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Marion - Liebespriesterin von heute

Ein lauer Frühlingsabend geht zu Ende. Die schlanke, langhaarige Frau, die mich einen Abend lang in einem Straßencafé über ihren Beruf informiert hat, ist gegangen. Der Großstadtlärm kommt mir wieder ins Bewußtsein, und ich merke, wie tief mich das Gespräch in eine andere Welt geführt hat. Kann es wirklich sein, daß in der heutigen Zeit eine Frau als Liebespriesterin arbeitet, daß sie die Tätigkeit einer Hure mit Güte und Weisheit ausübt? Dies klingt fast märchenhaft, und doch hatte ich keinen Moment das Gefühl von Übertreibung oder Lüge. Die Arbeitsumstände, die Verachtung, die Gewalt, mit denen Prostituierte normalerweise zu kämpfen haben, sind nicht Marions Welt. Sie sagt: "Ich bin zutiefst dankbar über das Leben, das ich führen kann. Ich fühle mich reich beschenkt von den Männern, von den Gesprächen, dem Sex und dem Geld."

Tagsüber hat sie einen bürgerlichen Beruf. Abends, nach Feierabend, schaltet sie ihr Funktelefon ein und ist erreichbar für Männer, die auf ihre Anzeige antworten. Dann ist sie unterwegs, atemberaubend erotisch gekleidet, in der Stadt, in Hotels und in Privatwohnungen, oft bis spät in die Nacht, unterwegs in Sachen Sex. Morgens um 7 sitzt sie wieder am Schreibtisch.

Die Antwort auf die Frage, was die wichtigste Qualität für ihre Nachttätigkeit ist, kommt spontan: "Menschlichkeit. Du mußt gleich in den ersten Momenten am Telefon den ganzen Menschen heraushören, mit dem, was er wünscht, was für ein Typ es ist, was ihn zu dir geführt hat und was er braucht."

Marion ist wichtig im Leben vieler Männer. "Für manche, die ich schon seit Jahren kenne, bin ich der Mensch, der sie am besten kennt. Mit niemand anders können sie so offen und direkt sprechen, über sexuelle Dinge und manchmal auch über anderes."

Was ist denn wichtiger, das Gespräch oder der Sex?

"Das eine ergibt sich aus dem anderen. Durch die sexuelle Öffnung kommt eine Lust am Austausch, an der Mitteilung. Ich kann die Männer in vielen Fragen unterstützen und beraten. Und umgekehrt lerne ich unglaublich viel durch die Gespräche - zum Beispiel gibt es Männer, denen es Freude macht, mich in die Philosophie einzuweihen oder über ein gutes Buch zu berichten. So stelle ich mir das Leben der früheren Hetären vor."

Was für Männer rufen denn an, was fragen sie, will ich wissen.

"Alle Altersstufen, mehr junge als alte. Ich gehe davon aus, daß ich durch meine Anzeige und überhaupt durchweg Männer anziehe, die ich auch interessant finde. Ich höre sofort bei den ersten Worten, woran ich bin. Wenn jemand anfängt, einen Katalog abzuspulen und mich alles abzufragen, ob ich dies und jenes mache und das und das, dann sage ich ihm, daß ich kein Warenhaus bin. Ich sage ihm: Wenn du aber etwas Neues erleben willst, wenn du dich darauf einlassen willst, was passiert zwischen dir und mir, dann bist du bei mir richtig."


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