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Die neuen Priesterinnen
Oh Heiliges Silizium! Von Eluan Ghazal Es ist uns ganz vertraut - irgendwie wissen wir es alle, daß es in früheren Jahrhunderten und Jahrtausenden Priesterinnen, Schamaninnen, Prophetinnen gab. Aus dem dunklen Meer vergessener Frauengeschichte tauchen Bilder hervor. Priesterinnen der Vergangenheit Wallende Gewänder in Purpur und Weiß, goldene Ringe und Armreifen, klirrende Hüftgürtel und Brustplatten mit kostbaren Steinen, die Zeremonie, das Fest, die Ergriffenheit, der Jubel, wenn die Hohepriesterin die Epiphanie der Göttin auf Erden verkündet und den König inthronisiert ... Oder: Immer dieselben stampfenden Tanzschritte auf dem Lehmboden, die Ritualführerin, mit Muschelketten behängt, schlägt die Trommel, singt grell immer wieder dieselben Namen und Wort, ein Zittern, Taumeln und Lallen, verdrehte Augen, schwitzende Körper. Böse Geister werden vertrieben, Krankheiten geheilt. Oder: Eine Schamanin im langen ausgestellten Ledermantel, mit Metallspiegeln, Knochenketten und Vogelfedern geschmückt, beugt sich zu einem Sterbenden herab, legt ihm die Hand auf die Stirn und flüstert ihm Segensworte ins Ohr, um ihn auf dem Weg zur Unterwelt zu stärken ... Zaubertrank aus Kokosnuß-Schale oder Gralsbecher, Schicksalsgewebe, magische Schriftzeichen, Wiegengesang und Hochzeitslieder, heilige Sicheln und Ernteopfer, zarte Schleier, erotische Gesten und Blicke, Gebete zum Phallus, zum Mond, zur Vulva, zu magischen Steinen ... Die Rituale, Mythen und Symbole des Weiblich-Sakralen sind vielfältig und ausdrucksvoll. In unserer spirituellen Vergangenheit war das Profane vom Heiligen durchdrungen: Neolithische Tempel waren ursprünglich Gemeindezentren, in denen profane Handlungen und Funktionen wie Backen, Weben oder die Speicherung von Getreide zu kultischen Handlungen wurden. Die ersten mesopotamischen Keilschrift-Dokumente waren Aufzeichnungen über Lagerbestände im Tempel. Dort wurden auch Streitfälle geschlichtet. Eine Tontafel aus Assyrien sagt: "Wenn jemand etwas vom Recht versteht, so bin ich es: Ischtar!" Priesterinnen verkündeten in Trance ihre Visionen und Orakel und lenkten die Politik; sie leiteten Rituale, sie sangen, tanzten und sprachen. "Und Miriam nahm die Trommel und führte den Zug an," heißt es in der Bibel. "Oh Göttin, schön ist es, deine Stimme zu hören", sagt eine Hieroglyphenschrift aus Ägypten. Oder: "Ich ging nach Sais, wo die Heiligen Mütter mich Medizin lehrten." Der heilige Raum stand Frauen offen. Frauen bildeten sein Innerstes. Der Harem - wörtlich: das Heiligtum - war ursprünglich das Kollektiv der Priesterinnen. Und das gremium heißt wörtlich: der Schoß. In Babylon nannte man die Hohepriesterin den "heiligen Schoß". Denn sie war es, die durch ihre sexuelle Vereinigung mit dem Sakral-König Fruchtbarkeit, Glück und Segen für ihre Gemeinde magisch herbeirief. Priesterinnen vollzogen Übergangsrituale bei der Menstruation und führten Mädchen und Jungen in die Erotik ein. Frauen und Männer lernten sich im Tempel kennen, vereinigten sich und beteten um die Herabkunft einer Seele aus dem Jenseits. Medizinisch gebildete Priesterinnen kündigten die Empfängnis an, begleiteten die Frau mit Schlangenbewegungen in der Schwangerschaft und bei der Geburt. Von Indien über Vorderasien bis in den Mittelmeerraum gab es außerdem auch Tempel, in denen erotische Rituale gefeiert wurden: Geheimnisse von Lust und Liebe, Lockung und Erfüllung, Enthüllung und Erleuchtung ... wie durch Düfte, Getränke, Klänge und rituelle Worte eine aphrodisische Atmosphäre entsteht, wie wir die erotische Leidenschaft erregen, steigern, hinauszögern, dämpfen, beruhigen, auflodern lassen und befriedigen - Küssen, Beißen, Streicheln an erogenen Zonen und eine Vielfalt von erotischen Stellungen, Yoga-Stellungen - alles das, was in späteren Lehrbüchern der Liebe wie dem Kamasutra niedergeschrieben wurde. Weibliche Spiritualität trennte nicht zwischen Immanenz und Transzendenz, zwischen Körper und Geist. Das Heilige wurde nicht abgespalten, es wurde im Profanen, im Alltäglichen erkannt. |
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