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Juchitan, Globalisierung und Trauma-ArbeitEine Reise nach Mexiko Von Gill Emslie (Findhorn) Vorspann: Nach der Rückkehr aus Mexiko in diesem Jahr befinde ich mich zwischen den Welten. Mein Bewußtsein hat sich geweitet durch die starken Kontraste zwischen Mexiko und Schottland, zwischen der nördlichen und südlichen Hemisphäre, zwischen der warmen Brise des pazifischen Ozeans und dem beißenden Wind der Nordsee. Aber der stärkste Kontrast ist der zwischen der westlichen Welt mit seiner ungeheuren globalen Macht und der Welt von Mexiko und seiner immer noch überwiegend ländlichen Ökonomie. Als sogenanntes Entwicklungsland ist Mexiko der Ausbeutung des Nordens und der westlichen Welt ausgeliefert und leidet unter den Auswirkungen der Globalisierung und der neuen Handelsverträge. Diese Verträge bevorzugen die reichen Länder und gehen immer auf Kosten der armen, eingeborenen Bevölkerung und der Umwelt. Seit zwei Jahren besuche ich regelmäßig Mexiko und Nicaragua. Ich arbeite mit Frauen- und Menschenrechtsgruppen und lehre sie Konfliktlösungsstrategien, Menschenrechte, Gemeinschaftsaufbau und Ökofeminismus. So gut wie alle diese Menschen haben Dinge erlebt, die wir uns kaum vorstellen können - absolute Armut und Unterversorgung, Folter, Entführungen und Mord von Angehörigen vor ihren Augen, Mißachtung ihrer grundlegendsten Rechte, Mißachtung ihrer Würde, Vernichtung ihrer Lebensgrundlagen. Arbeit mit diesen Menschen ist immer auch Trauma-Arbeit. Dieses Mal war ich besonders tief bewegt durch die offensichtliche Ungerechtigkeit, die ich überall sah - am stärksten sichtbar im Gegensatz zwischen der extremen Armut von Ureinwohnern und dem Reichtum der industriellen Präsenz des Nordens. Die Zapatisten-Bewegung der Ureinwohner von Chiapas begann als direkte Antwort auf die Globalisierung. Sie startete 1994 am gleichen Tag, an dem der nordamerikanische Freihandelsvertrag unterzeichnet wurde. Ihr Ziel ist, den Einfluß der Globalisierung auf die Urbevölkerung Mexikos deutlich zu machen. Gegenwärtig leben 10 Millionen Menschen indianischer Abstammung im Land. Ihre Menschenrechte werden fast nicht anerkannt; ihr kulturelles Erbe wird seit 500 Jahren zerstört. Von allen Eroberungswellen ist der jetzige Einfluß der Globalisierung, der Ausbeutung von natürlichen Ressourcen inklusive Landnutzung und Arbeit der letzte und größte Faktor in der Geschichte der Ausbeutung der südmexikanischen Ureinwohner. Die Situation ist dabei nicht anders als in vielen anderen Teilen der Welt. Immer sind es transnationale Konzerne - wie hier zum Beispiel Monsanto -, die mit Regierungen, Armeen oder bezahlten paramilitärischen Einheiten zusammenarbeiten, um die Menschen in Schach zu halten und ihr Land auszubeuten. Das ist die Situation in den meisten Ländern der Erde! Eines der Hauptthemen der Zapatisten-Bewegung ist die Autonomie: Selbstverwaltung für die Indianer und die Möglichkeit, traditionell zu leben. In dreifacher Hinsicht sind die weiblichen Ureinwohner Mexikos betroffen: Als Besitzlose, als Indigenas und als Frauen, wie es Commandante Esther in ihrer Rede vor dem Kongreß deutlich machte. In der Arbeit mit diesen Frauen habe ich dies auch sehr deutlich erfahren. Immer wieder sterben ihre Brüder, Männer, Väter und Söhne im Kampf um Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenrechte, wenn sie sich gegen die krasse Ungerechtigkeit auflehnen. Viele müssen um ihr eigenes Leben fürchten, nur weil sie andere über Geburtenkontrolle oder über traditionelle Spiritualität unterrichten. Manche sind jahrelang im Gefängnis, nur weil sie die Umwelt gegen große multinationale Konzerne schützen wollten. Diese beuten alle Naturressourcen aus - ohne irgendeinen Gedanken an die Auswirkungen auf das betroffene Land oder seine jetzigen und zukünftigen Bewohner. Sie folgen nur kurzfristigen Marktvorteilen. Ich hatte das große Privileg, mit mehreren Gruppen von Frauen zusammenzuarbeiten. Bei ihnen sehe ich, wie oft sich die Auswirkungen der Unterdrückung im Körper als somatische Beschwerden festsetzen: Angst, nicht ausgedrückte Wut, Terror, Schock und Trauer. Diese Beschwerden führen zu einem Verlust an persönlicher Macht und Fähigkeit, die Situation zu verändern, in der sie leben. Diese Frauen brauchen Unterstützung, damit sie diese Unterdrückung loswerden können. Wir versuchen dies in einem Netzwerk, das Gruppenarbeit in Menschenrechtsorganisationen macht. Es ist eine sehr kraftvolle, meistens sehr emotionale Arbeit. Juchitán - Stadt der Frauen Nachdem ich in Chiapas meine Arbeit in Frauen- und Menschenrechtsgruppen beendet hatte, reiste ich mit Achim, einem Freund aus Deutschland, nach Juchitán. Er hatte mir über diese faszinierende Stadt in Oxaca erzählt, wo es auch heute noch ein Matriarchat gibt. Obwohl diese Kultur ebenfalls durch den Einfluß der Globalisierung bedroht wird, war es eine wahre Freude und ein besonderes Erlebnis, einige Tage in dieser Stadt zu verbringen. Die Frauen dort werden nicht geschlagen, sie sind stark und selbstbewußt, direkt und in Berührung mit ihrer persönlichen Kraft, Kreativität und Autorität. |
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