaßt,
die benötigten enormen Finanzmittel des Antragstellers durch
strafbare
Handlungen zu beschaffen. Die aus dem Verkauf von Schriften und Kursen
erzielten Einnahmen verwende der Antragsteller, um sich in Unternehmen
einzukaufen und diese von ihnen zu infiltrieren. In ähnlicher Weise
hat Minister Blüm in einem Ende November 1995 veröffentlichten
- vom Antragsteller selbst ins Verfahren eingeführten -
Spiegel-Interview
auf eine entsprechende Frage seine Formulierung "verbrecherische
Geldwäsche-Organisation"
gegenüber der Öffentlichkeit konkretisiert und
ausgeführt,
daß diese Sekte eine Krake sei, die Menschen ruiniere und gezielt
in die Verschuldung treibe, weil sie maßlos überteuerte
Psychokurse
absolvieren müßten. Bei einer summarischen
Gesamtwürdigung
ist daher davon auszugehen, daß Minister Blüm mit der in Rede
stehenden Interview-Wendung in plakativer Umgangssprache darstellen
wollte,
daß der Antragsteller seine erheblichen finanziellen Mittel auf
verwerfliche
Art und Weise erlangt, daß die Mittel zumindest zum Teil aus
Straftaten
herrühren, in Unternehmen investiert und diese Umstände
verschleiert
werden. Dieser Bedeutungsgehalt beruht bei summarischer Prüfung auf
einem
zumindest vertretbar gewürdigten Tatsachenkern. Der Antragsteller
hat im einzelnen unter Vorlage von (Werbe-)Broschüren verschiedener
Scientology-Zentralen dargelegt, daß zur Erlangung der sogenannten
Befreiungsstufen "Clear" bis "OT VII" umgerechnet
rund
190.000,-- DM aufzubringen sind, daß für die
Vorbereitungskurse
zur Freigabe der nächsten OT-Stufe ("OT IX") als
"Sonderangebot"
der "Sonderpreis" von umgerechnet rund 52.000 ,-- DM verlangt
wird und daß das sogenannte "E-Meter" mit einem
geschätzten
Materialwert von 500,-- DM für bis zu 9.000,-- DM verkauft
wird.
Wie dargelegt bestehen auch hinreichende tatsächliche
Anhaltspunkte,
daß bei der Vereinnahmung solcher Geldbeträge, denen keine
angemessenen
Gegenleistungen gegenüberstehen, psychische Abhängigkeiten
ausgenutzt
werden. Der Antragsteller hat weiter Belege dafür vorgelegt,
daß
Mitglieder der Scientology-Organisation auch Straftaten begehen, um der
Organisation entsprechende Geldmittel zukommen lassen zu
können.
Für eine Erfassung dieser Zusammenhänge dürfte der
Begriff
"Geldwäsche" zwar nur bedingt geeignet sein; seine
Verwendung
im dargelegten Kontext eines Interviews ist aber als schlagwortartige
Umschreibung
eines komplexen Sachverhalts - zumindest bis zum Abschluß eines
Hauptsacheverfahrens
- (noch) vertretbar. Insoweit ist im Hinblick auf den dargestellten
Tatsachenkern
ein Eingriff in Rechte des Antragstellers jedenfalls nicht so gewichtig,
daß ein Abwarten einer Hauptsacheentscheidung nicht zumutbar
wäre.
Aus dem vorstehend Ausgeführten folgt zugleich, daß eine
isolierte
Verwendung des Begriffs "Geldwäsche" im Sinne des
Straftatbestandes
des § 261 StGB bei summarischer Prüfung eine unzulässige
Schmähung des Antragstellers darstellen dürfte. Der Senat hat
jedoch vor dem Hintergrund der Erklärungen der Antragsgegnerin im
vorliegenden Verfahren sowie der Erläuterungen von Minister
Blüm
im erwähnten Spiegel-Interview keinen Anlaß für die
Annahme,
daß der umstrittene Begriff isoliert im Sinne eines
strafrechtlichen
Vorwurfs (§ 261 StGB) gebraucht werden soll. Da andererseits eine
Verwendung im aufgezeigten Kontext jedenfalls vorläufig hinnehmbar
erscheint, konnte der Antrag auf einstweilige Anordnung insgesamt keinen
Erfolg haben. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwerfestsetzung beruht auf § 20 Abs. 3, §13 Abs.
1 GKG. Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§152 Abs. 1 VWGO). Dr. Bertrams Koopmann Dr. Seibert |