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Interview mit Gabrielle Roth
Rhythmus ist Leben - Leben ist Bewegung von Claudia Hötzendörfer Gabrielle Roth ist Tänzerin, Therapeutin, Musikerin und Autorin. Sie inszeniert experimentelles Theater, leitet Workshops und Seminare. Sie entwickelte fünf Rhythmen, die sie als Lebensrhythmen bezeichnet. Schon häufiger habe ich die zierliche und quirlige Künstlerin getroffen, doch jedes Mal bin ich aufs neue von ihrer Energie beeindruckt. Seit 1982 hat sie mit ihrer Gruppe The Mirrors 12 CDs herausgebracht, zwei Bücher geschrieben und zwei Videos veröffentlicht. Unablässig leitet sie Kurse, die ihre Tanzform und zugleich ihre Lebensphilosophie vermitteln. Ein brütend heißer Sommertag in New York. Rund 50 Frauen und Männer schwitzen in einem kleinen Tanzsaal am Broadway. Hier sind alle Altersschichten vertreten. Gabrielle Roth gibt eine kurze Einführung, was die Teilnehmer in den nächsten zwei Stunden erwarten wird, und dann überläßt sie die Tänzerinnen und Tänzer erst einmal für 10 Minuten sich selbst und einer treibenden Trommelmusik. Es gibt keine Vorgaben oder Regeln. Danach stellt Gabrielle ihre fünf Rhythmen vor: Flowing, Staccato, Chaos, Lyrical und Stillness. Mal wird allein getanzt, dann werden wieder Partner gesucht, und man tanzt zu zweit. Die Lektion ist beendet, Gabrielle wird von den Teilnehmern umlagert. Es gibt noch so viel zu sagen und zu erzählen. Erschöpft, aber guter Dinge begleitet mich Gabrielle in ein kühles New Yorker Theatercafé. Hier erzählt sie mir von ihrem neuen Buch und einem Musikprojekt, das sie mit dem russischen Rocksänger Boris Grebenshikov eingespielt hat. Frage: Zu welchem Zeitpunkt kamst das erste Mal mit Tanz in Berührung? Gabrielle Roth: Ich begann mit vier Jahren zu tanzen und habe seitdem nicht mehr aufgehört. Tanz gehört zu meiner Natur. Ich habe zwar so früh angefangen, aber Tanz studiert habe ich erst Jahre später. Ich unterrichtete dann Kinder und Jugendliche an Colleges. Darunter waren auch gestörte, behinderte oder kranke Kinder, die ich an den Tanz heranführte. Mit 16 begann ich, meine eigene Tanzform zu entwickeln. Sie sollte eine Hilfestellung für Menschen sein, die von sich glaubten, nicht tanzen zu können. Frage: Hattest du dabei einen Mentor oder Lehrer? G.R: Nein, es war nur mein Instinkt. Ich hatte klassisches Ballett und später auch Modern Dance studiert. Aber der erlernte Tanz und meine eigene Weise, mich in der Bewegung auszudrücken, sind zwei getrennte Welten. Dabei geht es nicht um die richtigen Schritte oder darum, die Bewegungsfolgen so korrekt wie nur möglich auszuführen. Ich wollte die Menschen dazu verführen, sich auf ihren Körper einzulassen. Sich einfach nur zu bewegen, ohne Vorschriften oder Belehrungen von meiner Seite. Frage: Ich las in deinem ersten Buch Das befreite Herz (Heyne-Taschenbuch 1989), daß Magersucht ein Grund dafür war, daß du deine eigene Tanzform entwickelt hast. G.B.: Sagen wir, ich hatte eine kurze Beziehung zur Magersucht. Ich aß kaum noch etwas und enthielt meinem Körper alles vor, was er zum Leben brauchte. Dazu kam die Entdeckung meiner eigenen Sexualität und gleichzeitig die Angst davor. Ich fürchte immer, kein liebes Mädchen zu sein, wenn ich diese Gefühle zuließe. Da waren all diese erstaunlichen neuen Impulse und ein bislang unbekanntes Verlangen. Ich beschloß, meinen Körper schlicht von diesem Dingen auszuschließen. Das war eine spirituelle Krise. Ich mußte mich zwischen Gott und meinem Körper entscheiden. (Anmerk. Gabrielle ist streng katholisch erzogen worden und besuchte demzufolge auch katholische Schulen. Man brachte ihr bei, daß Sexualität gleichzusetzen sei mit Sünde.) Ich wählte Gott. Es war sehr dramatisch damals, denn ich war überzeugt davon, daß der einzige Weg, sich diesem Verlangen zu entziehen, die Vernachlässigung meines Körpers war. Amerikaner waren immer schon besessen von einem bestimmten Körpergefühl, insbesondere wenn es um die weiblichen Formen geht. Aber bei mir war es weniger die Angst davor, dick zu werden. Ich hatte einfach nur Angst vor meiner Sexualität, die sich natürlich auch in Rundungen an meinem Körper auszudrücken begann.
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