Folge der Göttin ...

Aktuelles

Forum

Events

Abos&Bücher

Printversion

Links

Kontakt

Liebe ist ein Werkzeug

von Leila Dregger

(...) Beruf kommt von Berufung. Als Be-Ruf-ung beschrieb die Nonne Ruth Pfau ihre Entscheidung, als Lepra-Ärztin nach Pakistan zu gehen. Der Moment, als sie diese Aufgabe sah und annahm, sei ihr größtes Liebeserlebnis gewesen: "Endlich war ich da, wo Er mich haben wollte." Er: Jesus, das Leben, die innere Stimme. Woher kommt ihr Glück? Sie hat den Platz gefunden, an dem sie nicht mehr wartet, hofft und sehnt, um Erfüllung zu finden, sondern wo sie ihre ureigenste Kraft und Fähigkeit zum Wohle aller entfaltet. Damit stellt sie sich mitten ins Leben. Die Frage des Geliebt-Werdens stellt sich für eine Frau wie sie wahrscheinlich selten. Bisher war es Frauen meist nur als Privatperson möglich, ihren ureigensten Interessen zu folgen. Berufliches, objektives, professionelles, strategisches Denken und Handeln war vor allem dem Mann vorbehalten. Zunächst: Was sind die ureigensten Interessen der Frau?

Freud, Lust und Kinder

Sigmund Freud sagte: Frauen sind Gebärmütter, die nach Lust und Kindern schreien. Die Frauenbewegung war über diese Aussage empört. Ich finde, wir sollten Freuds Etikett als Auszeichnung nehmen. Schreien wir selbstbewußt nach Lust und Kindern! Formen wir unseren Schrei um in eine politische und berufliche Handlung. Lust und Kinder - das bedeutet ja nichts anderes als: Frauen wollen Leben. Die Liebe zu allem Lebendigen ist das ureigenste Interesse der Frauen. Es ist in unseren Leib und unsere Seele eingraviert, und wir dürfen getrost aufhören, uns dafür zu schämen oder darüber lustig zu machen. Die Abwertung dieser Liebe gehört zu einer Geschichte, die das Leben selbst verneint hat.

Können wir zu unserer Anteilnahme eine professionelle Haltung einnehmen, mit allem, was dazu gehört? Können wir in der Liebe Ziele formulieren, dazu lernen, uns mit anderen zu Beratung und Kooperation zusammenschließen? Können wir in unseren intimen Angelegenheiten einen Sachverhalt verallgemeinern, seine zugrunde liegenden Strukturen erfassen und Handlungskonzepte erarbeiten und ausprobieren? Wenn wir kein professionelles, objektives Verhältnis zu den uns wirklich wichtigen Dingen einnehmen, dann wird jeder Mißerfolg zur einer existentiellen Frage des Selbstwertgefühls. Bei einer professionellem Haltung hingegen betrachten wir bei einem Mißerfolg den Fehler, analysieren ihn - vielleicht zusammen mit anderen - und korrigieren ihn, damit sich ab jetzt der Erfolg einstellt. Wo Frauen bisher Konkurrentinnen um die Anerkennung durch den Mann waren, könnten sie sich nun als Berufskolleginnen betrachten - und werden von selbst Frauensolidarität ausüben, ohne daß sie sich extra bemühen müßten; denn sie wird aus einem gemeinsamen Interesse gespeist. Kollegialität ist eine gesunde Basis für Freundschaft.

Männer kennen diese Kollegialität. Sie kennen das berufliche Selbstbewußtsein: Wenn alles drunter und drüber geht, in der Liebe zum Beispiel, so haben sie doch immer noch ihren Beruf. Durch ihn besitzen sie Autorität.

Frauen brauchen Berufe, die mit ihrem ureigensten Interesse übereinstimmen. Sie brauchen ein objektives und professionelles Verhältnis zur Anteilnahme und zur Pflege dessen, was sie lieben. Der anstehende Paradigmenwechsel für uns Frauen heißt: Liebe ist nicht etwas, das ich bekomme oder nicht bekomme. Sondern sie ist ein Werkzeug, das ich in die Hand nehmen kann. Wir können ihre Frequenz in vielen kleinen Handlungen anklingen lassen - und wenn wir es nicht können, dann können wir es lernen. Mit dieser Haltung setzen wir uns in eine Position, in der wir an der Fülle des Lebens teilhaben - nicht unbedingt immer groß, dramatisch und leidenschaftlich, sondern produktiv, täglich und in vielerlei Ausdifferenzierung. Egal ob wir alt oder jung sind, ob wir uns gerade schön oder häßlich fühlen.

Mensch, du fehlst hier!

Nicht nur Frauen brauchen einen Beruf, mindestens genau so stark braucht die Welt die weibliche Berufsausübung. Wenn ich mit wachen Augen durch die Welt gehe, dann habe ich immer wieder das Gefühl: Sie blicken mich an. Sie, das sind: der Acker, aufgerissen, liegen gelassen, ausgedörrt von der Sonne, weggeschwemmt vom Regen. Die Schweine, gegen Gitterstäbe gequetscht, im Tiertransporter auf der Autobahn vor mir. Die Menschen, die mit leeren Augen durch lieblos hochgezogene Städte hasten. Etwas in ihnen blickt mich an und sagt: Mensch, du fehlst hier. Es fehlt deine Verbundenheit, die wissende, verbindliche, liebende und pflegende Handlung für das Leben. In allen Bereichen, in denen Menschenwerk geschieht, ist dieses Fehlen zu erkennen, sei es in der Architektur, in der Heilung, in der Landwirtschaft, der Politik, an Kriegsschauplätzen und Krisengebieten. Es wird auf der Welt solange Kriege, Umwelt- und Naturkatastrophen geben, wie die Frau und die weibliche Berufsausübung fehlen und die Verantwortung dem Mann und seinen verhärteten Strukturen überlassen. Es wird auf der Welt keinen Frieden geben, solange die Frau ihre weibliche Tätigkeit nur im Privaten ausübt.

Tolstoi beschreibt in der Novelle: "Der Tod des Iwan Iljitsch" einen Menschen, der im Sterben liegt und sein ganzes Leben in Frage stellt: "Iwan Iljitsch hatte zuweilen nach langen Leidensstunden Sehnsucht danach - und er schämte sich nicht, sich das zu gestehen - daß jemand mit ihm Mitleid habe wie mit einem kranken Kinde. Er sehnte sich danach, daß man ihn liebkose und küsse, über ihn weine, wie man Kinder liebkost und tröstet. Er wußte, daß er ein würdiges Mitglied des Gerichtshofs war und einen grauen Bart hatte, aber er wollte es trotzdem."

Iwan Iljitsch spricht hier stellvertretend für das Leben überhaupt, für Mensch, Tier und Erde. Alles Lebendige will liebevoll gesehen und behandelt werden. Das gehört zum Wärmepaket des Lebens. Das Menschenwerk, das wir in unserer Kultur sehen, ist fast überall ein Ausdruck dafür, daß dieses Wärmepaket schmerzhaft fehlt, und allzu oft auch Ausdruck der Verzweiflung und Raserei, die dadurch entsteht. Diese Tätigkeit der Amme, das In-den-Arm-Nehmen, ist eine urweibliche Tätigkeit. Im übertragenen und ausdifferenzierten Sinn ist dies eine Haltung, die in jeder beruflichen Tätigkeit gefragt ist, die zärtlich liebende Fürsorge, die E.F. Schumacher gegenüber der Natur forderte, die Haltung, die aus der Quelle des Lebens schöpft, aus der Verbundenheit.

(...)


Fortsetzung in der Printversion der Weiblichen Stimme.

Zurück zu Nr. 4: Frauen im Beruf

Zum Online-Magazin Die weibliche Stimme


Home  Kontakt  Forum  Events  Aktuelles
Die weibliche Stimme, Rosa-Luxemburg-Str.89, Fon 033841/38441, Fax 033841/59512
E-Mail redaktion@weibliche-stimme.de