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Prof. Sumaya Farhat-Naser
aus Palästina leitete viele Jahre lang das Frauenzentrum in Ost-Jerusalem,
wo israelische und palästinensische Frauen für Versöhnung
arbeiten. Auf dem Friedensratschlag im Dezember in Kassel sprach sie über
ihre tägliche Lebenssituation. Wir bringen Auszüge.
Friedensarbeit ist viel schwerer als Krieg. Niemand will wahrhaben, dass
Friedensarbeit wie eine Mosaikarbeit ist, deren Erfolg vielleicht erst in
20 bis 30 Jahren sichtbar werden. Als der Oslo-"Friedensprozess" begann,
hieß es: "Los, ihr Leute an der Basis, fangt an zusammenzuarbeiten
und gemeinsame Projekte durchzuführen."
Und was ist in Wirklichkeit geschehen? Statt Landrückgabe ist der Landraub
weitergegangen, statt dass die Besatzung aufgehört hätte, sind
wir heute besetzt wie nie zuvor. Die Westbank ist in 48 voneinander getrennte
Einheiten mit 291 Checkpoints unterteilt. Mein eigener Bewegungsraum in Ramallah
erstreckt sich auf gerade einmal ein bis zwei Kilometer, dann beginnt eine
sogenannte Pufferstraße, auf der man sich nur zu Fuß bewegen
darf. Alle Sachen müssen in der Hand oder auf dem Rücken getragen
werden, selbst die Kranken müssen getragen werden. Der Transport per
Esel hat wieder Hochkonjunktur. Und bei all dem kann man noch von Glück
sagen, wenn die Soldaten nicht schießen. Viele Menschen sind zutiefst
enttäuscht, ja, sogar so verzweifelt, dass sie nicht mehr an das Wort
Frieden glauben. Sobald aber der Glaube an den Frieden nicht mehr da ist,
stoppen auch jegliche Kontakte, und das ist fatal. (...)
Ich habe in den letzten Monaten an 78 Beerdigungen teilgenommen, bei acht
davon handelte es sich um Freunde meines Sohnes. Ich weiß, was auf
den Straßen in Palästina passiert. Da wage ich nicht, das Wort
Friedensarbeit in den Mund zu nehmen.
Zur Zeit ist es so, dass jeder, der mit Israelis arbeitet, als Verräter
gilt. Und diese rote Linie muss ich respektieren, denn ohne die
Unterstützung durch mein Volk kann ich nicht arbeiten. Gleichzeitig
weiß ich aber auch, dass es furchtbar ist, plötzlich meinen
israelischen Freundinnen und Freunden, mit denen ich seit zehn Jahren arbeite,
zu sagen: Es tut mir leid, von nun an darf ich nicht mehr. Aber niemand kann
heute auch wirklich Kontakte stoppen oder verbieten. Die Beziehungen gehen
über E-Mail und über das Internet weiter. Es sind individuelle
Beziehungen, ich pflege sie in meinem persönlichen Namen, nicht im Namen
einer Organisation. Seitdem ich das erkannt habe, habe ich wieder phantastische
Dialoge per E-Mail mit israelischen und jüdischen Bürgern verschiedener
Länder. In einem direkten Gespräch kommt man doch häufig an
einen Punkt, wo es nicht weiter geht. Wenn ich aber schreibe, schreibe ich
alles aus mir heraus, den ganzen Klotz, der in mir drin ist. Und ich kann
schreiben, wie ich will, und es können 15, 20, 25 Seiten sein, ich schicke
es per E-Mail mit einem Klick - und sie bekommt das, liest das und dann guckt
sie und rollt die Augen und schreit und schimpft auf mich und sagt: Das kann
sie doch nicht meinen! Aber je mehr sie liest, desto mehr erkennt sie, was
ich eigentlich will, dass ich auch etwas Vernünftiges geschrieben habe,
womit ich ihre Wellenlänge getroffen habe. Und wenn sie alles gelesen
hat, dann tritt vielleicht ein solcher Effekt ein, dass sie sagt: Aha, aha,
aha! Und wenn sie dann antwortet, wird sie vielleicht mit dem "Aha!" beginnen.
Vielleicht beginnen wir dann noch einmal zu sprechen, können uns treffen
und uns auf die Dinge konzentrieren, die noch offen geblieben sind. Das sind
wunderbare Dialoge.
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