Landgericht München I
Geschäftsnummer:
28 O 23490/92
Verkündet am 09.11.1993
nicht rechtskräftig
Landgericht München I
Im Namen des Volkes!
URTEIL
In dem Rechtsstreit
(Kläger)
gegen
Scientology Nymphenburg e.V., gesetzlich vertreten durch den
Vorstand Tina Eckstein, Nymphenburgerstraße 186, 80634 München,
- Beklagter -
Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte Wilhelm Blümel
und Kollegen,
Bayerstraße 13,
80634 München,
wegen Zahlung
erläßt das Landgericht München I, 28. Zivilkammer,
durch den Vorsitzenden
Richter am LG Heuberger sowie die Richter am LG Dr. Venzlaff
und Mühlberger aufgrund der mündlichen Verhandlung vom
30.07. 1993 folgendes
Endurteil:
I. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 28.934,38
(achtundzwanzigtausendneunhundertvierunddreißig 38/100) nebst 4% Zinsen
hieraus 29.09.1992 zu bezahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte 19/20, der Kläger
1/20 zu tragen.
III. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung
in Höhe von
DM 35.000,-- (fünfunddreißigtausend) vorläufig vollstreckbar,
für den
Beklagten ohne Sicherheitsleistung.
IV. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von
DM 500,-- (fünfhundert) abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
V. Der Kläger kann Sicherheit erbringen durch schriftliche unbedingte,
unbefristete, unwiderrufliche und selbstschuldnerische Bürgschaft der
Stadtsparkasse München.
Tatbestand:
Der Beklagte gehört zu der Organisation, die sich selbst "Scientology
Kirche" nennt. Auf die vom Beklagen vorgelegte Satzung (Anlage B
10, Bl. 222-240) wird Bezug genommen.
Der Kläger wurde am 21. 10. 1990 Vereinsmitglied beim Beklagten.
Unstreitig (BL. 8, Bl 124) hatte der Kläger das Buch "Dianetik" des
Scientology-Gründers L. Ron Hubbard gelesen und suchte den
Beklagten auf, um im Anschluß die Ausführungen Hubbards
möglichst
bald den Zustand "clear" zu erreichen (Bl. 9, Bl. 127).
Der Kläger trägt vor, der Scientology-Konzern sei keine Kirche,
sondern in Wirklichkeit ein Wettbewerber am Psychomarkt (Bl. 5). Der
Kern der Aktivität des Scientology-Konzerns sei der Verkauf
sogenannter geistiger Beratung in Form von Kursen. Meist würden sie zu
Blöcken zu 12,5 Stunden an rund DM 2.500,-- angeboten. Ferner
gebe es zeitlich unbefristete Kurse sowie dazugehöriges Material in
Form von Büchern, Kassetten, und eine Art Lügendetektor und
ähnliches, allles zu festgelegten Preisen (Bl. 6). Die Geldleistungen des
Kunden würden als Spenden bezeichnet, um die Gegenseitigkeit dieser
Beratungsverträge zu unterlaufen. Den Verkäufern des Konzerns
würden in eigenen Kursen aggressive Verkauftricks beigebracht (Bl.
6-7). Auf den Kläger sei der Verkäufer Rainer Volker angesetzt
worden. Die systematische Verkäuferfunktion des Herrn Rainer Volker sei
der klägerischen Kanzlei aus einer Mehrzahl gleichartiger Fälle
bekannt. Es därfe als sicher unterstellt werden, daß Herr Rainer Volker
für alle Verkaufsabschlüsse auch Provisionen erhalten habe (Bl. 13,
409).
Der Kläger trägt vor, ihm sei zugesichert worden, der Gesamtaufwand
bis zur Stufe "clear" werde weniger als 100.000,-- DM betragen (Bl. 9,
412). In sechs Wochen habe der Kläger für "geistliche Beratung"
78.000,--DM aufgewendet Der Aufwand für weitere Beratungen sei
ihm zu hoch erschienen. Deshalb habe ihn der Verkäufer des Beklagten,
Rainer Volker, in einem lange dauernden Verkaufsgespräch zum
Kauf weiterer "geistlicher Beratungen" bewogen (Bl. 9). Beim ersten
Verkaufsgespräch habe er nach den Konditionen zum "clear" gefragt,
darauf habe er zunächst keine konkrete Antwort erhalten, sondern sei
gedrängt worden, den "Reinigungskurs" und "Auditing" zu kaufen (Bl.
410). Er habe Erfolgsberichte nach jeder Beratungsetappe unterschrieben,
weil dies der Beklagte von ihm mit dem Hinweis verlangt
habe, ohne solche Erfolgsberichte könne er weitere Beratungsetappen
nicht in Anspruch nehmen (Bl. 412). Insgesamt habe der Kläger
beim Beklagten und bei der übergeordneten Scientology-Kirche Bayern
e.V. (SKB) für Kurse und Materialien 176.376,81 DM bezahlt (Bl.
14). Effektiv habe er beim Beklagten 128.934,37 DM bezahlt (Bl. 18).
Davon zieht er für Beratung zum "clear" 99.999,--DM ab und klagt die
Differenz von 28.934,38 DM ein. Ferner verlangt er ein Darlehen in
Höhe von 1.500,--DM zurück, das am 16. 04. 1992 gewährt worden
sein soll, und Darlehenszinsen hieraus in Höhe von 85,83 DM (Bl. 19).
Der Kläger verlangt 10,5% Zinsen aus dem Hauptbetrag mit der
Begründung,
daß er in gleicher Höhe anderweitige Zinsverpflichtungen
habe (Bl. 24).
Der Kläger beantragt (Bl. 2, 418, 430):
Der Beklagte zahlt an den Kläger DM 30.519,91 DM zzgl. 10,4 % Zinsen
p.a. aus DM28.934,03 vom 29.09.1992 - 30.11. 1992 sowie aus
DM 29.019,71 ab 01.12. 1992 und weitere 12,5 % Zinsen p.a. aus DM
1.500,-- seit 16.04.1992.
Vorsorglich für den Fall des Unterliegens wird dem Kläger nachgelassen,
die vorläufige Vollstreckbarkeit durch unbefristete, unwiderrufliche
Vollmacht der Stadtsparkasse München abzuwenden.
Der Beklagte beantragt (Bl. 112, 418, 430)
Klageabweisung.
Der Beklagte verteidigt sich wie folgt:
- Die Zuwendungen des Klägers an den Beklagten seien Spenden
an eine Kirche und unter keinem Rechtsgrund zurückzufordern.
- Der Kurs für profimäßiges Verkaufen werde von der
Scientology-Mission Nymphenburg nicht durchgeführt.
Das vorgelegte Material sei
völlig veraltet. Soweit dem Beklagten bekannt, hätten an diesem Kurs
insgesamt und bundesweit keine 100 Personen teilgenommen.
Gedacht gewesen sei er von Anfang an nur für die hauptamtlich tätigen
Personalmitglieder. Mit der religiösen Lehren von Scientology habe
dieser Kurs ebensoviel oder ebensowenig zu tun wie die Bergpredigt
bei den christlichen Kirchen mit deren jährlichen Haushaltsberichten.
- Aufgrund der Lektüre des "Dianetik"-Buches sei der Kläger in die
Mission Nymphenburg gekommen und habe von sich aus sofort den
Befreiungszustand "clear" erreichen wollen. Die Initiative zu diesem
Ansinnen sei ausschließlich vom Kläger ausgegangen. Er habe "clear"
werden wollen, und die Mission Nymphenburg habe nun zusehen sollen,
wie sie dies möglichst schnell ermöglichen könne. Der Rest des
klägerischen Sachvortrags sei unrichtig
(Bl. 124).
- Mit dem Zeugen Rainer habe der Kläger nur während der ersten
Tage seiner Mitgliedschaft zu tun gehabt. Der Zeuge Rainer habe mit
dem Kläger lediglich den OCA-Test ausgewertet und ihn für das erste
Auditing, das Buch-1-Auditing eingeschrieben. Dies sei alles in den
ersten Tagen der Mitgliedschaft des Klägers geschehen. Später habe
der Kläger mit dem Zeugen Rainer überhaupt keinen Kontakt mehr
gehabt (Bl. 128).
- Auch sei es nicht richtig, daß der Kläger in sechs Wochen bereits
rund 78.000.-- DM aufgewendet habe. Der Betrag belaufe sich genau
auf 66.748,38 DM (Bl. 128).
Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beschluß vom 20. 04. 1993
(Bl. 418) durch Vernehmung des Zeugen Rainer Volker. Auf den Inhalt
des Beiweisbeschlusses und den Inhalt der Zeugenaussage (Bl.
427/429) wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
A.
Gesetzt den Fall, daß die Absprachen, die die Parteien getroffen haben,
rechtswirksam sind, haftet der Beklagte auf Schadenersatz aus
Verschulden bei Vertragsschluß. Unstreitig hat nämlich der
Kläger
gegenüber dem Beklagten von vorherein auf das Buch "Dianetik" des
Scientology-Gründers L. Ron Hubbard verwiesen. Die Schiften des
Herrn Hubbard werden auch von dem Beklagten als verbindlich
anerkannt (2 Abs. 3 und 8 Abs. 1 der Satzung, Bl. 223 d.A.). Der Kläger
hat die Seiten 18/28 dieses Buches vorgelegt (Anlage K 2, Bl. 28/29
d.A.) Herr Hubbard hat hier u.a. ausgeführt:
Bei all ihrer Einfachheit ist und bewirkt die Dianetik folgendes:
- Sie ist eine systematisch aufgebaute Wissenschaft vom Denken,
gegründet auf eindeutige Axiome, d.h. auf Aussagen über
Naturgesetze im gleichen Rang wie jene der Naturwissenschaften.
- Sie umfaßt eine therapeutische Technik, mit der alle nichtorganischen
Geistesstörungen und alle organischen psychosomatischen
Leiden mit der Gewissheit völliger Heilung in beliebigen
Fällen behandelt werden können.
- Sie ermöglicht dem Menschen eine Ebene der Fähigkeit und
Vernunft, die ihn weit über den gegenwärtigen Durschnitt hebt,
und sie zerstört nicht seine Lebenskraft und Persönlichkeit,
sondern erhöht sie.
- Die Dianetik verleiht vollständige Einsicht in alle Möglichkeiten
des menschlichen Geistes und erweist, daß diese wesentlich
umfangreicher sind als früher angenommen.
- In der Dianetik wurde die Grundstruktur des Menschen entdeckt,
nicht nur vermutet oder angenommen. Das wird dadurch
erhärtet, daß diese Grundnatur bei jedem einzelnen vollständig
zur Wirkung gebracht werden kann. Und diese Grundnatur
erweist sich als gut.
- Die einzige Ursache geistiger Störungen ist von der Dianetik
unter strengen Versuchbedingungen experimentell entdeckt und
nachgewiesen worden.
- Die Dianetik hat Umfang, Speicherkapazität und
Erinnerungsfähigkeit des menschlichen Gedächtnisses
endgültig bestimmt.
- Die Dianetik hat die vollen Aufzeichnungsmöglichkeiten des Geistes
entdeckt, mit dem Ergebnis, daß sie sich von früheren Angaben
sehr unterscheiden.
- Die Dianetik legt die Theorie der nicht von Keimen verursachten
Krankheit vor und ergänzt damit die Biochemie und Pasteurs
Werk über die Verursachung von Krankheiten durch Krankheitserreger,
so daß das ganze Gebiet abgedeckt ist.
- Mit der Dianetik endet die "Notwendigkeit", das Gehirn durch
Schocks oder chirurgische Eingriffe zu zerstören, um bei
geisteskranken Patienten "Fügsamkeit" und "Anpassung" zu erreichen.
- Die Dianetik liefert eine brauchbare Erklärung für die physiologischen
Wirkungen von Drogen und endokrinen Substanzen und
beantwortet viele Probleme der Endokrinologie.
- Verschiedene Bereiche der Erziehung, Soziologie, Politik, des
Militärwesens und anderer Wissensgebiete über den Menschen
werden durch die Dianetik bereichert.
- Das Gebiet der Zellenlehre wird ebenso wie noch andere
Forschungsgebiete durch die Dianetik gefördert.
Im Kapitel "Der Clear" beschreibt Herr Hubbard den mit diesem
Ausdruck bezeichneten Zustand wie folgt:
Man kann einen Clear auf alle Psychosen, Neurosen, Zwänge
und Verdrängungen (alles Aberrationen) testen und ihn auf alle
sebsterzeugten Krankheiten, die man psychosomatische Leiden
nennt, prüfen. Das Ergebnis wird immer sein, daß der Clear von
solchen Störungen oder Aberrationen völlig frei ist. Tests seiner
Intelligenz ergeben einen Intelligenzquotienten hoch über dem
heutigen Durchschnitt. Seine Handlungen zeigen, daß er das
Dasein voller Tatkraft meistert und Befriedigung aus seinem Leben
zieht.
Es werden hier nicht "esoterische" Verlautbarungen zu Papier
gebracht, deren wesentliches Kennzeichen im Normalfall die
Nichtnachprüfbarkeit ist, Herr Hubbard stellt Tatsachenbehauptungen in den
Raum, die nach seiner eigenen ausdrücklichen Erklärung
wissenschaftlich sein sollen, und zwar in erster Linie auf dem Gebiet der
Medizin und hier wieder insbesondere auf dem Gebiet der Psychiatrie
und Psychotherapie.
Im Gegensatz hierzu trägt der Beklagte folgendes vor (Bl. 129):
Ohne den Glauben an die Lehre von Scientology bewirkt das
Reinigungsprogramm überhaupt nichts. Es werden damit
insbesondere keine objektiven naturwissenschaftlichen Ansprüche
erhoben. Die zu gesprochenen Wirkungen wurzeln ausschließlich
im Glauben von Scientology, ähnlich den Wundern im
christlichen Glauben. Aus diesem Grund stellen seine Durchführung
und auch seine Darstellung in Publikationen keinen Verstoß
gegen das Heilpraktiker- oder das Heilmittelwerbegesetz
dar.
Selbstverständlich ist es zulässig, daß sich eine
der Scientology-Kirchen
in der hier dargelegten Weise von den Behauptungen des
Kirchengründers L. Ron Hubbard absetzt. Dann aber entsteht für diese
Kirche gegenüber jedem Neubewerber, der unter Berufung auf die
Schriften des Herrn Hubbard bei ihr erscheint, die Pflicht zur
entsprechenden Belehrung, um Irrtümer von vorherein auszuschließen.
Der Bewerber, der das Buch "Dianetik" von L. Ron Hubbard gelesen hat
und die dort aufgestellten Behauptungen erst einmal glaubt, ist
geneigt, von einer der Kirchen, die sich auf L. Ron Hubbard berufen,
entsprechende Leistungen zu erwarten. Wenn die jeweilige Kirche
entweder aus grundsätzlichen Erwägungen oder weil sie von der
personellen Ausstattungen her gar nicht dazu in der Lage ist, diese
Erwartungen nicht erfüllen will, muß sie von vorherein auf diesen
Umstand hinweisen, auch auf die Gefahr hin, daß der Bewerber sich
enttäuscht wieder abwendet. Keinesfalls aber geht es an, den Bewerber
in seinem erkannten Irrtum zu belassen und ihn zum Besuch kostspieliger
Kurse zu bewegen, deren Erfolg nach dem Selbstverständnis
des Beklagten keinesfalls auf dem Gebiet der Medizin liegt, sondern
auf einem nicht weiter nachprüfbaren Gebiet, das man als
Religion oder Weltanschauung bezeichnen darf.
Hätte der Beklagte den Kläger von vorherein hinreichend deutlich
darauf hingewiesen, daß der Beklagte entweder nicht willens oder nicht
in der Lage ist, die Versprechungen des Kirchengründers L. Ron Hubbard
zu erfüllen, hätte der Kläger mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit sein Geld nicht dem Beklagten anvertraut. In dieser
Höhe hat er einen Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten.
Es kann dahingestellt bleiben, inwieweit nach den Grundsätzen, die
die Rechtsprechung im Rahmen des Paragraph 166 BGB entwickelt hat, auf
seiten der beteiligten Scientology-Kirchen eine Gesamtschuldnerschaft
besteht.
B.
In erste Linie steht dem Kläger der Zahlungsanspruch aus
Paragraphen 817,
138 Abs. 1 BGB zu. Der Beklagte selbst wirft diesen Gesichtspunkt
auf, indem er Entscheidungen vorlegt, in denen einschlägige Probleme
erörtert worden sind.
- Es ist davon auzugehen, daß der Beklagte grundsätzlich vom
Schutzbereich des Art. 4 GG erfaßt wird. Religion ist nach dem liberalen
Grundrechtsverständnis des Grundgesetzes alles, was sich als
Religion bezeichnet, und wenn nicht von vorherein und offensichtlich
diese Bezeichnung mißbräuchlich ist, ebenso wie Kunst
grundsätzlich
alles ist, was sich als Kunst ausgibt. Das hat nichts damit zu tun, daß
sachverständige Personen, vielleicht aus wohlerwogenen Gründen,
nicht allen Phänomenen die Bezeichnung "Religion" oder "Kunst"
zukommen lassen, obwohl sie den Schutz der liberalen Definition des
Grundgesetzes genießen. Art. 4 GG schützt sogar Kulthandlungen auf
weltanschaulicher Grundlage; der Begriff "Religion" muß gar nicht
verwendet werden.
Es ist offensichtlich, daß der Beklagte sich als Kirche im Sinne des Art.
4 GG bezeichnet (Anlage B 1, Bl. 134 ff, "Die Scientology-Kirche in
Deutschland"), und es ist ebenso offensichtlich, daß diese Bezeichnung
nicht von vornherein als mißbräuchlich angesehen werden
kann. Insoweit ist auch den Gutachten Koopmann (Anlage B 2, Bl.
150 ff d.A.) und Kopp (Anlage B 4, Bl. 138 ff d.A.) ohne weiteres zu
folgen. An dieser Klassifikation als Glaubensgemeinschaft, die durch
Art. 4 GG geschützt wird, ändert sich auch nichts dadurch, daß
Mitglieder der Glaubensgemeinschaft werbend auftreten und Bücher
verkaufen. Beides läßt sich als
von der Glaubenslehre gedeckt interpretieren.
Es ist sogar, folgt man dem vom Kläger vorgelegten Material
(Anlagen K 4 bis K 7, Bl. 31/47 d.A.), einer der wichtigsten Kernbereiche
dieser Religion. Da die Inhalte von Religionen prinzipiell - vom
Grundgesetz her gesehen - beliebig sein können, ist es auch zulässig,
das Verkaufen von Büchern zum wesentlichen Inhalt einer Religion
zu machen. Erst bei ganz eindeutigen Befunden ließe sich sagen,
daß gewerbliche Betätigung vorliegt. Das würde
voraussetzen, daß
der im liberalen Sinn gemeinte religiöse Bereich völlig ausgeklammert
bliebe. Das ist hier offensichtlich nicht der Fall. Folgerichtig zieht
Kopp in seinem Gutachten (Anlage B 3, Bl. 180 ff d.A.) die Grenzen
des Art. 4 GG weit und läßt das Gewerberecht
im Kollisionsfall nur mit
erheblichen Einschränkungen zur Anwendung kommen, und ebenso
folgerichtig hat das Amtsgericht Stuttgart in den vom Beklagten
erwähnten Ordnungswidrigkeitsverfahren (Anlage B 5 und B 6, Bl. 190 ff
d.A.) die Beweislast für (rein) gewerbliche Tätigkeit
außerhalb des
Schutzbereichs des Art. 4 GG den staatlichen Behörden auferlegt und
im Zweifelsfall zugunsten des Betroffenen entschieden. Vertretbar ist
auch die Entscheidung des Landgerichts Hamburg (Anlage B 7, Bl.
197 ff), das die Eintragung der Scientology-Kirche in das Vereinsregister
angeordnet hat, mit der Begründung, daß etwas anderes gelten
könnte, wenn anderweitig hinreichender Anlaß zur Annahme einer
primär wirtschaftlichen Tätigkeit bestünde; gerade das aber hat
das Landgericht verneint auf Grund des ihm vorliegenden Materials; es sei
dahingestellt, ob dieses Material im Hinblick auf jüngere
Veröffentlichungen über die Scientology-Kirche vollständig
war oder nicht.
Nicht zu folgen ist der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hamburg
(Anlage K 8, Bl. 48 ff d.A.). Wenn die Gewerbsmäßigkeit der
Scientology-Kirchen nach dem Willen des Gründers der Kirchen Teil
der Religion diese Kirchen ist, dann fällt die Gewerbsmäßigkeit
in den
Schutzbereich des Art. 4 GG, und denkbaren Auswüchsen eines solchen
Tuns ist allenfalls über die immanenten Grundrechtsschranken
beizukommen. Folgerichtig sind daher auch die Entscheidungen des
Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (Anlage B 13, Bl. 249). Auch
dem Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt ist zu folgen (Anlage B
14, Bl. 251 ff), das im Widerstreit zwischen dem Recht der Scientology-Kirche
auf ungestörte Religionsausübung und dem Interesse der
Verwaltungsbehörden an Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen
den Schutzbereich der Scientology-Kirche vom Grundgesetz her weit
gezogen hat.
In dem Kreis der Entscheidungen, auf die der Beklagte sich mit Recht
berufen kann, gehört endlich auch die Einstellungsverfügung der
Staatsanwalt Frankfurt (Anlage B 27, Bl. 358 ff). Zwar hat die Staats-
anwaltschaft folgendes ausgeführt (Bl. 360):
Jedenfalls - und dies gilt für alle hier einschlägigen
Strafvorschriften
(auch möglicher Betrug) - ist den Verantwortlichen der
Scientology bei ihren Anpreisungen und Handlungen der
erforderliche Vorsatz nicht nachzuweisen im Hinblick auf
Behauptung unwahrer oder falscher Tatsachen.
Die Wirkungsweise der offerierten Reinigungverfahren bzw.
die behauptete Immunisierungsmöglichkeit vor Radioaktivität
hat - wie schon dargelegt - ihren Ursprung in der religiösen
Anschauung, die von den Mitgliedern der Scientology ernst
genommen wird.
In ihrer mö,glicherweise abergläubischen Verblendung
sind sie von der Möglichkeit der Immunisierung bzw. Reinigung
überzeugt mit der Folge, daß ihnen im Rechtssinne ein Irrtum
über die Unwahrheit der gemachten Tatsachen, mithin ein den
Vorsatz ausschließender sogenannter Tatbestandsirrtum
zugebilligt werden muß.
Aber auch die Staatsanwaltschaft Frankfurt läßt erkennen,
daß sie den
weitgezogenen Schutzbereich des Art. 4 GG respektiert, wenn sie
auch von einer "möglicherweise abergläubischen Verblendung" der
Mitglieder der Scientology-Kirchen redet. Entscheidungstragend war
hier die fehlende Überzeugung der Staatsanwaltschaft davon, daß die
Verantwortlichen der Scientology-Kirche mit Betrugsvorsatz gehandelt
hätten. Im hier zu entscheidenden Fall ist nur die Feststellung von
Interesse, daß auch "möglicherweise abergläubischen
Verblendung"
den Schutz des Art. 4 GG genießt.
- Art. 4 GG sieht keine ausdrückliche Einschränkungsmöglichkeit
der in ihm verbürgten Rechte vor. Dennoch ist auch die Glaubens-,
Gewissens-, Bekenntnis- und Religionsausübungfreiheit nicht
schrankenlos. Sie findet wie alle sonstigen im Wortlaut uneingeschränkten
Grundrechte ihre Grenzen an kollidierenden Grundrechten Dritter, z.B.
aus Art. 1 Satz 1 GG. Sobald eine Glaubensgemeinschaft die so gezogenen
Grenzen des Art. 4 GG überschreitet, und dabei etwa, was darzulegen
ist, Art. 1 GG verletzt, handelt sie automatisch sittenwidrig im
Sinne des Paragraph 138 Abs. 1 GG.
Das trifft auf den Beklagten zu.
Eine Glaubensgemeinschaft, die die Gläubigen dazu animiert, der
Organisation ihre gesamten äußeren (insbesondere finanziellen)
Umstände, ihre gesamte Biographie und ihr gesamtes Seelenleben
(insbesondere die schwachen Seiten des Seelenlebens) zu offenbaren, und
diese Offenbarung unterstützt wird durch eine Art Lügendetektor
(E-Meter, nach herrschender Rechtsprechung verstößt allein die
Verwendung des Lügendetektors gegen die Menschenwürde und ist auch
bei Zustimmung des Betroffenen unzulässig), und wenn dann über
diese Offenbarungen Dossiers angefertigt werden, dann besteht für
die Glaubensgemeinschaft andererseits eine besonders ausgeprägte
Pflicht, den Gläubigen, der sich ihr in der beschriebenen Weise total
anvertraut hat, und der ihren Verheißungen Glauben schenkt, nicht zu
bedrängen, er solle, um höhere Grade der Vollkommenheit zu
erreichen, sich von namhaften Geldbeträgen trennen und diese der
Glaubensgemeinschaft zuwenden.
Dabei ist es völlig gleichgültig, in welchem juristischen Kleid diese
Zustimmung erfolgt, ob als Leistung im Gegenseitigkeitsverhältnis oder
als Spende oder in einer sonstigen Form. Der ausschlaggebende
Punkt ist das systematische Bedrängen des Gläubigen in Verbindung
mit den sonstigen hier beschriebenen Maßnahmen. Abgestellt wird
dabei nicht auf den konkreten Fall, sondern auf das Vorgehen der
Scientology-Kirche, wie es aus den von den Parteien vorgelegten
schriftlichen Unterlagen hervorgeht:
- Dieser Aspekt ist in den vom Beklagten vorgelegten Urteil des
Landgerichts Frankfurt (Az. 2/4 O 471/88, Anlage B 9, Bl. 210 ff)
überhaupt nicht erörtert worden. Zwar hat dort der Kläger
folgendes vorgetragen (Bl. 213):
Der Kläger behauptet , er sei unter psychischen Druck gesetzt
worden, damit er den Auditingkurs belege. So sei ihm erklärt
worden, nur durch Auditing könne er von seinen seelischen Leiden
den befreit werden: wenn ihm sein Leben etwas wert sei, müsse
er den Kurs belegen. Er sei täglich von Mitarbeitern des Beklagten
- was unstreitig blieb - angerufen und "nachgerade gedrängt"
worden. Die dem Beklagten aus vorangegangenen Kursen
bekannten "Schwachpunkte des Kläger" habe dieser bewußt
ausgenutzt. Wegen des ständigen Druckes und seiner psychischen
Abhängigkeit von dem Beklagten - den Kredit aufgenommen.
Was er jeweils vor Beginn der Kurse im einzelnen
unterschrieben habe, wisse er überhaupt nicht.
Der dortige Beklagte hat laut Urteil (Bl.214) behauptet, weder habe
sich der dortige Kläger in psychischer Abhängigkeit von ihr befunden,
noch sei ihm jeweils mit irgendwas gedroht worden. Folgt man der
Sachverhaltsdarstellung im Tatbestand des erwähnten Urteils, dann
war es unstreitig, daß der dortige Kläger von der dortigen Beklagten
"bedrängt" worden ist, die von der dortigen Beklagten angebotenen
Kurse zu besuchen und zu bezahlen. Das Landgericht Frankfurt hat
darin kein Rechtsproblem gesehen. Dem ist nicht zu folgen.
- Die Entscheidung des Landgerichts München I vom 07.01. 1983 (6
O 6895/82) geht auf die hier angesprochenen Aspekte nicht ein.
- Der Beklagte selbst räumt ein, daß die Gläubigen, die sich
ihr anvertrauten, im Rahmen des Auditings dazu gebracht werden, ihre
Biographie und ihr Seelenleben zu offenbaren, daß hierüber Akten
angelegt werden, und daß die Richtigkeit der Aussagen des Gläubigen
anhand eines Lügendetektors überprüft wird. Der Beklagte legt
hierzu selbst folgenden Text vor (Anlage B 21, Bl. 333):
Über die geistliche Beratung werden schriftliche Aufzeichnungen
angefertigt. Desgleichen werden Personal -, Ethik- und
Studentenakten angelegt. Diese Unterlagen sind auf Grund
innerkirchlicher Vereinbarungen, welche sich der Student oder
Preclear durch seine Unterschrift nochmals ausdrücklich
unterwirft, Eigentum der Mutterkirche. Sie sind nur autorisierten
Personen zugänglich, die durch Kirchenrichtlinien dazu ermächtigt
sind.
Das E-Meter wird im Auditing vom Auditor verwendet, der in
dessen Bedienung ausgebildet worden ist. Es wird nicht vom
Preclear verwendet und vom Preclear wird nicht verlangt, daß er
eines besitzt. Vielmehr ist es so, daß die Kirche nur Geistlichen
ein E-Meter anvertraut. Das E-Meter ist ein religiöses Hilfsgerät,
das dazu bestimmt ist, dem Auditor zu helfen, den Preclear
zu auditieren. Aus sich heraus bewirkt es nichts; man
könnte es mit einem Vergrößerungsglas vergleichen, das dem
Betrachter ermöglicht, geistige Vorgänge zu beobachten, die
ihm ansonsten entgehen würden.
- Ein Indiz dafür, welchem Druck die Gläubigen generell von seiten
der Scientology-Kirchen ausgesetzt sind, ist die Regelung der teilweisen
Rückerstattung bereits bezahlter Beträge. Hierzu legt der
Beklagte folgenden Text vor (Bl. 335):
Gemäß dieser Richtlinie wird eine solche Rückerstattung
der Beiträge einem Preclear oder Studenten gewährt, der
- nicht länger mit dem Glaubensbekenntnis und den Zielen der
Scientology-Kirche übereinstimmt;
- einen schriftlichen Antrag auf Rückerstattung nicht später als
90 Tage nach dem Ende seiner letzten Auditingsitzung bzw.
des letzten Seminarbesuches eingereicht hat. Dies gilt für die
bereits in Anspruch genommenen kirchlichen Dienste. Ausgenommen
von dieser 90-Tage-Frist sind solche Beiträge für
kirchliche Dienste, die noch nicht in Anspruch genommen
wurden;
- eine verbindliche Erklärung abgibt, die die Kirche und ihre
Mitarbeiter von weiteren Ansprüchen freistellt;
- zustimmt, sich an die Verwaltungsverfahrensweise des
Anspruchsüberprüfungsausschusses zu halten;
- anerkennt, daß maximal bis zu 12% des gezahlten Beitrages
als Bearbeitungsgebühr abgerechnet werden können.
Das Rückzahlungsverfahren erfordert das persönliche
Durchlaufen eines mehrere Schritte umfassenden Laufzettels in
den Kirchenräumlichkeiten. Die Rückerstattung hat den
Ausschluß aus der Kirche zu Folge.
Es liegt auf der Hand, daß ein Gläubiger, der sein Schicksal auf die
beschriebene Weise bereits weitgehend in die Hand der Scientology-Kirche
gelegt hat, möglicherweise längere Zeit davor zurückschreckt,
die demütigende Prozedur des "persönlichen Durchlaufens eines
mehrere Schritte umfassenden Laufzettels in den Kirchenräumlichkeiten"
auf sich zu nehmen.
- Der Beklagte legt die Urteile erster und zweiter Instanz einem Verfahren
vor, das vor den Münchner Gerichten gelaufen ist (31 S
282/92). Die Entscheidung des Landgerichts ist weniger überzeugend.
Es wird dort berichtet, daß die Münchner Staatsanwaltschaft zu
dem Ergebnis gekommen sei, beim System Scientology handele es
sich um eine "Ideologie mit ausgeprägten totalitären
Grundprinzipien".
Totalitäre Grundprinzipien wird man ohne weiteres als sittenwidrig
und gegen die Menschenwürde verstoßend ansehen dürfen. Das
Landgericht München I hat darauf verzichtet, sich hierzu eine eigene
Überzeugung zu bilden, und führt dann aus: "Aus der Lehre des
Beklagten läßt sich eine Sittenwidrigkeit
schon deshalb nicht herzuleiten,
weil sie unter dem Privileg der Religionsfreiheit steht." Diese Rechtsansicht
ist unzutreffend, weil sie die sogenannten immanenten
Schranken aller Grundrechte außer acht läßt.
Das Berufungsgericht
vermißt konkreten Vortrag über den behaupteten psychologischen
Druck und führt aus, nähere Angaben zu dem "Drängen" habe die
Klägerin nicht gebracht. Die
Klägerin hat aber, das geht aus dem Urteil hervor, vorgetragen, sie sei
"bedrängt" worden. Das "Bedrängen" hat die Klägerin
näher wie folgt
beschrieben: Sie sei dazu animiert worden, bei Bekannten und Banken
Darlehen aufzunehmen. Die Frage, ob das Landgericht München
I hier die Substantiierungspflicht überspannt hat, ist nicht weiter zu
erörtern, da bereits, wie dargelegt, der grundlegende rechtliche
Ansatzpunkt, nämlich die Behauptung völliger Schrankenlosigkeit der
Religionsfreiheit, nicht übernommen werden kann.
- Die Urteile des Landgerichts Frankfurt 2/4 O 76/92 (Anlage B 31, Bl.
378 ff), des Amtsgerichts Stuttgart 13 C 3687/76 (Anlage B 32, Bl. 378
ff) und der Beschluß der 32. Zivilkammer des Landgerichts München I
(Anlage B 29, Bl. 386 ff) sehen die hier angesprochenen Aspekte gar
nicht und sind daher auch nicht weiter von Interesse. Dasselbe gilt für
das Urteil des Landgerichts Stuttgart 27 O 417/92. Atypisch und nicht
weiter verwertbar ist schließlich der Fall,
der der Einstellungsverfügung
der Staatsanwaltschaft Frankfurt vom 07. 11. 1991 zugrunde gelegen
hat (Anlage B 35, Bl. 404).
- Das vom Beklagten nachträglich vorgelegte
Urteil des Landgerichts München
I 23 O 4805/92 vom 30.03. 1993 bietet keinen Anlaß, die Verhandlung
wieder aufzunehmen. Zur Problematik des Paragraph 138 Abs. 1 BGB führt die
23. Zivilkammer nur aus, für die Annahme, daß insgesamt das Verhalten
ten des Beklagten als sittenwidrig im Sinne von Paragraph 138 BGB einzustufen
wäre, ergäben sich keine Anhaltspunkte und sei auch nichts
Konkretes vom Kläger vorgetragen worden.
Allein die Tatsache, daß die
für den Beklagten auftretenden Personen von der Kreditfinanzierung
gewußt und diese möglicherweise auch gefördert hätten,
sei insoweit
nicht ausreichend. Letzterem ist sicher zuzustimmen. Wenn die 23.
Zivilkammer das Gesamtsystem der Beklagten nicht gewertet hat, so
mag das daran liegen, daß dort, anders als im vorliegenden Prozeß,
zu wenig vorgetragen worden ist.
Der Empfang des Darlehens ist bestritten worden (Bl. 130); der Kläger
hat hierzu noch ein unklares Schreiben des Beklagten vom 30. 10.
1992 vorgelegt (Bl. 413, 417), aber keinen Beweis angeboten. Bezüglich
des Darlehens und der Zinsen hieraus hat die Klage keinen Erfolg.
Der Zinsanspruch folgt aus 284 Abs. 1 Satz 1, 288 Abs. 1 Satz 1
BGB. Der weitergehende Zinsanspruch ist bestritten worden (Bl. 133).
Weitere Nachweise hat der Kläger nicht vorgelegt.
Kosten, vorläufiger Vollstreckbarkeit: 91, 92 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711,
709 Satz 1 ZPO
Heuberger Vors. Richter am LG |
Dr. Venzlaff Richter am LG |
Mühlberger Richter am LG |
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